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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1177–1181

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Röhm, Eberhard u. Jörg Thierfelder

Titel/Untertitel:

Juden –­ Christen –­ Deutsche 1933–1945. Bd. 2: Teil 1 und 2: 1935–1938. 457 u. 351 S. Bd. 3: Teil 1 und 2: 1938 bis 1941. 451 u. 400 S. jeweils mit zahlreichen Abb. 8°

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1992/1995 = Calwer Taschenbibliothek, 9/10 und 50/51 Kart. je DM 34,­. ISBN 3-7668-3022-8, 3-7668-3176-3, 3-7668-3393-6, 3-7668-3398-7

Rezensent:

Eike Wolgast

Dem die Zeit von 1933 bis 1935 umfassenden Band 1 des Werkes "Juden, Christen, Deutsche" (vgl. ThLZ 116, Sp. 442-445) sind in den vergangenen Jahren vier Teilbände gefolgt. Die Anlage ist gleichgeblieben: Darstellung und Dokumentation, unterstützt durch zahlreiches Bildmaterial. Der historischen Entwicklung entsprechend, ist in den Bänden 2 und 3 die ökumenische Dimension einbezogen worden. Während der erste Band unter dem Stichwort "Ausgegrenzt" stand, ist für die Folgebände als Kennzeichnung gewählt worden: "Entrechtet" (1935-38) und "Ausgestoßen" (1938-41). Reichte für die Jahre 1933-35 einschließlich der historischen Einführung ein Band aus, spiegelt der gestiegene Umfang der nächsten Bände schon äußerlich die zunehmenden Repressionen und Verfolgungen wider. Die Dokumentationsbasis konnte durch Bestände des heutigen Bundesarchivs Potsdam (ehem. Zentrales Staatsarchiv der DDR) und durch Akten des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf verbreitert werden, so daß die Bände in größerem Umfang als Bd. 1 bisher unveröffentlichtes Material auswerten.

Die Fülle der zur Sprache gebrachten Themen und Aspekte kann im Folgenden nur auswahlweise berührt werden. Hingewiesen sei vorab darauf, daß fast ausschließlich die Evangelische Kirche behandelt wird; insofern ist der Titel nicht ganz korrekt. In bestürzender Eindeutigkeit rechtfertigen die vorgelegten Zeugnisse zum Umgang der Kirche, auch der Bekennenden Kirche, mit den Verfolgten die kritische Bemerkung Niemöllers von Mai 1936: "Wir scheinen ja wahrhaftig an dem Punkt zu sein, daß die alte Kirche nach diesen zweieinhalb Jahren wieder bei der Überzeugung angelangt ist: Die Kirche darf die Botschaft des Herrn Christus nur soweit vertreten und bezeugen, als dies mit ihrer Sicherheit vereinbar ist" (Bd. 2/I, 330). Genau dieser Einstellung entsprach die Rechtfertigung des Ratschlags, den eine der Säulen der BK, der westfälische Präses Koch, dem wegen seiner jüdischen Herkunft bedrängten Bochumer Pfarrer Ehrenberg 1937 gab, als er ihm riet, die angebotene Pensionierung anzunehmen: "Ich bitte Sie versichert zu sein, daß lediglich der Gesichtspunkt der Kirche für meinen Rat maßgebend ist" (Bd. 2/II, 50). "Der Gesichtspunkt der Kirche", die Furcht, die Institution zu gefährden, die Sorge vor der Diffamierung als unpatriotisch und nichtnational, antijudaistische oder sogar rassenantisemitische Vorurteile ­ dieses Syndrom beeinflußte vielfach das Verhalten der Amtsträger und Kirchenmitglieder gegenüber den getauften Juden. Immer wieder wird in den einzelnen Bänden die kirchliche Engführung deutlich, die kaum je den Blick über den eigenen Bereich hinaus auf die Glaubens- oder agnostischen Juden wagte, geschweige denn sich mit ihnen solidarisierte. Für sie fühlten sich die Christen, auch wenn sie der BK angehörten, offensichtlich nicht verantwortlich.

