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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1338–1339

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

DeMaris, Richard E.

Titel/Untertitel:

The New Testament in its Ritual World.

Verlag:

London-New York: Routledge 2008. X, 143 S. gr.8°. Kart. US$ 36,95. ISBN 978-0-415-43826-1.

Rezensent:

Christian Strecker

Die lange Zeit als Spezialthema der Ethnologie marginalisierte Ri­tualforschung ist im Zuge des Aufschwungs kulturwissenschaftlicher Forschung (cultural turn) in diversen wissenschaftlichen Diskursen zu einem Schlüsselthema avanciert. Es setzt sich die Einsicht durch, dass Rituale wichtige Einblicke in die Konstitution und Konstruktion von Gesellschaft, Kultur, Religion und Persönlichkeit bieten. Richard DeMaris will vor diesem Hintergrund die Ritualforschung im Bereich der neutestamentlichen Wissenschaft vorantreiben, denn: »ritual was central to, and definitive for, early Christian life« (11). Während sich die Altertumswissenschaft be­reits seit geraumer Zeit profiliert der großen Bedeutung der Ri­tuale in der antiken Mittelmeerwelt widme, beleuchte die neutes­tamentliche Forschung – so D. – das rituelle Leben der früh­christ­lichen Gemeinden bislang unzureichend. Studien zur Taufe und zum Herrenmahl offenbarten meist nur begrenzte Kenntnisse der rituellen Umwelt des frühen Christentums und rekurrierten kaum auf Ritualtheorien. D. plädiert daher für eine neue ritologische Er­forschung des Neuen Testaments unter Rekurs auf kulturanthropologische Ritualtheorien, das griechisch-römische rituelle Le­ben und die entsprechenden materiellen Zeugen der antiken Mittelmeerwelt. Dieses Konzept umsetzend, geht die Studie exemplarisch der Rolle von »boundary-crossing rites« (Rituale des Gruppen­ein- und -ausschlusses) im Neuen Testament nach.

In einer instruktiven Einleitung legt D. den gegenwärtigen Forschungsstand und sein Ritualverständnis dar. Er wendet sich gegen die klassische Deutung von Ritualen als bloße Medien der Kommunikation oder Repräsentation vorgängiger Ideen, Vorstellungen, Mythen u. Ä. D. betrachtet Rituale stattdessen als generative und kreative Handlungen, die je für sich und nicht auf hinter ihnen stehende Bedeutungen hin zu untersuchen seien.

Der erste Hauptteil des Buches ist entry rites gewidmet. In Kapitel 1 problematisiert D. den Forschungskonsens, wonach die Taufe im frühen Christentum von Anfang an allenthalben ohne Kontroversen als Initiationsritual praktiziert worden sei. D. zufolge ist die Taufe als Kriseninterventionsritual zur Entschärfung bzw. Regulierung jener sozialen Spannungen entstanden, die mit dem Eintritt in die christusgläubige Gemeinschaft als einer neuen fiktiven Familie und dem daraus resultierenden Bruch mit den bisherigen verwandtschaftlichen Bindungen einhergingen. Dergestalt in eine soziale Krise eingebunden, habe die Taufe selbst Auslöser sozialer Konflikte werden können. D. nennt vier Faktoren rituell induzierter bzw. forcierter sozialer Spannungen und appliziert sie auf die Taufe sowie andere frühchristliche Rituale: 1. das Versagen bzw. die falsche Anwendung von Ritualen; 2. die rituelle Markierung von Differenzen und Hierarchien; 3. das Auseinanderklaffen ritueller und alltäglicher Wirklichkeit; 4. der eventuell konfliktträchtige soziale Kontext von Ritualen. In Kapitel 2 geht D. der Bedeutung der Taufe in der römisch geprägten Stadt Korinth nach. Unter Heranziehung literarischer und archäologischer Quellen stellt er her aus, dass die hegemoniale Kontrolle über Wasser (Aquädukte, Bäder, Brunnen) den Römern als Mittel der Romanisierung der Umwelt diente. Von daher deutet er die Taufe als Ausdruck antirömischen Widerstands namentlich seitens der in die korinthische Gemeinde eingetretenen griechischen Bevölkerung. Das 3. Kapitel stellt die Taufe für die Toten (1Kor 15,29) in den Kontext der in griechisch-römischen Gesellschaften verbreiteten und in Korinth stark ausgeprägten Beschäftigung mit der Unterwelt und dem Ergehen der Toten.

Die letzten Kapitel handeln von exit rites. In Kapitel 4 sichtet D. die Debatte über das Zentrum paulinischer Theologie. Mit Blick auf den 1Kor postuliert er, das Denken des Apostels sei weniger durch theologische Programmatik und Ethik bestimmt als durch eine Orientierung an kollektiver Reinheit und Heiligkeit samt den rituellen Mechanismen zu deren Wahrung. D. beleuchtet daraufhin 1Kor 5,1–5: Paulus sei enttäuscht, dass die Korinther den rituellen Ausschluss des sündigen Gemeindegliedes unterlassen hätten (V. 2), und fordere die Verrichtung eines »ritual of community purification«. In Kapitel 5 deutet D. die rituellen Statuserniedrigungen Jesu in der mk Passionsgeschichte und die Struktur des MkEvs insgesamt von der Dynamik antiker curative exit rites her. Er bezieht sich auf das griechische pharmakos- und das römische devotio-Ritual.

Angesichts des noch jungen Dialogs mit den ritual studies und der Komplexität des Themas versteht D. seine Ausführungen als »introductory and exploratory rather than conclusive and exhaus­tive« (6). Auch wenn die Studie daher nur einen kleinen Ausschnitt der frühchristlichen rituellen Welt behandelt, auch wenn man über das auf den Aspekt des Konflikts konzentrierte Ritualverständnis, die Hinterfragung etablierter Auffassungen über die Taufe und diverse Auslegungen im Detail streiten mag, liegt hier ein bedeutender Beitrag zur Entwicklung einer neutestamentlichen Ritologie vor. Die Studie gibt der Forschung in ihrer innovativen interdisziplinären Ausrichtung wichtige Impulse.