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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1315–1317

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schreiner, Klaus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich. Hrsg. unter Mitarbeit v. E. Müller-Luck­ner.

Verlag:

München: Oldenbourg 2008. XXIII, 273 S. m. Abb. gr.8° = Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 78. Geb. EUR 59,80. ISBN 978-3-486-58848-4.

Rezensent:

Hans Zirker

Das Buch geht auf Vorträge einer Tagung zurück, die das Historische Kolleg in Kooperation mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2007 veranstaltete. Das inhaltliche Spektrum ist im Blick auf Epochen, kulturelle Räume, kriegerische Aktionen und deren Deutungen weit angelegt. Es reicht von religiös motivierten Kämpfen im antiken Judentum (Aharon Oppenheimer) über die mit Konstantin gegebene Zäsur des Kriegsverständnisses im römischen Staat (Werner Eck), Rechtfertigungen der Gewaltanwendung im abendländischen Christentum (Hans Maier), »Religion und Gewalt im islamischen Gottesstaat« (Tilman Nagel), die »Wandlungen der Kreuzzugsidee im Mittelalter« (Ludwig Schmugge), »Kontroversen zwischen Deutschem Orden und dem Königreich Polen« (Jürgen Miethke), europäische Abwehrkämpfe gegen die Türken (Klaus Schreiner), konfessionelle Religionskriege der Frühen Neuzeit (Heinz Schilling), die Freiheitskriege gegen Napoleon (Hans-Christof Kraus) und »Kriege als Gottesurteile« (Rudolf Schieffer) bis zu religiösen Deutungsmustern in Hitlers »Weltanschauungskrieg« (Hans Günter Hockerts). Der Metaebene wissenschaftlicher Reflexion sind vor allem die vorangestellten begriffs- und problemgeschichtlichen Erwägungen zur »Sakralisierung von Kriegen« (Friedrich Wilhelm Graf) und die abschließenden Erörterungen über »Verweigerte Toleranz und geheiligte Kriegführung« (Dietmar Willoweit) gewidmet.

Vier Fragen bildeten »die konzeptionellen Vorgaben« (Klaus Schreiner, Einleitung, VIII): 1. welche »Rolle Religion als legitimierender Faktor der Kriegführung in traditionalen und ausdifferenzierten Gesellschaften Alteuropas und der modernen Welt« spielte; 2. unter welchen Voraussetzungen und Interessen Religion im 19. und beginnenden 20. Jh. reaktiviert wurde, »um Krieg zu einer ›heiligen‹ Sache zu machen«, 3. welche kritischen Traditionen »in der christlichen Welt langfristig dazu beitrugen, den ›Heiligen Krieg‹ zu entsakralisieren«, und 4. ob sich auf »der Suche nach einer sachlich angemessenen Begrifflichkeit … der ›Heilige Krieg‹ als brauchbare analytische Kategorie« erweisen könnte. Freilich lassen sich nur die erste und die letzte Frage unmittelbar auf alle Beiträge beziehen. Der reiche Gehalt, den die Aufsätze unter ihrer je eigenen Thematik, Perspektive und Anlage bieten, in Wahrnehmung auch ikonographisch beachtenswerter Zeugnisse, kann hier nur kumulativ gewürdigt werden. Er macht die Lektüre des Buchs zum Ge­winn. Kritisches sei jedoch in dreierlei Hinsicht angemerkt:

1. Zu Recht betont die Einleitung, dass »historische Forschung nicht darauf verzichten kann, sprachliche Aussagen, in denen vergangene und gegenwärtige Gesellschaften ihr Verständnis von ›Heiligem Krieg‹ artikulieren, zum Gegenstand ihrer Erkenntnis- und Forschungsinteressen zu machen« (XIX). Dies gilt umso mehr, als dieser Begriff »im Expertendiskurs der akademischen Religionsdeuter bisher nur am Rande Beachtung gefunden hat« (Graf, 2). Doch geben sich manche Ausführungen des Buchs gerade in dieser Hinsicht recht sorglos.