Die beiden Teilbände von Bd. 2 umfassen den Zeitraum zwischen Nürnberger Gesetzen (15. Sept. 1935) und Pogrom (9./10. Nov. 1938). Nach einer kurzen Einführung in Entstehung, Inhalt und Konsequenzen der Rassegesetze wird in Bd. 2/I zunächst die Preußensynode der BK in Steglitz (Sept. 1935) dokumentiert, bei der auf Verlangen von Präses Koch, der mit seinem Rücktritt drohte und von Meiser unterstützt wurde, der Versuch, die Verfolgung der Juden generell zu diskutieren, unterbunden wurde, so daß nur ein Wort zu den "Judenchristen" gesagt werden konnte. Ein Votum von Ernst Wolf, einem Schüler Barths, das darauf verwies, daß die Kirche den ungetauften Juden gegenüber nicht "von der Christenpflicht der Nächsten- (und der Feindes-)liebe entbunden" sei (412), blieb unberücksichtigt. Aber selbst Wolf zollte dem Zeitgeist Tribut, wenn er zwar dagegen protestierte, daß Juden vom Orgeldienst im Gottesdienst ausgeschlossen werden sollten, aber doch hinzufügte: "So gewiß deutsches und jüdisches Musikempfinden verschieden sind" (413).

Ausführlich und mit vielen Zitaten wird der innerkirchliche Streit über die Taufe von Juden bzw. die Separierung der "Judenchristen" in eigenen Gemeinden referiert (74 ff.). Gegen die Ausgrenzung ungetaufter Juden aus der Gesellschaft hatte die Kirche nichts einzuwenden; so sprach sich der württembergische Oberkirchenrat 1935 gegen die Betreuung von Kindern "rein jüdischer Familien" (96) in evangelischen Kindergärten aus. Andere Fragen, bei denen jeweils um des vermeintlichen Ganzen willen der dem Staat mißliebige Teil geopfert wurde, betrafen die Beteiligung jüdischer Kinder an kirchlichen Freizeiten, Übernahme von Amtsvormundschaften, Bestattung christlicher Juden auf kirchlichen Friedhöfen. Im Zusammenhang mit den ersten Bemühungen um internationale kirchliche Hilfskomitees für Emigranten ist der Heidelberger Pfarrer Maas gewürdigt (127 ff.; Biographie und Wirken von Maas werden in den anderen Teilbänden mehrfach wieder aufgenommen).

Entstehungsgeschichte und Folgen der berühmten Denkschrift der zweiten Vorläufigen Leitung der DEK von 1936 an Hitler werden dargestellt und dabei Friedrich Weißler, der im KZ umgebracht wurde, und Werner Koch gewürdigt. Von besonderer Wichtigkeit ist das Kapitel über den von der BK 1937 eingesetzten Ausschuß zum Studium der Judenfrage mit bisher ungedruckten Thesen und Denkschriften von H. Maas (291 ff.) und F. Hildebrandt (419 ff.). Dem kontrastiert der Abschnitt über den angesehenen Tübinger Neutestamentler Gerhard Kittel, der sich für antisemitische Propaganda hergab (310 ff.). Ein umfangreiches Kapitel ist dem Schicksal der nichtarischen Kirchenmusiker gewidmet (247 ff.). Ein üblicherweise wenig beachteter Aspekt wird unter dem Stichwort "Die Pfarrämter als ´Sippenforschungsinstitute´" behandelt (337 ff.).

Bd. 2/II enthält die Biographien von fünf Pfarrern jüdischer Herkunft: Bruno Benfey ­ Göttingen, Hans Ehrenberg ­ Bochum, Heinrich Lebrecht ­ Groß-Zimmern (Hessen), Willy Ölsner ­ Berlin und Kurt Lehmann ­ Durlach (vgl. schon Bd. 1, Kap. 22). Dokumentiert wird ferner u. a. der Komplex "Arierfrage in Anstalten der inneren Mission" (121 ff.): Aus Furcht vor Entzug fiskalischer Privilegien wurde seit 1936 nichtarischen Bewerbern die Aufnahme in Diakonen- und Diakonissenanstalten verwehrt. Die Schwierigkeiten bei Auswanderung sind im Briefwechsel zwischen Friedrich von Bodelschwingh und einem christlichen Juden aus dem Jahre 1938 in beklemmender Eindringlichkeit verdeutlicht (157 ff.). Es folgt dann ­ in etwas beliebiger Reihenfolge und Themenwahl ­ die Darstellung der Vertreibung Alice Salomons (163 ff.). Sehr kurz wird die "Heimsuchung der Juden nach dem ´Anschluß´ Österreichs" (185 ff.; 190 ist offensichtlich der bekannte Kulturkritiker und Schriftsteller Egon Friedell gemeint) abgehandelt ­ hier hätte mehr getan werden können.

