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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1350–1351

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Jordan, Stefan

Titel/Untertitel:

Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2008. 228 S. m. 11 Abb. 8° = Orientierung Geschichte, UTB 3104. Kart. EUR 16,90. ISBN 978-3-8252-3104-0.

Rezensent:

Dirk Fleischer

Die Aufgabe, Studienanfänger in geschichtstheoretisches Denken einzuführen und sie mit der Geschichte der Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft vertraut zu machen, stellt sich der vorliegende Band Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft von Stefan Jordan, der als ein ausgewiesener Fachmann für diesen Themenbereich bekannt ist. J., der als wissenschaftlicher Angestellter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Aka­demie der Wissenschaften in München tätig ist, gelingt es, die sicherlich für Studienanfänger nicht immer einfache Thematik in einer klaren und eingängigen Sprache und zudem didaktisch vorbildlich darzustellen. Wichtige Literaturhinweise nach jedem Ka­pitel er­möglichen eine vertiefende Beschäftigung mit den jeweiligen Sachverhalten.

J. beginnt seine Einführung mit systematischen Reflexionen über die Funktion und die Definition von Geschichte. Daran schließt sich ein Überblick über die Geschichte des historischen Denkens an. Zu Recht betont er dabei, dass die Ansätze des modernen Geschichtsbewusstseins in der Renaissance und im Humanismus liegen. Prägnant wird auch der Unterschied zwischen der Geschichtsphilosophie und der wissenschaftlichen Historiographie erläutert. Unstrittig ist für J., dass der »Beginn der modernen Geschichtswissenschaft« (38) ins 19. Jh. datiert werden muss, wobei er allerdings mit Recht die Wurzeln dieses Denkens im 18. Jh. verortet. Hier, im Zeitalter der Aufklärung, beginnen der Verwissenschaftlichungsprozess des historischen Denkens und die Verfach­lichung der Geschichtswissenschaft.

Kenntnisreich wird die Entwicklung des Historismus beschrieben. Dabei wird neben den klassischen Autoren der Geschichtswissenschaft, wie Leopold von Ranke oder Johann Gustav Droysen, auch der Historische Materialismus eingehend besprochen. Ausgehend von den zwei unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs Historismus – als Epoche der Geschichtswissenschaft, die von 1800 bis 1960 reichte, oder im Sinne von Ernst Troeltsch als generelle Historisierung des Denkens und Tuns – entfaltet J. die einzelnen Aspekte der disziplinären Matrix des Historismus, wie die Frage der historischen Objektivität, der historischen Kritik, der Ideenlehre oder des historischen Verstehens, und verdeutlicht die jeweiligen Stärken und Schwächen. Dass der Historismus eng mit der Kultur und der Politik des deutschen Bildungsbürgertums verbunden war, wird entsprechend aufgezeigt. Ausführlich beschreibt J. dann die Geschichtswissenschaft im Streit der Werte und der Ideo­logie, d. h. vor allem den Gegensatz zwischen dem Historismus und dem Historischen Materialismus. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Geschichtsbetrachtungen, die jeweils der anderen den Wissenschaftscharakter absprachen, prägte das historische Denken in einer »zweiten Sattelzeit« (ca. 1870–1920), die maßgebliche Wei­chenstellungen für das 20. Jh. vornahm.

In seiner Übersicht über die Entwicklung des historischen Denkens nimmt die Darstellung von Max Webers Denken einen breiten Raum ein. Für J. ist Weber ein Vorbild für die Sozialgeschichte seit den 1960er Jahren. Denn auf Grund seines fächerübergreifenden Denkens wurde er, der auch den Konflikt zwischen bürgerlicher und materialistischer Geschichtsschreibung überwand, »zum personifizierten Inbegriff der Historischen Sozialwissenschaften, die die disziplinäre Enge überwinden wollten, welche die ältere auf Eigenständigkeit ihrer Disziplin bedachte Geschichtswissenschaft geschaffen hatte« (77). Für viele Vertreter dieses älteren Verständnisses von Geschichtswissenschaft war Weber schon durch seine Betonung der Rationalität und Offenheit des Wissenschaftsdiskurses nicht anschlussfähig.

Es folgt eine Darstellung des Einflusses der Schule der Annales auf die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 und die Entwicklung der Volksgeschichte, die sich in Deutschland seit den 1920er Jahren entwickelte und eine deutliche Nähe zur NS-Ideologie aufwies. Auch die Entwicklung der Sozial- und Strukturgeschichte in Westdeutschland und ihre politischen Rahmenbedingungen werden sachlich richtig nachgezeichnet. Dabei werden auch einzelne herausragende Vertreter der Sozialgeschichte, wie der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler, vorgestellt.

Einen breiten Raum nimmt die Darstellung der Geschichtswissenschaft in der Postmoderne ein. Unter dieser Überschrift werden neuere Ansätze innerhalb der Ge­schichtswissenschaft, wie die Alltagsgeschichte, die Mikrohistorie, die Mentalitätsgeschichte oder die neue Kulturgeschichte, vorgestellt und entsprechend gewürdigt.

J.s Buch verdeutlicht die Dynamik des geschichtswissenschaftlichen Denkens seit 1750, die auch in der Zukunft von den Historikerinnen und Historikern zu erwarten ist. Seinem Geschichtskonzept liegt dabei ein ethisches Verständnis von Geschichtswissenschaft zu Grunde, das von den einzelnen Historikerinnen und Historikern eine dreifache Verantwortung fordert: gegenüber »den Fachinhalten, gegenüber den Vertretern und Institutionen der eigenen Wissenschaft und gegenüber einer Öffentlichkeit, deren Bildung und Wohl der ganze Einsatz gilt« (218). J. hat eine solide problemorientierte Einführung in die Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft vorgelegt, die bei den an theoretischen Fragen interessierten Studierenden gebührende Beachtung finden wird.