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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1330–1332

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Perdue , Leo G.

Titel/Untertitel:

The Sword and the Stylus. An Introduction to the Wisdom in the Age of Empires.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2008. X, 502 S. 8°. Kart. US$ 38,00. ISBN 978-0-8028-6245-7.

Rezensent:

Markus Witte

Die alttestamentliche Weisheitsliteratur erfreut sich auf Grund ihres internationalen Charakters, ihrer Thematisierung des religionswissenschaftlich und theologisch wiederentdeckten Lebensbegriffs und ihres Interesses an Fragen der Kosmologie und der Gerechtigkeit Gottes gegenwärtig zu Recht großer Beliebtheit. Vor diesem Hintergrund hat der seit über 30 Jahren intensiv an den Weisheitsbüchern des Alten Testaments arbeitende, an der Brite Divinity School (Fort Worth, Texas) lehrende Leo G. Perdue eine umfassende Einführung vorgelegt, die sich in besonderer Weise der literatur-, kultur- und sozialgeschichtlichen Einordnung der Sprüche Salomos, des Hiobbuches, des Prediger Salomos, des Si­rach­buches und der Weisheit Salomos widmet. Darüber hinaus finden die aus Qumran bekannten Texte weisheitlichen Inhalts (u. a. 1/4QInstruction), nichtkanonische Apokalypsen aus hellenistisch-römischer Zeit und die rabbinische Literatur bis in das 6. Jh. n. Chr. Berücksichtigung. Insofern P. einleitend die alttestamentliche Weisheitsliteratur in den Kontext der ägyptischen und mesopotamischen Weisheit vom 3. Jt. v. Chr. an einordnet, bietet er ein Stück Kultur-, Literatur- und Theologiegeschichte des Vorderen Orients über einen Zeitraum von über 3000 Jahren.

Konzeptionell und inhaltlich steht das vorgelegte Buch, das forschungsgeschichtlich in der Linie der Einführungen in die alttestamentliche Weisheit von Gerhard von Rad (1970), Roland Murphy (1981) und James L. Crenshaw (1981) zu sehen ist, unmittelbar neben den von P. jüngst selbst verfassten bzw. editierten Bänden »Wisdom Literature. A Theological History« (2007) und »Scribes, Sages, and Seers. The Sage in the Eastern Mediterranean World« (2008). Mit dem erstgenannten Buch teilt das hier angezeigte Werk seinen Hauptteil, d. h. die Kapitel, in denen die Bücher Prov, Hi, Koh, Sir, Sap sowie die nichtkanonischen jüdischen Weisheitsschriften aus vorrabbinischer Zeit kompositionsgeschichtlich und theologisch vorgestellt werden (85–387); mit dem zweitgenannten Sammelband verbindet es zum einen die Betonung eines sozialgeschichtlichen, dezidiert historischen und nicht idealistischen Zugangs zu den Weisheitstexten, zum anderen die Abschnitte, in denen die Rabbinica behandelt werden (388–411).