Kap. 39 ist den internationalen kirchlichen und politischen Bemühungen um eine Lösung des Flüchtlingsproblems gewidmet (Evian Juli 1938, Larvik Aug. 1938). Ganz aus den Akten haben die Vff. die Geschicke der Organisationen christlicher Juden erarbeitet (226 ff.); danach folgt eine Darstellung der Anfänge des Büros Grüber (258 ff.).

Etwas unmotiviert ist in dieses Kapitel der Wortlaut der Fürbitte für die Juden aus der Bußtagsliturgie der BK 1938 integriert (276; vollständiger abgedruckt in Bd. 3/I, 48 f. ­ jeweils aus verschiedenen Quellen und mit unterschiedlicher Angabe der Entstehungszeit). ­ Während es in Bd. 2/II zutreffend heißt, die Gottesdienstordnung sei am 5. Okt. 1938 "wie in Vorahnung" der Pogromnacht entstanden, wird der Text in Bd. 3/I, 48 in das Kapitel über Reaktionen auf die Pogromnacht eingefügt mit der Bemerkung, er sei "unter dem Eindruck der Ereignisse" entstanden.

Die Teilbände von Bd. 3 durchzieht wie ein roter Faden, wenn auch immer wieder durch Dokumentation anderer Themen unterbrochen, die Arbeit des Büros Grüber. In Bd. 3/I wird anhand der zentralen Texte zunächst über den Pogrom vom 9./10. Nov. berichtet, danach ausführlich über die Reaktion der evangelischen Christen (42 ff.). Dabei sind Beispiele einzelner Prediger genannt; genauer dargestellt wird das Schicksal von Julius von Jan, Pfarrer im württembergischen Oberlenningen, der mit einer mutigen Bußtagspredigt seine Kirchenleitung und viele Amtskollegen beschämte, dafür aber auch in der Verfolgung fast allein gelassen wurde (69 ff.) In dem Kapitel "Innere Mission im Konflikt" wird das Taktieren des Centralausschusses gegenüber den nichtarischen Christen behandelt. Um sich nicht fiskalischen Pressionen auszusetzen, empfahl das Leitungsgremium ­ mit Zustimmung Bodelschwinghs und Braunes, des Leiters der Lobetaler Anstalten, ­ im Dez. 1938, notfalls gesonderte Heime für diese Personengruppe einzurichten. Eine Anfrage Leo Baecks bei Bodelschwingh 1940, ob nicht eine Abteilung der Betheler Anstalten für die landwirtschaftliche Umschulung von Juden genutzt werden könnte, beschied dieser unter Hinweis auf Platzmangel abschlägig, bemühte sich aber für Baeck an anderen Orten der Diakonie.

Auf Bodelschwingh wie auf Grüber fallen durch Dokumente in diesem Band manche Schatten. Bodelschwingh ließ sich in einem Privatschreiben an Braune im Jan. 1939 auf eine fatale Differenzierung zwischen Deutschen und Juden und damit auf eine Ausgrenzung der Letzteren aus der deutschen Gesellschaft ein und hielt die Bildung einer judenchristlichen Kirche, wenn sie durch die staatlichen Rassegesetze erzwungen würde, für mit dem Evangelium vereinbar. Als Parallele nutzte er die Beziehungen zwischen der deutschen und der arabischen Gemeinde in Palästina: "Die stolzen Araber empfinden sich durchaus nicht als eine minderwertige Rasse. Trotzdem werden von beiden Seiten der Rasse Grenzen in Beziehung auf Heirat usw. festgehalten. Darum organisieren sich die arabischen evangelischen Gemeinden als selbständige Gebilde mit eigenen Pastoren und eigenen Gottesdiensten. Um so eindrücklicher ist es dann, wenn bei besonderen Anlässen die beiden Kirchen als gemeinsame, gleichberechtigte Glieder der Kirche Jesu in Erscheinung treten" (257). Bei Grüber gab es offensichtlich, selbst wenn bei der Entstehung mancher Texte die Verwendung äsopischer Sprache berücksichtigt wird, beträchtliche Residuen antijudaistischer Vorbehalte (vgl. 249 ff.).

