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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1356–1358

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Pouderon, Bernard [Direction]

Titel/Untertitel:

Histoire de la littérature grecque chrétienne, 1. Introduction. Sous la responsabilité de E. Norelli et B. Pouderon.

Verlag:

Paris: Cerf 2008. 332 S. 8° = Initiations aux Pères de l’Église. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-2-204-08228-0.

Rezensent:

Hubertus R. Drobner

Ein Fach bedarf in regelmäßigen Abständen der Handbücher, die den gegenwärtigen Wissensstand dokumentieren und als grundlegende Nachschlagewerke der nächsten Generation dienen. Ein solches Handbuch ist natürlich niemals eine mechanische Zusam­menfassung des Materials, sondern immer Ausdruck einer strukturellen Idee. Das auf sechs Bände angelegte Projekt unter der Leitung von Bernard Pouderon ging davon aus, dass seit den Werken von A. Puech (Histoire de la littérature grecque chrétienne depuis les origines jusqu’à la fin du 4e siécle, 3 tomes, Paris 1928–30) und der Übersetzung von J. Quastens »Patrology« (Initiations aux Pères de l’Église, 4 tomes, Paris 1959–86) eine umfassende Darstellung der frühchristlichen Literatur im französischen Sprachraum fehlt. Während der Vorbereitungen erschien zwar die französische Übersetzung des »Manuale di letteratura cristiana antica greca e latina« aus der Feder von Claudio Moreschini und Enrico Norelli (Histoire de la littérature chrétienne antique grecque et latine, Genf 2000), ohne jedoch die Ziele des neuen Projektes zu überholen, denn 1. Moreschini und Norelli behandeln die griechische und die lateinische Literatur, Pouderon nur die griechische; 2. Moreschini und Norelli beschränken sich auf die drei ersten Jahrhunderte bis Eusebius von Caesarea, Pouderon zieht die chronologische Grenze beim Konzil von Chalkedon (451); 3. Moreschini und Norelli übernahmen je einen Band des Gesamtwerkes, Pouderon vertraut jedes Kapitel einem Spezialisten an; 4. Pouderon konzipiert einen eigenen me­thodologischen Einleitungsband (des vorliegenden).

Schon die chronologischen Grenzen und die Aufteilung der Bände spiegeln prinzipielle Überzeugungen wider: II. Von Paulus bis Irenäus. III. Von Klemens von Alexandrien bis Eusebius von Caesarea. IV–VI. »Das Goldene Zeitalter der Väter«: Alexandrien – Ägypten, Kleinasien – Konstantinopel, Syrien – Antiochien – Verschiedenes. 1. Der Einschluss auch der kanonischen neutestamentlichen Texte zeigt deutlich, dass es sich nicht um eine »Patrologie« handelt, sondern um eine Literaturgeschichte, die keine kirchlichen Be­gren­zungen kennt. 2. Mit Kaiser Konstantin beginnt zweifellos in vieler Hinsicht (politisch, kirchlich, kulturell) eine neue Ära, die auch die Literaturgeschichte betrifft, so dass sich die Untergliederung bis Eusebius als sinnvoll anbietet. Die Abgrenzung und Charakterisierung der folgenden Epoche dürfte dagegen diskutabel sein. Von theologischer Seite wird die Auffassung vertreten, dass das Konzil von Chalkedon (451) das Ende einer Epoche der christlichen Literatur darstellt, weil damit die bis heute grundlegende Entscheidung in der Christologie gefallen ist. Die darauf folgende Literatur wird dann eher als »Rezeptionsgeschichte« und »Spätzeit« eingestuft. Ob dies aber von einem rein literaturhistorischen Standpunkt aus zu rechtfertigen ist? Eigentlich stellt das Jahr 451 nicht das Ende, sondern einen Höhepunkt in der Entwicklung der griechischen christlichen Literatur dar, die ihren Bogen zumindest bis zum III. Konzil von Konstantinopel (680/81) spannt. Man kann sich daher prinzipiell fragen, warum 451 den Endpunkt dieser Literaturgeschichte darstellt. Hängt es mit dem Verständnis des »Goldenen Zeitalters« zusammen, das nicht nur eine Blütezeit bezeichnet, sondern auch ein Qualitätsurteil darstellt? 3. Pouderon wählt für die Untergliederung dieser Blütezeit eine territoriale Kategorie, die die literarische Produktion um drei Zentren gruppiert: Alexandrien, Konstantinopel und Antiochien. Natürlich gibt es überhaupt keine Gliederung, die allen Aspekten Rechnung tragen und alle Phänomene gleich­mäßig erfassen kann. Gewiss ist es richtig, dass diese Zentren miteinander zusammenhängende Denkströmungen hervorgebracht ha­ben. Gleichzeitig sind diese aber nicht scharf voneinander abzugrenzen. Die Kappadokier sind ihrer geistigen Tradition nach Alexandriner, während andere auf demselben Territorium und in Konstantinopel von Antiochien und Syrien beeinflusst sind. Außerdem kann diese Gliederung existierenden, klischeehaften Vorstellungen von den Unterschieden der »Schulen« (alexandrinisch – antiochenisch – syrisch) Vorschub leisten.

