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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1175–1177

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Döring, Detlef

Titel/Untertitel:

Frühaufklärung und obrigkeitliche Zensur in Brandenburg. Friedrich Wilhelm Stosch und das Verfahren gegen sein Buch "Concordia rationis et fidei"

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 1995. 136 S. 8° = Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 7. Kart. DM 138,-. ISBN 3-428-08268-0

Rezensent:

Agatha Kobuch

Detlef Döring, der sich bereits mit namhaften Frühaufklärern (u.a. Pufendorf und Leibniz) befaßt hat, führt seine Forschungen erstmals unter dem Aspekt der Bücherzensur fort. Diese wurde im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu Beginn des 16. Jh.s durch Reichsvorschriften geregelt und etwas später in den deutschen Territorien durch spezifisch landesherrliche Vorschriften ergänzt. Die Zensur trat besonders in Zeiten politischer und geistiger Umbrüche in Erscheinung.

Friedrich Wilhelm Stosch (1648-1704), Autor der Concordia rationis et fidei, war Sekretär am kurfürstlich-brandenburgischen Hof in Berlin. Sein Vater, Bartholomäus Stosch, reformierter Hofprediger ­ die Hohenzollern traten 1613 zum Calvinismus über ­, gehörte in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten, zu den einflußreichsten Geistlichen des Landes. Die Concordia rationis et fidei, einziges bekannt gewordenes Werk Stoschs, erschien anonym ohne die vorherige obligatorische Zensur 1692 in Berlin; einige Exemplare sind im September 1693 ausgeliefert worden. Zeitgenossen nahmen dieses Buch aufmerksam zur Kenntnis, und vor allem amtliche Stellen charakterisierten es als "Schandschrift", die dem Sozinianismus und Spinozismus nahestehe und durch religionskritische Radikalität auffalle. Ein im Dezember 1693 gegen den Verfasser eingeleitetes Verfahren, das den Maßnahmen bei Zensurvergehen in anderen deutschen Gebieten entsprach, begann mit der Amtsenthebung und Verhaftung des Autors sowie mit der Nominierung der Mitglieder der Untersuchungskommission. Der von Stosch geforderte Widerruf datiert vom 17. März 1694, und anschließend verbrannte der Scharfrichter die Concordia auf dem Berliner Schloßplatz. Die mit viel Aufwand eingeleiteten Untersuchungen endeten im April 1694 lautlos, um die Verbreitung der unerwünschten Publikation nicht noch zu fördern. Stosch wurde wieder in Amt und Würden eingesetzt und sogar zum Hofrat und Geheimen Staatssekretär befördert; 1701 erfolgte seine Erhebung in den Adelsstand. Dieser bemerkenswerte Aufstieg nach einem Zensurverfahren stellt eine Ausnahme dar, die D. im Herkommen und in der gesellschaftlichen Stellung Stoschs sieht.

In sechs Kapiteln (Zeitgenössische Rezeption der Concordia und ihre Beurteilung vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, 11-19; Anmerkungen zu Stoschs Biographie. Das gegen ihn geführte Verfahren, 20-37; Der konfessionspolitische und theologiegeschichtliche Hintergrund des Verfahrens gegen Stosch, 38-60; Stoschs Widersacher und die von ihnen erhobenen Anschuldigungen, 60-63; Die Concordia und ihre Stellung zum Christentum, 64-75; Vertrieb der Concordia und deren Käufer, 75-81) behandelt D. sein Thema auf einer breiten Basis literarischer und archivalischer Quellen. Durch Auswertung von Nachlässen vor allem in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin und von Unterlagen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam konnte er das bisher verzerrte und einseitige Bild Stoschs modifizieren und Korrekturen an Arbeiten Winfried Schröders(1) aus den letzten Jahren über den Frühaufklärer vornehmen.

Auf Grund einer Analyse der geistig-religiösen Strömungen in Berlin und Brandenburg und der konfessionellen Probleme im ausgehenden 17. Jh. sowie in Auseinandersetzung mit den Publikationen Schröders vollzieht D. eine Neubewertung der theologisch-philosophischen Positionen Stoschs. Einige seiner Feststellungen seien hervorgehoben:

­ Stoschs Bibelkritik besitzt kaum originäre Bedeutung, da die Kritik an den menschlich bedingten Unzulänglichkeiten der Heiligen Schrift Ende des 17.Jh.s ein breit diskutiertes Thema war;

­ Stoschs Anspruch, Philosophie und Heilige Schrift widerspruchsfrei nebeneinander gelten zu lassen, ist nicht unbedingt als Täuschung anzusehen;

­ es läßt sich aus Stoschs Texten nicht herauslesen, daß er die Religion schlechthin bekämpfe;

­ die Concordia bedeutet weder objektiv noch in der subjektiven Auffassung des Autors einen Bruch mit Theologie und Kirche, und die jener Publikation nachgesagte Abhängigkeit von Spinozas Schriften und dem Sozianismus ist nicht haltbar.

Den Ausführungen D.s folgen 24 gut ausgewählte Dokumente (82-110) hauptsächlich aus dem Nachlaß Johann Karl Konrad Oelrichs (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin), dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam und der Dokumentensammlung "Acta Stoschiana" von 1749. Für die Edition archivalischer Quellen existieren Richtlinien(2), die die behutsame Regulierung der Groß- und Kleinschreibung und der Interpunktion, die Auflösung von Abkürzungen und aktenkundliche Angaben zum Überlieferungsstadium vorsehen. D. bietet dagegen paläographische, d.h. buchstabengetreue Abschriften der Quellen. Seine Darstellung wird ergänzt durch Verzeichnisse der noch vorhandenen Exemplare der Concordia (111-118) und aller weiteren Personen, die nachweislich im Besitz dieser Schrift waren (119-121), durch biographische Angaben zu allen erwähnten Besitzern der Concordia (122-124) und durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis (125-136). Der Leser wäre für ein Personenregister und ein Abkürzungsverzeichnis dankbar gewesen.

D.s Buch enthält für die Geschichte der deutschen Frühaufklärung einen großen Erkenntniszuwachs. Nach kritischer Prüfung der Archivalien und der Forschungsliteratur sowie durch Auffindung neuer Quellen gelangt D. zu einer differenzierten Einschätzung der Concordia. Er weist Stosch einen veränderten Platz in den philosophisch-theologischen Strömungen seiner Zeit zu. Das Fazit der Überlegungen D.s besteht darin, daß Stosch zwar ein kritischer Denker war, aber den Rahmen der Fundamentallehren des Christentums nicht sprengte. Er bewegte sich innerhalb christlicher Vorstellungen und kann nicht als theologischer Außenseiter bezeichnet werden. Damit vollzieht D. eine Rehabilitierung des Berliner Frühaufklärers. Man wünschte sich weitere Abhandlungen, die sich mit theologisch-philosophischen Werken der Aufklärung auseinandersetzen, die von Zeitgenossen verfemt oder abgelehnt wurden.

Fussnoten:

(1) Spinoza in der deutschen Frühaufklärung. Würzburg 1987 (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie, 34). ­ F. W. Stosch: Concordia rationis et fidei (1692). Dokumente. Mit einer Einleitung hrsg. Stuttgart, Bad Cannstatt 1992. ­ Schröder hat eine vom kirchlich-theologischen Standpunkt aus positivere Beurteilung Stoschs eingeleitet.
(2) Schultze, Johannes: Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 98 (1962), 1-11.