Leitendes Interesse von P. ist die Interpretation der israelitisch-jüdischen Weisheit der Antike in ihren geschichtlichen und sozialen Wandlungen als jeweils kontextbezogene Auseinandersetzung mit politischen und geistesgeschichtlichen Erfahrungen. Wesentliche Kriterien zur Bestimmung dessen, was überhaupt zur weisheitlichen Literatur zu zählen sei, sind für P. 1. der Wort- und Formenschatz, also das Vorkommen genuin sapientieller und in­tellektueller Begriffe und Gattungen, womit er sich den einschlägigen Studien von Ronald N. Whybray (1974) und R. Murphy (1981) anschließt, 2. eine spezifisch weisheitliche Form der Weltwahrnehmung, für welche die Elemente »Imagination«, »Empirie«, »Tra­dition« und »göttliche Gabe der Weisheit« wesentlich seien, und 3. die Vorstellung von einer den gesamten Kosmos durchwaltenden gerechten Weltordnung, die sich vor allem in den Themen »Schöpfung« und »Gerechtigkeit Gottes und des Menschen« niederschlage. Zu einer historisch-diachron angelegten Darstellung der israelitisch-jüdischen Weisheit gehört dann jeweils die Zuordnung der einzelnen Autoren und ihrer Adressaten zu sozialen Gruppen und Institutionen in Israel/Juda von der Königszeit bis zu der Epoche, da das Judentum ohne eigene staatliche Existenz in den unterschiedlichen Metropolen und Regionen des kaiserzeitlichen rö­mischen Reichs lebt. Dementsprechend werden vor dem Leser die Welten des Königshof und des Tempels, der Beamtenschule und der sich seit hellenistischer Zeit entwickelnden Synagoge sowie die Kreise der Schreiber und Priester, Propheten und Toralehrer, aber auch der Familie in ihren geschichtlichen Modifikationen ausgebreitet. Dabei wird jeweils auch der Blick auf Texte und Entwick­lungen in Ägypten, Mesopotamien, Syrien und – erfreulich, wenngleich auf die hellenistische Zeit und die philosophischen Rich­tungen beschränkt – auf den griechischen Raum gerichtet. Kanaanäische Weisheit, wie sie sich in einzelnen Briefen der Tell-Amarna-Korrespondenz aus dem 14. Jh. v. Chr. widerspiegelt, ostjordanische Weisheit, wie sie aus der sog. Bileam-Inschrift vom Tell Deir Alla (8. Jh. v. Chr.) bekannt ist, oder vorhellenistische Weisheit (Vorsokratik, Platon, Aristoteles, aber auch Theognis v. Megara oder die Tragiker) bleiben leider ausgeblendet. In sozialgeschichtlicher Hinsicht vermag P. zu zeigen, dass die israelitisch-jüdische Weisheit vor allem ein Phänomen der Stadt und über weite Strecken ein Produkt der geistigen Eliten ist.

Die Sprüche Salomos werden als ein in mehreren Stufen ge­wachsenes, im Kernbestand noch aus der mittleren Königszeit (8. Jh. v. Chr.) stammendes Werk präsentiert, für das zuerst Schreiber am Königshof, dann Toralehrer am Zweiten Tempel verantwortlich gewesen seien, präsentiert. Das Buch Hiob in­terpretiert P. abzüglich der von ihm noch in der Königszeit verorteten und stofflich auf eine Hioblegende, wie sie sich in Ez 14 zeige, zurückgeführten Rah­menerzählung und der von ihm in der Perserzeit angesetzten Zusätze in Hi 28 und 32–37 als ein zeitnahes Dokument der Verarbeitung des Babylonischen Exils. Damit sei das Hiobbuch (vgl. vor allem den m. E. aber sekundären Abschnitt Hi 12,13–25) wie Ps 137 oder Deuterojesaja als eine nun genuin weisheitliche Auseinandersetzung Israels/Judas mit der Katastrophe von 587 v. Chr. zu deuten. Als theologischer Motor wird vor dem Hintergrund der Begegnung der exilierten Juden mit der babylonischen Weisheit ein mythologisches Muster von Kosmologie (in Parallelität zum Weltschöpfungsepos Enuma Elisch) und Anthropologie (in Parallelität zum Motiv des menschlichen Aufruhrs gegen die Götter im Atramchasis-Epos) bestimmt. Für die Entwicklung der israelitisch-jüdischen Weisheit in der Perserzeit stehen nach P. Weisheitspsalmen innerhalb und außerhalb des Psalters (Ps 1; 19B; 32; 34; 37; 49; 73; 111; 112; 119; 127 und unter Vorbehalt Ps 104, sowie Prov 3,19 f.; 8,2–11; 8,22–31; Sir 24; 36,1–33 u. a.), in denen die Themen Schöpfung, göttliche Vorsehung, Jerusalem und sein Tempel sowie die Tora erstmals eng miteinander verbunden worden seien und die sich jeweils als eine Antwort auf die religiöse Verschiedenheit im perserzeitlichen Judentum verstehen ließen. Kohelet wird als eine unter dem Eindruck des hellenistischen Skeptizismus in der Zeit der ptolemäischen Vorherrschaft über Syrien-Palästina (3. Jh. v. Chr.) entstandene Schrift gedeutet, deren Theologie sich aus dem Menschenbild und Todesverständnis seines Autors ergebe. Den traditions- und literaturgeschichtlichen Hintergrund der von P. als kunstvolle literarische Einheit angesehenen Schrift, die aus einem Rahmen in 1,1–11/11,9–12,14 und einem zweiteiligen Korpus in 1,12–5,19 (»das Handeln des Menschen«)/6,10–11,6 (»das Wissen des Menschen«) bestehe, bilde das autobiographische Testament (eines Königs), wie es sich in ägyptischen Grabinschriften, aber auch in der jüdischen Testamentenliteratur spiegele. In Ben Sira erkennt P. zutreffend einen traditionellen Weisen, Ausleger der heiligen Schriften Isra­els/Judas, Lehrer im Umfeld des Jerusalemer Tempels und Propheten am Vorabend der makkabäischen Krise (kurz vor 175 v. Chr.), der nicht nur die kosmische Weisheit mit der Tora identifiziere, sondern auch ein besonderes Interesse am Jerusalemer Priestertum habe. Die Sapientia Salomonis wird als eine weisheitliche Auseinandersetzung mit der Krise der alexandrinischen Juden in der frühen römischen Kaiserzeit, vermutlich dem Pogrom unter Flaccus 38 n. Chr., verstanden, in der ein an griechischer Rhetorik geschulter Autor in charakteristischer Weise eschatologische Themen zur Sprache bringe. Dabei gibt P. hier einen instruktiven Kurzüberblick über Fremdenfeindlichkeit, insbesondere Judenfeindlichkeit, in der hellenistisch-römischen Welt und nimmt ebenso nichtkanonische jüdische Weisheitstexte aus der Zeit des Zweiten Tempels in den Blick, wie Artapanus, den Tragiker Ezechiel, den Aristeasbrief, die Philosophen Aristobul und – angesichts des Anspruchs des Buchs allerdings zu knapp – Philo von Alexandria, sowie die Sentenzen des Pseudo-Phokylides, das Dritte Makkabäerbuch und das Dritte Buch der Sibyllinischen Orakel, merkwürdigerweise aber nicht das Vierte Makkabäerbuch.