Dokumentiert wird die Entwicklung des Ökumenischen Flüchtlingsdienstes, was mit einer Biographie von dessen Sekretär Adolf Freudenberg kombiniert ist (270 ff.). Irrig ist freilich, im Zusammenhang mit der Emigration von Juden aus dem deutschen Herrschaftsbereich davon zu sprechen, daß "Flüchtlingsströme aus... auch der stalinistischen Sowjetunion" geflossen seien (so 260) ­ Rußland hielt damals seine Grenzen bereits fest verschlossen. Bewegende Dokumente christlicher Solidarität enthält das Kap. 23 über die Rettung jüdischer Pfarrer und ihrer Familien. Auf Initiative des Bischofs Bell lud die englische Kirche Anfang 1939 über 30 gefährdete jüdische Geistliche ein. "Wir alle", heißt es im Einladungsschreiben, "wollen unser Bestes tun, um Sie glücklich zu machen, und heissen Sie von Herzen willkommen. Wir grüssen Sie als Mitchristen und sind froh, Ihnen helfen zu können" (Faksimile 283). Die Biographien von zwei verfolgten Pfarrern (Ernst Lewek ­ Leipzig und Alfred Goetze ­ Braunschweig) schließen sich an (300 ff.), bevor ein umfangreiches Kapitel resümierend einen Überblick über das Schicksal der nichtarischen Pfarrer in den deutschen Landeskirchen gibt (341 ff.).

Bd. 3/II nimmt verschiedene Themen aus den vorhergehenden Bänden wieder auf. Als Schwerpunkte werden gesetzt: der fortwirkende Antisemitismus in weiten Teilen der Kirche, die Arbeit des Flüchtlingsdienstes des ÖRK, das Vorgehen der Gestapo gegen Judenmission und Büro Grüber. Zunächst sind judenfeindliche Handlungen und Stellungnahmen der Amtskirche aus dem Jahre 1939 zusammengestellt. Die Landeskirchen von Anhalt, Lübeck, Mecklenburg, Sachsen und Thüringen verstießen durch Kirchengesetze ihre jüdischen Mitglieder. Erklärungen der "Landeskirchenführerkonferenz" (mit Marahrens, Meiser und Wurm als Mitglieder) und der Konferenz der Landesbruderräte vertieften mit theologischer Verbrämung die Kluft zwischen jüdischer und christlicher Religion. Zusätzlich legitimierten die Kirchenführer die staatliche Ausgrenzungspolitik: "Im Bereich des völkischen Lebens ist eine ernste und verantwortungsbewußte Rassenpolitik zur Reinerhaltung unseres Volkes erforderlich" (28). Kap. 29 gilt dem im gleichen Jahr von den deutschchristlichen Landeskirchen gegründeten "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", während im Folgenden die "Entjudung" des kirchlichen Lebens an Beispielen dokumentiert wird: Umdichtung von Kirchenliedern, Forderung nach Umtaufe von Kirchen (dazu das erstmals auszugsweise publizierte, ausweichend taktierende Gutachten der Kirchenkanzlei 62 ff.), Änderung von Kirchensiegeln. In Bremen wurde 1937 nicht nur eine "Hindenburg-Gedächtnis-Kirche" eingeweiht, sondern auch eine "Horst-Wessel-Kirche".

Zur Alltagssituation der Verfolgten (Kap. 33) ist ergänzend auf die jüngst publizierten Tagebücher Victor Klemperers zu verweisen (Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten, 2 Bde. Berlin 1995) ­ eine Quelle für das tägliche Leben eines Juden in Deutschland zwischen 1933 und 1945 von bisher unbekannter Intensität.

