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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1339–1342

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Frey, Jörg, Watt, Jan Gabriël van der, and Ruben Zimmermann [Eds.]

Titel/Untertitel:

Imagery in the Gospel of John. Terms, Forms, Themes, and Theology of Johannine Figurative Language. In Collab­oration with G. Kern.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. IX, 495 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 200. Geb. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-149116-0.

Rezensent:

Michael Labahn

Die Herausgeber, die als ausgewiesene Experten des Verständnisses der johanneischen Bilderwelt bekannt sind, haben einen gewichtigen Sammelband mit 17 Aufsätzen vorgelegt, der auf eine Tagung mit dem gleichlautenden Titel (Eisenach 2005) zurückgeht. Der einführende Forschungsbericht von R. Zimmermann arbeitet die Bedeutung der Bilder für das Verständnis des vierten Evangeliums heraus und zeigt, dass sich diese in der Forschungsgeschichte nicht immer selbstverständlich anerkannte Einsicht inzwischen durchgesetzt hat.

Überraschend ist die Rolle, die die diachrone Fragestellung im Sammelband spielt. Ohne Zweifel ist die Frage nach möglichen Diskussionen der Bilder innerhalb des joh Kreises wichtig. Auch die Frage nach ihrer Herkunft sowie der sie vermittelnden Überlieferung(en) ist berechtigt. Aber dies besagt nicht, dass das vorliegende Evangelium ein »defekter Text« ist, dessen Bilder ›restauriert‹ werden müssen, wie es F. Siegert vorschlägt. Dieser Impuls führt nicht zum Verstehen der joh Bilderwelt, sondern ersetzt das Kunstwerk des Textes durch ein alternatives Gemälde seines Exegeten. J. Zumsteins Hinweis auf die relecture zeigt, dass alterna­tive Deutungskategorien für spätere Zusätze als die der Restaurierung bereitstehen; die Hermeneutik der relecture trägt in jedem Fall dem auszulegenden Werk eher Rechnung. In seinem eigenen Beitrag zur Weinstock-Metapher aus Joh 15,1 ff. geht Zumstein der internen relec­ture als einer Methode, die dem Verstehen von Metaphern durch Kommentierung als »Epitext« Grenzen setzt, ebenso nach wie der Frage nach der Kontextualisierung, die er in »einem ethisch-ekklesiologischen Sinn« zu Joh 14 bestimmt (153). Von einem diachronen Modell geht auch Anderson aus, der aus seiner literarkritischen These der Bi-Optic-Gospels Konsequenzen für das Verständnis der joh Bilder zieht, insofern er die Grenzen der symbolischen Interpretation in Relation zu historischer Erinnerung zu klären und zu gewichten sucht. Trotz notwendiger Skepsis gegenüber seiner subtilen literarkritischen Konstruktion ist die Forderung von größerer Präzision in der Bestimmung joh »Symbole« von erheblicher Be­deutung – dies gilt auch gegenüber Anderson selbst, bei dem »theo­logization« und »symbolization« scheinbar austauschbar sind.

Verschiedene Beiträge lassen erkennen, dass kein Widerspruch zwischen Bildersprache, Metaphorik/Rhetorik und zielorientierter Argumentation besteht. Im Gegenteil: Die joh Bildsprache dient auf unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation von Sinn: »Die joh Bildsprache gehört zum genuin joh argumentativen Prozess« (Zumstein; 156), die auf Akzeptanz und Einsicht zielt. Auch van der Watt sucht die argumentative Funktion der joh Bilderwelt zu bestimmen und findet ihr Sinnpotential bestätigt bzw. erweitert. Anhand ausgewählter Beispiele der joh Bilderwelt kann er zeigen, dass »imagery as a rhetorical tool« eingesetzt wird (424; s. auch 447), und zwar als »pregnant vehicles for ethical arguments« (447). Auch religionsgeschichtliche Vergleiche insbesondere zur mittelplatonischen Philosophie (H. W. Attridge und R. Hirsch-Luipold) zeigen die argumentative Valenz der Bilder, wobei Attridge den surrealen Charakter in Analogie zum Kubismus des 20. Jh.s herausstellt.

Anhand der hellenistischen Königsvorstellung arbeitet U. Busse die gestaltende Rezeption von Bildfeldern in »Ausfaltung«, »Brechung« und »Einbindung« aus dem religionsgeschichtlichen Kontext des vierten Evangeliums in einem Dreischritt von der politischen »Wirklichkeit« seit Alexander, der philosophischen Reflexion hin zum joh Bildprogramm heraus. Auch Silke Petersen zeigt in ihrem Beitrag zur Lichtmetaphorik die Anschlussfähigkeit eines joh Bildprogramms auf dem Hintergrund spätantiker Enzyklo­pädie; in Konzentration auf Joh 8,12 erörtert und profiliert sie rezeptionsästhetisch die joh Ich-Bin-Aussage im Vergleich mit »gnostischen« Texten; sie interpretiert in diesem Kontext das joh Programm »reduktionistisch«, da es ein, mich angesichts des Netzwerkes der Lichtaussagen nicht überzeugendes, Desinteresse an Wissen und Erkenntnis, aber auch an kosmologischen Spekulationen oder an Identifikationen Gottes mit dem Licht gebe (136 f.). Zudem findet die Bedeutung der Schrift als Inspirationsquelle der joh Bilderwelt und ihrer kreativen joh Hermeneutik erneut Bestätigung, z. B. durch Marianne M. Thompson in ihrer Analyse der joh Gottesbilder, die eine Geschichte erzählen: »it presents God as the God of Israel«, der als Quelle des Lebens Leben durch Jesus, den Messias und Gottessohn, gibt (276).