Schließlich – Pouderon sagt es selbst, vielleicht mit leisem Schmunzeln – ist das Buch seiner Form nach das, was Ausländer für »typisch französisch« halten, nämlich nicht nur für ein spezielles Fachpublikum geschrieben, sondern für die allgemeine gebildete Bevölkerung. Grundlegend, lesbar, sowohl als Einführung für Anfänger als auch Konsultationswerk für Gelehrte. Auch das Format des Werkes unterstützt diese Intention: keine großformatigen, schweren Bände, sondern Taschenbuchformat, flexibel gebunden und von handlichem Umfang. Der Einführungsband enthält acht Essays, alle aus der Hand arrivierter Fachwissenschaftler: Christliche Literatur- und Institutionengeschichte (E. Norelli), Kirchengeschichte und griechische Literaturgeschichte (P. Siniscalco), Überlieferungsgeschichte (R. Gounelle), Literarische Formen (G. Dorival), Dogmatische Entwicklung (M.-A. Vannier), Literarische Ästhetik (M.-A. Calvet-Sebasti), Ausgaben patristischer Texte (M. Wallraff), Instrumenta studiorum (B. Gain). Man sieht schon an den Titeln, dass es sich nicht um eine »systematische« Einführung handelt, sondern um die Situierung der antiken christlichen Literatur in ihren hauptsächlichen Beziehungsfeldern, ihre grundlegenden Phänomene und Inhalte sowie Hilfsmittel zu ihrem Studium.

Der Charakter einer nicht-systematischen Einführung dürfte für ein literarhistorisch interessiertes Publikum sicher ausreichend und anregend sein, birgt für den Studenten des Faches jedoch Gefahren. Marie-Anne Vannier konzentriert sich hinsichtlich »L’évolution dogmatique et son expression« (189–214) auf die Darstellung der beiden großen dogmatischen Themen der Christologie und Trinitätslehre. Dabei ist sicher richtig, dass sie im öffentlichen Bewusstsein, der Kirchenpolitik und Literatur wohl die herausragendste Rolle spielen. Allein entscheidend sind sie freilich weder für das kirchliche Leben noch für die Entwicklung der Literatur. Kirchenbild, Sakramententheologie, Katechese, Ethik, Mo­ral, Religions- und Gesellschaftskritik und vieles andere mehr bilden ebenfalls unentbehr­liche Teile der frühchristlichen Literatur.

Von besonderem praktischen Wert sind Benoît Gains Instrumenta studiorum (267–327), die nicht nur nichts Wesentliches vermissen lassen, sondern eine reiche Fundgrube für alle Bereiche der griechisch-christlichen Literatur darstellen.
Nach diesem insgesamt gelungenen Auftakt darf man mit Freude die kommenden Bände erwarten, die sicherlich sowohl eine gute Bereicherung des Faches darstellen werden als auch Anstöße zu neuen Betrachtungsweisen und Zugängen zur antiken griechisch-christlichen Literatur erwarten lassen.