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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1377–1379

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Honnefelder, Ludger, Möhle, Hannes, u. Susana Bullido del Barrio [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Via Alberti. Texte – Quellen – Interpretationen.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2009. 602 S. m. Abb. gr.8° = Subsidia Albertina, 2. Geb. EUR 72,00. ISBN 978-3-402-11715-6.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Band dokumentiert Beiträge, die 2007 auf dem XII. Kongress der Societé Internationale pour l’Étude de la Philosophie Mediévale in der dem Werk Alberts gewidmeten Sektion gehalten worden sind, ergänzt durch weitere Studien, die das Kongress-Thema »Universality of Reason, Plurality of Philosophy« in Bezug auf Albert entfalten. Die Albert-Forschung gewinnt gegenwärtig durch die große Edition seiner Werke »an Tiefenschärfe«. Unter »Via Alberti« verstehen die Herausgeber die Art, wie Albert das neue Gedankengut, das durch die Übersetzung der meisten Aristotelesschriften und des dazugehörigen Kommentarwerkes des Averroes bekannt wurde, studiert und verarbeitet. Keiner habe so wie er »eine solche Fülle neuer Inhalte in der ganzen Breite der gelehrten Disziplinen« aufgenommen und sich mit ihnen auseinandergesetzt. So machte er sie »für eine zu suchende neue wissenschaftliche Weltdeutung fruchtbar«. Um die in der Folge der Aristoteles-Rezeption heraufziehende neue Epoche zu verstehen, müsse man die Via Alberti genau verfolgen (9 f.).

Der Direktor des Albertus-Magnus-Instituts Ludger Honnefelder gibt in seinem Beitrag die Richtung vor, die der Band verfolgt. Er untersucht die Schlüsselrolle, die Albert für die Entwicklung der mittelalterlichen Philosophie und Theologie zukommt. Bisher stand Albert immer im Schatten seines Schülers Thomas von Aquin, doch wird immer deutlicher, dass Albert eigenständig zu verstehen ist – man spricht heute vom »Albertismus« – und weit über den Aquinaten hinaus eine Schule gebildet hat, zu der vor allem deutsche Dominikaner gehören, die ihrerseits eigenständig sind. Doch darauf geht der Referent nicht weiter ein. Das ist bedauerlich, weil Alberts Verständnis der Theologie als Wissenschaft, das er in Auseinandersetzung mit Aristoteles entwickelt, durchaus Schule gemacht hat (vgl. Dietrich von Freiberg). Albert versteht so­wohl Philosophie als auch Theologie als autonome Disziplinen. »Für den menschlichen Verstand ist auf diese Weise Weisheit auf dem Weg der Wissenschaft erreichbar« (13–36). Maria Burger arbeitet die Eigenständigkeit beider Disziplinen heraus, indem sie »fides und ratio als Erkenntnisprinzip der Theologie analysiert und mit einem philosophischen Rationalitätsverständnis konfrontiert«. Der Glaube zählt nach Albert zu den gnadenhaft eingegossenen Tugenden. Die durch den Glauben gewonnene Erkenntnis steht nicht im Widerspruch zur Vernunft. Auf der Basis der Vernunft sind beide Wissenschaften dialogfähig, haben aber ihren eigenen Kompetenzbereich (37–58).

Jörg Tellkamp untersucht Alberts Deutung der Lehre vom intellectus possibilis, wobei er weithin Averroes folge. Albert begreife den Intellekt als Teil der Seele, der durch Interaktion mit anderen Seelenvermögen zu einem je besonderen wird. Damit steht er auch in neuplatonischer Tradition und somit in Spannung zu Aristoteles (61–78). Michele Trizio wendet sich dem bisher kaum untersuchten Einfluss des byzantinischen Kommentators Eustratius von Nicaea auf Alberts Intellektlehre zu. Er sieht diesen bei Alberts Darstellung des Begriffs »intellectus adeptus«. Damit tritt Trizio der Meinung entgegen, Albert sei vorwiegend von arabischen Philosophen beeinflusst worden (79–109). Hannes Möhle betont, Albert habe »an der Gegliedertheit der Seele und ihrer intellektuellen Kräfte« festgehalten und nicht »die Funktion des Willens in der Dynamik von intellectus possibilis und intellectus agens grundlegend revidiert«, sondern dieses Lehrstück »in den Kontext der Lehre vom Zu­sammenfall der Glückseligkeit mit der vollendeten intellektuellen Tätigkeit des intellectus adeptus« durchgehalten. Er deutet den Willen im Kontext der Intellektlehre und dehnt ihn in den Problemkreis der Ethik aus. Er betont das willentliche Moment im Vollzug des Erkennens (111–134). Alessandro Palazzo widmet seine Studie Alberts Lehre von der Faszination. Dieser verstehe fascinatio nicht nigromantisch, sondern als eine durch natürliche Ursachen erklärbare und in verschiedene Bereiche der Wirklichkeit hineinspielende Erscheinung (135–215).