Die Frage nach den Rezeptionsvorgängen sucht J. T. Nielsen zu klären: Er zeigt, dass das Verständnis des »Lammes Gottes« im Horizont seiner traditionsgeschichtlichen Herleitung (Erarbeitung der möglichen »mental spaces«: die Lamm-Gottes-Metapher als kognitive Integration von Jes 53 und Passalamm) und seiner joh Hermeneutik zu einem innovativen Neuverständnis führt. Er untersucht die kognitive Funktion von Metaphern und wendet die »conceptual blending theory« an, die der Frage nachgeht, wie neue Sinnkonstruktionen durch die menschliche Vorstellungskraft er­zeugt werden.

Verschiedene Beiträge dienen inhaltlichen und sachlichen Klärungen; Hirsch-Luipold arbeitet differenziert Aspekte der Terminologie auf dem Hintergrund des Mittelplatonismus heraus, wobei man fragen darf, ob die lokale Deutung (85) des joh παρρησία-Konzepts trägt. Er erinnert daran, dass die figurative Sprache dem Sachverhalt der Sarxwerdung im Kontext antiker Philosophie gerecht wird: »Als Brücke zur Überwindung der Dialektik zwischen Gott und Welt bietet sich der schon im Mittelplatonismus geläufige Gedanke an, dass sich der göttliche Logos in Welt und Geschichte bildhaft abzeichnet und so die Spuren Gottes aus der Welt zurückverfolgt werden können«; dies werde »im Johannesevangelium auf einen Punkt innerhalb von Geschichte und Welt zugespitzt«. Uta Poplutz trägt zur Präzisierung der Verhältnisbestimmung zwischen viertem Evangelium und den Synoptikern bei, indem sie in ihrer Studie die Begriffe paroimia und parabolē in den Gleichniskonzepten bei Markus und Johannes vergleicht und Berührungen herausarbeitet. Obgleich die Gleichnisreden »in der geschichtlichen Situation ein tiefes Unverständnis« erzeugen (120), zielt ihre Pragmatik auf Verstehen im Horizont von Kreuz und Auferstehung. Weitere inhaltlich orientierte Beiträge thematisieren die mit dem Täufer verbundene Symbolik (Zeuge und Freund; Mary L. Coloe), die narrative Untersuchung der Hirtenmetaphorik in ihrer Anwendung auf Petrus (D. F. Tolmie: Linienführung von 10,11 über 13,36–38 und 18,1 ff. hin zu 21,15 ff.) und die Entwürfe von Kirche in Joh 21,1–14, wobei dieser Analyse Joh 1–21 als literarische Einheit zu Grunde liegen (R. A. Culpepper). Dass die joh Bilder auch Anthropologie entfalten, macht C. R. Koester anschaulich deutlich, wobei er das Thema »Leben« und die dunkle Folie der Trennung des Menschen von Gott in den Mittelpunkt rückt; vorgestellt werden die Bilder von Hunger, Durst und Dunkelheit.


Dem Anspruch des Bandes gemäß liegt ein besonderes Gewicht auf der methodisch-hermeneutischen Seite. Exemplarisch sei auf die Bestimmung der Bedeutung metaphorischer Aussagen durch Zumstein anhand der Weinstockrede hingewiesen: Sie bringen »eine fiktive Welt zur Sprache, welche eine neue Wahrnehmung der Wirklichkeit ermöglicht … eine fiktive Welt, welche die mensch­liche Existenz beleuchtet, genauer formuliert: sie neu erschließt« (142). In diesem Horizont wird die Metapher von Weinstock, Gärtner und Reben zum Schlüssel der zweiten Abschiedsrede (143). Zimmermann verfolgt Gedanken seiner Habilitationsschrift Chris­tologie der Bilder im Johannesevangelium weiter, wenn er von einem »Networking of the Images« spricht (27); in Auseinandersetzung mit Bultmann und Dibelius macht Zimmermann nicht die Form der Bildrede als joh Spezifikum aus, sondern die Verbindung, Überlagerung und das Ineinander verschiedener Bilder. Hier besteht noch Klärungsbedarf, da die Relation der einzelnen Bilder bzw. Bildprogramme zueinander genau zu prüfen und zu beachten ist, wo, wie und in welchen Fällen sich eine Überlagerung ausmachen lässt. Weiterführend und diskussionsanregend sind auch die Überlegungen zu den Rezeptionsimpulsen durch die verwendeten Bilder »to open the Gospel to all people« (41); dabei kann allerdings nicht übersehen werden, dass sich nicht allen das joh Diskursuniversum eröffnet (vgl. Joh 6,37.44). Das Konzept sprachlicher und stilistischer Netzwerkbildung liegt auch dem Beitrag von P. Maritz und G. Van Belle zu Grunde, die sich dem Bild vom Essen und Trinken in Joh 6,35 widmen; durch die Untersuchung sprachlicher Varianz und Wiederholung wird die christologische Deutung der Metaphern gestützt.

Als Ertrag des materialreichen Sammelbandes lässt sich festhalten: Die joh Bildsprache will trotz ihrer Komplexität, die in vielen Beiträgen hervorgehoben wird, Verständnis und Einsicht in joh Theologie, Christologie, Ekklesiologie und Ethik generieren. Die unterschiedlichen, sich teilweise überlagernden Bilder verbinden das Evangelium mit zeitgenössischer Literatur und Argumentation. Zugleich schaffen sie bei aller notwendiger Frage nach der Relation der Bildprogramme im Einzelnen Kohärenz, ohne dass damit das Nachforschen nach ihrer Herkunft oder den Traditionen obsolet wäre. Register machen diesen Band zu einem hervorragenden Arbeitsinstrument und zu einem nützlichen Hilfsmittel für die, die sich mit der joh Bilderwelt auseinandersetzen.