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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1349–1350

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hamm, Berndt, Herbers, Klaus, u. Heidrun Stein-Kecks [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Sakralität zwischen Antike und Neuzeit.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2007. 294 S. m. Abb. gr.8° = Beiträge zur Hagiographie, 6. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-515-08903-6.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Der Band präsentiert Vorträge, die auf einer vom Zentrum für europäische Mittelalter- und Renaissanceforschung und vom Erlanger Graduiertenkolleg »Kulturtransfer im europäischen Mit­telalter« gemeinsam veranstalteten Tagung gehalten wurden. Das Herausgeberteam setzt sich aus ausgewiesenen Spitzenforschern der Kirchengeschichte, der mittelalterlichen Geschichte und der mittleren und neueren Kunstgeschichte zusammen. Ziel der Tagung und zugleich Absicht des vorliegenden Bandes ist es, »in einer Art historischer Phänomenologie den Blick auf die in den schriftlichen, bildlichen und baulichen Zeugnissen hervortretende Eigenart, Widersprüchlichkeit und Veränderungsdynamik von Sakralitätsphänomenen zu lenken, die nicht auf einen universalen und ontologischen Nenner zu bringen sind« (7). Das chronologische Spektrum der im Band versammelten 15 Beiträge erstreckt sich dann auch von vorchristlicher Zeit bis ins 18. Jh., das geographische von Europa bis hin nach China und Japan.

Das bei Tagungsbänden gelegentlich auftauchende Problem, dass dem Leser ein nur wenig konturiertes Sammelsurium aus lose verbundenen Einzelbeiträgen geboten wird, hat sich auch in diesem Falle nicht vollständig vermeiden lassen: Zu groß ist der Abstand zwischen den Problemen des Sabbat als sakralisierter Zeit (Eve-Marie Becker, 23–41) und hagiographischen Darstellungsweisen in der altnordischen Sagaliteratur (Hubert Seelow, 137–144), zu breit das Spektrum von der Zweinaturenlehre des Konfuzius bei Zhang Zai (Michael Lackner, 171–183) bis zur protestantischen Hagiographie in John Foxe’s »Acts and Monuments« (Martin Ohst, 275–287). Die Herausgeber haben diese Schwierigkeit natürlich gesehen und versuchen, ihr dadurch zu begegnen, dass sie die durchaus disparaten Beiträge fünf inhaltlichen Kategorien zuordnen. In Rubrik I sind vier Beiträge versammelt, die sich mit Konzeptionen, Begründungen und Legitimierungen von Heiligkeit befassen; unter ihnen verdient der Aufsatz von Susanne Wittekind über die Konstruktion von Heiligkeit in hochmittelalterlichen Bildviten am Beispiel von Visionsdarstellungen besondere Beachtung (43–60). In Rubrik II über die Präsenz des Heiligen im Raum finden sich drei Beiträge, unter denen der von Carola Jäggi über die paradoxe Vorstellung von Kirchen als heiligem Raum sowohl für die Archäologie als auch für die Geschichte und für die Theologie wichtige Einsichten zutage fördert (75–89). In Rubrik III »Heiligkeit im Verhältnis zur politischen und gesellschaftlichen Ordnung« finden sich drei Aufsätze zum Oberthema »Heiligkeit und Herrschaft«. In Rubrik IV »Spannungen im Heiligkeitsverständnis« handelt u. a. Susanne Köbele über Grenzfälle von Heiligkeit in der mittelalterlichen Mystik (147–169). Rubrik V schließlich ist mit »Entwicklungen, Umbrüche und Kontinuitäten von Heiligkeit« überschrieben. Neben dem bereits genannten, lehrreichen Aufsatz von Martin Ohst finden sich hier Ausführungen von Heidrun Stein-Kecks über »Bild und Vorbild für das monastische Leben« (237–260) und der längsschnittartig angelegte Beitrag von Michele C. Ferrari über »Kult, Sakralität und Identität in Zürich 800–1800« (261–274).

Man kann fragen, ob durch die vorgenommenen Kategorisierungen tatsächlich eine höhere inhaltliche Geschlossenheit des Bandes erreicht wird. Die Tatsachen, dass einerseits manche der Titel nur mit einiger Mühe in der Rubrik unterzuordnen sind, in der sie gelandet sind, und dass andererseits Beiträge durchaus in einer anderen Rubrik vorstellbar wären als in der gewählten, lassen hier zu einer gewissen Skepsis neigen. Dieses Manko wird aber mehr als aufgewogen durch die durchweg sehr hohe wissenschaftliche Qualität jedes der 15 Aufsätze. Was Maximilian Forschner auf nur acht Seiten (15–22) unter dem Obertitel »Frömmigkeit und Heiligkeit« über die Diskussion von Platons Dialog »Eutyphron« bei Abaelard und Thomas zutage fördert, kann als beispielhafter Forschungsbeitrag zur Wirkungsgeschichte Platons in der Scholastik gelten. Hanns Christof Brenneckes Ausführungen über Heiligkeit als Herrschaftslegitimation am Beispiel der Vita Danielis führen Arbeiten desselben Verfassers zur Herrschaftslegitimation in spätantiker Zeit weiter (115–122). Gleiches gilt vom Aufsatz Berndt Hamms, der seinen angesehenen Publikationen über die »nahe Gnade« im Spätmittelalter eine Studie über »Ars moriendi, Totenmemoria und Gregorsmesse« zur Seite stellt (185–221) und sie dadurch weiterführt.

Insgesamt liegt ein Band vor, dessen einzelne Beiträge überzeugen, der aber trotz aller Herausgeberbemühungen die Geschlossenheit etwas vermissen lässt, was an der enormen Weite des Themas »Sakralität zwischen Antike und Neuzeit« liegt. Zu diesem Befund trägt auch bei, dass, anders als in manchen anderen Ta­gungsbänden, keine Abschlussdiskussion dokumentiert ist. Aber wie dem auch sei: Wer die bibliographische Findigkeit besitzt, bis zum vorliegenden Band vorzudringen, wenn er nach einem guten wissenschaftlichen Beitrag zu einem der 15 behandelten Themen sucht, wird den dann aufgefundenen Aufsatz in jedem Falle mit großem Gewinn lesen.