Dazu einige ausgewählte Belege: Obwohl im Aufsatz zu Islam und Dschihad nur ein einziges Mal beiläufig die Wendung »heiliger Krieg« vorkommt (Nagel, 52) und an anderer Stelle zu Recht vermerkt wird, dass sie dem Islam nicht eigen ist, sondern auf »eine genuin westliche, zunächst europäische Deutung« zurückgeht (Graf, 27), spricht die Einleitung unbefangen vom »›Konzept des Dschihads‹, des ›Heiligen Krieges‹« (IX, ähnl. XVIII). Andererseits wird nirgendwo bedacht, welche Bedeutung es haben könnte, dass im semantischen System einer Religion ein Krieg nicht als ›heilig‹ bezeichnet werden kann, oder ob dieser Sachverhalt angesichts der dort benutzten anderen religiösen Qualifikationen von Kriegen belanglos ist. – Die Feststellung, dass die Institution eines »Heiligen Krieges« im alten Israel durch neuzeitliche Exegeten erfunden wurde (Graf, 18.24–28), rechtfertigt nicht, dass nirgends die biblischen Stellen zur Sprache kommen, an denen Kriege und in einem Fall Krieger als »geheiligt« bewertet werden (Jes 13,3; Jer 6,4; 22,7; 51,27 f.; Joel 4,9; Mi 3,5). – Dass »[b]ellum sanctum und das dazugehörige Übersetzungswort ›heyliger Krieg‹« der Sprache derer entstammen, »die im 16. und 17. Jahrhundert Türkenkriege geführt, erfahren und beschrieben haben« (Schreiner, 191), wird durch den auf die Kreuzzüge zurückweisenden Buchtitel von Johannes Herold »De bello sacro …« (Basel 1549) doppelt fragwürdig, im lexikalischen Ansatz wie in der geschichtlichen Zuschreibung. Obendrein steht dem hier auch die falsche Aussage entgegen, dass »im hohen Mittelalter bellum iustum und bellum sanctum als synonyme Begriffe benutzt werden konnten« (192). – Ohne zwischen Motivation, Sprachgebrauch und Bedeutung zu differenzieren, wird festgestellt, dass man »keine religiösen Kriege in polytheistischer Welt« finde, dass vielmehr das antike Judentum »den heiligen Krieg … hervorgebracht« habe (Oppenheimer, 42), obwohl doch der griechische Geschichtsschreiber Diodor schon im 1. Jh. v. Chr. vom »hieròs pólemos« um das Heiligtum in Delphi spricht.

2. Von allen übrigen Beiträgen hebt sich der zum Islam durch seinen rigorosen Zugriff ab. Schon bei der Sichtung des Koran blendet Nagel alle Momente aus, die auf Unterschiede situativer Bedingungen und auf Ansätze ethischer Verantwortung verweisen. Religion erscheint hier durch und durch auf Herrschaftsanspruch und Beuteerwerb hin funktionalisiert. So kommt Nagel zu der ungeheuerlichen Feststellung: »Der Daseinszweck des muslimischen Ge­meinwesens ist die Sicherstellung einer zumindest partiellen Alimentierung seiner Mitglieder durch die von Andersgläubigen erarbeiteten Güter.« (50)

Der Satz lässt schon sprachlich keinen Raum mehr für denkbare andere »Daseinszwecke« dieser Religion. Dem entspricht auch das den Beitrag ab­schließende, auf heutige Verhältnisse bezogene Urteil, nach dem die »für ewig wahr geltenden göttlichen Normen«, auf die sich der Islam beruft, »für ein seine Subsistenzmittel aus eigener Kraft erwirtschaftendes Gemeinwesen nicht taugen« (54). Dies bedeutet nicht nur, dass der Islam oder sein »Gottesstaat« – beides ist hier tendenziell identisch – in unserer Welt dysfunktional sein muss, sondern dass sein Daseinszweck der weiteren Daseinsberechtigung entgegensteht. Was immer man diesem eng gefassten und essentialistisch festgeschriebenen Islam-Verständnis entgegenhalten mag, unter dessen Voraussetzungen könnte es nicht mehr sein als fromme Verbrämung der Realität, religiöse Propaganda oder schlicht unzureichende Kenntnis.

3. Rückblickend stellt der letzte Beitrag fest, dass »für den Gläubigen der eigentlich unabweisbare Zwang« bestehe, »der Wahrheit sei­ner Religion überall Anerkennung zu verschaffen«; und »folgerichtig« ergebe sich schließlich daraus, auch wenn die These zu­nächst irritiere, »die Notwendigkeit des Heiligen Krieges« (Willoweit, 263). Die fortwirkende Kraft dieses religiös-politischen Komplexes zeige sich modifiziert auch unter den Bedingungen moderner Staaten: Menschenrechte müssten »überall Geltung und Anerkennung beanspruchen, nicht anders [!] als ein Gebot Gottes. Und folgerichti g[!] sind zum Schutz und im Namen der Menschenrechte auch schon Kriege begonnen worden« (265). So werden am Ende im Duktus der Aussagen und in den hergestellten Beziehungen die Grenzen zwischen Deskription und Legitimation verwischt.