Unter der Überschrift »Continuing Streams« behandelt P. schließlich 1. Weisheit in der apokalyptischen Literatur mit einem Schwerpunkt auf dem Danielbuch und dem Ersten Henochbuch, die sich traditionsgeschichtlich als Verbindung eschatologischer Prophetie und mantischer Weisheit unter Integration babylonischer Mythen (Adapa- und Apkallu-Tradition) verstehen ließen, 2. Weisheit in den Schriften aus Qumran, deren besonderes Kennzeichen die Konzentration auf die Ethik, die besondere Offenbarung durch Gott und die Schriftauslegung seien, und 3. Weisheit in der Mischna, in der Tosefta und in tannaitischen Midraschim. Diese drei Kapitel informieren zuverlässig über Inhalt, Aufbau, literarischen und hermeneutischen Charakter, Entstehung, Kontext und theologische Themen der angesprochenen Schriften, sind aber über weite Strecken nur ein Referat über einschlägige Einzeldarstellungen, so im Fall der Apokalyptik über die Arbeiten von John J. Collins, im Fall der Qumrantexte über die Studien von Matthew J. Goff und Armin Lange oder hinsichtlich der rabbinischen Literatur über die Untersuchungen von Jacob Neusner und Günter Stemberger. In einem kurzen Nachspann weist P. noch auf Weisheit im Neuen Testament und im frühen Christentum hin, wobei er die Logienquelle, das Thomasevangelium, die Lehren des Silvanus (2. bis 4. Jh. n. Chr.) und die Sentenzen des Sextus (2. Jh. n. Chr.?) erwähnt, nicht aber Paulus oder das Johannesevangelium mit seinem Sir 24 und Sap 7–10 fortschreibenden Prolog.

Insgesamt handelt es sich um eine materialreiche, in redaktionsgeschichtlicher Hinsicht moderate Einleitung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, bei der gut lesbar die kulturellen, sozialen und theologischen Aspekte der vielfältigen israelitisch-jüdischen Weisheit im Kontext ihrer altorientalischen und griechischen Umwelt und im Rahmen ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt werden. Beigegeben sind eine umfangreiche Bibliographie sowie die üblichen Register.