Nachgezeichnet werden die Entwicklungsstadien der ökumenischen, internationalen und nationalen (Frankreich, England, Niederlande) Flüchtlingshilfen, wobei zumeist auf ungedrucktes Material zurückgegriffen wird; in diesem Zusammenhang ist auch der Flüchtlingsseelsorger Friedrich Forell behandelt. Kap. 40 beschreibt die Deportation der etwa 7.000 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland 1940 nach Gurs. Erzbischof Gröber setzte sich beim Nuntius in Berlin für die katholischen Deportierten ein, während Pfarrer Maas ohne Rücksicht auf die Religionszugehörigkeit zu helfen versuchte. Dem chronologischen Prinzip folgend, wird in Bd. 3/II die Biographie Benfeys wieder aufgenommen und seine Tätigkeit als Flüchtlingspfarrer in den Niederlanden gewürdigt. Obwohl Braune wie auch Wurm mit Eingaben an Hitler und andere Reichsinstanzen gegen die "Verlegung" jüdischer Patienten aus den kirchlichen Heil- und Pflegeanstalten Einwendungen erhoben (282 ff.), wurden aus Bethel im Sept. 1940 acht epileptische oder geistesschwache jüdische Pfleglinge abtransportiert, die von ihren Angehörigen nicht geholt bzw. von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland nicht anderwärts untergebracht werden konnten ­ ihr Schicksal ist unbekannt.

Den Abschluß des Bandes bildet die Darstellung des Endes des Büros Grüber; damit verbinden die Autoren die Biographie von Grübers Stellvertreter Werner Sylten, der im August 1942 im KZ ermordet wurde.

Der Wert des Werkes "Juden ­ Christen ­ Deutsche" ist mit den vorliegenden fünf Teilbänden nachdrücklich unter Beweis gestellt. Dennoch sei ­ angesichts der Fülle der behandelten Themen ­ auf zwei Gefahren aufmerksam gemacht, vor denen sich die Verfasser stärker, als in Band 2 und 3 gelegentlich geschehen ist, bei ihrer Weiterarbeit hüten müssen: Das Werk kann weder eine Dokumentation des Kirchenkampfes liefern noch eine Dokumentation der Judenverfolgung und -vernichtung. Der eigene Skopus muß diszipliniert im Auge behalten werden, um nicht in nahezu beliebige Assoziationen abzugleiten.

In Bd. 2 und 3 zeigen sich zudem gewisse Nachteile des an sich einsichtigen chronologischen Aufbaus. Nicht selten werden Zusammenhänge zerrissen, Biographien unterbrochen, Themen wieder aufgenommen. Nicht zuletzt dadurch kommt es gelegentlich zu Dubletten. Vielfach wünschte man über das Leben von behandelten Personen jenseits des chronologischen Schemas weitere Informationen. Problematisch erscheint die Verwendung des zeitgenössischen Terminus "Judenchristen" ­ ntl. entsprächen ihm als Gegenüber die "Heidenchristen", während im Kontext des Werkes stets als Entsprechung die deutschen nichtjüdischen Christen gemeint sind.

Eine Frage drängt sich nach der Lektüre der Bände auf: Was wurde nach 1945 aus all den sich als Christen verstehenden Eingabenverfassern und Stürmer-Leserbriefschreibern, den kleinen Denunzianten und den PG-Kirchenältesten, die gegen ihren jüdischen Pfarrer zu Felde zogen? Was geschah etwa dem Stuttgarter Senatspräsidenten, der den Pfarrer Jan wegen seiner Bußtagspredigt von 1938 zu 16 Monaten Haft verurteilte, während die Anführer des Pöbels, der den Pfarrer körperlich schwer mißhandelte, straflos ausgingen? Der aus Göttingen mit Hilfe seines deutsch-christlichen Amtsbruders vertriebene Pfarrer Benfey fand nach seiner Rückkehr 1945 ebendiesen Kollegen noch vor und mußte bis zu seinem Tode neben ihm an derselben Kirche wirken. Ob sich die vielen frommen Helfer des Systems nach dem Zusammenbruch ihrer Handlungsweise wenigstens geschämt haben?

Abschließend bleibt der Wunsch, daß der letzte Band des wichtigen Werkes nicht allzu lange auf sich warten lassen möge. Unverzichtbar ist ferner ein Gesamtregister.