Zur Emanationslehre urteilt Henryk Anzulewicz, Albert habe durch seine Neubestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie die neuplatonische Fluxus-Theorie (Ps.-Dionysios, Liber de causis) adaptiert, dabei den theologischen Schöpfungsbegriff beibehalten und ihn exklusiv auf die erste Ursache bezogen. Der Variante dieses Lehrstücks bei Avicenna gegenüber habe er Vorbehalte geltend gemacht (219–242). Isabelle Moulin hebt hervor, Albert habe die Schöpfung als Emanation der Form verstanden und dabei aristotelische, neuplatonische und christliche Momente in sein Denken integriert (243–264).

Zum Thema Ethik schreibt Martin Tracey über prudentia in Pariser theologischen Summen. Er vergleicht Alberts Sicht mit den Anschauungen von Philipp dem Kanzler und Wilhelm von Au­xerre. Albert muss beide Autoren gut gekannt haben. Er ordnet prudentia dem Wissen im Sinne einer scientia moralis zu und sieht sie als Basis des freien Willens (267–293). Jörn Müller untersucht die Verhältnisbestimmung felicitas civilis und felicitas contemplativa in Alberts Ethikkommentaren: Das kontemplative Leben wird »als eine Ausrichtung aller Lebensvollzüge auf die Vollendung des menschlichen Intellekts verstanden« (295–322).

Zur Methode seiner Exegese stellt Ruth Meyer fest, Albert habe das Buch Hiob, stärker als Thomas, »als scholastische Disputation gedeutet« – und zwar als »Entwicklungsgeschichte eines vollkommenen Lehrers der Weisheit und scholastischen Theologen«, der von Gott befähigt wird, seinen Freunden die determinatio magis­tralis eines schwierigen theologischen Problems zu vermitteln (325–383). Susana Bullido del Barrio entkräftet Bedenken gegen Alberts Autorschaft der Schrift »De muliere forti«. Sie stelle eine moralisch-ekklesiologische Bibelauslegung dar: Die Frau als Ende aller Schöpfung ist Metapher für die Kirche (385–427). Julia Schneider untersucht die bisher strittige Autorschaft des Traktats »De mysterio missae« und fordert, den Text »im Kontext einer tatsächlichen Messfeier« zu lesen. Im Verhältnis von liturgischen Handlungen und rituellen Worten sei auch das Verhältnis von Theologie und Liturgie abzulesen. Sie versteht Liturgie als Hinführung des Gläubigen zur Seligkeit (429–453).

Den Band beschließen Quellenstudien. Amos Bertolacci stellt fest, Albert habe den Großen Metaphysikkommentar des Averroes gekannt und eigenständig rezipiert (457–480). Carlos Steel ist überzeugt, Albert habe bei Abfassung seiner Schrift »De praedicamentis« stets die »Notulae super librum Praedicamentorum« des Robert Kilwardby benutzt, doch ohne sklavischer Nachahmer zu sein (481–507). Silvia Donali untersucht Alberts Kommentierung von Aristoteles’ »De memoria et reminiscentia«. Sie rühmt seine herausragende Quellenkenntnis und seine möglichst genauen wissenschaftlichen Erklärungen der Phänomene (509–559). Zuletzt ordnet Maria Burger Glossen zu Alberts PS.-Dionysischen Kommentaren Thomas zu (561–582).

Insgesamt erreicht der Band sein Ziel, der Albert-Forschung zu vertiefen. Man hätte sich freilich gewünscht, die »Via Alberti« wäre weiter verfolgt worden, indem man Alberts Schüler hätte zu Wort kommen lassen. Das ist nicht geschehen. Der Rezensent bedauert, dass deutsche Autoren zum Teil in englischer Sprache geschrieben haben. So wird Deutsch als Sprache der Wissenschaft durch Deutsche selbst immer mehr in den Hintergrund gedrängt.