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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1313–1315

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Palaver, Wolfgang, Exenberger, Andreas, u. Kristina Stöckl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Aufgeklärte Apokalyptik. Religion, Gewalt und Frieden im Zeitalter der Globalisierung.

Verlag:

Innsbruck: Innsbruck University Press 2008. 445 S. m. Abb. 8° = Edition Weltordnung – Religion – Gewalt, 1. Kart. EUR 27,50. ISBN 978-3-902571-41-0.

Rezensent:

Hansjörg Schmid

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Palaver, Wolfgang, Siebenrock, Roman, u. Dietmar Regensburger [Hrsg.]: Westliche Moderne, Christentum und Islam. Gewalt als Anfrage an monotheistische Religionen. Innsbruck: Innsbruck University Press 2008. 291 S. 8° = Edition Weltordnung – Religion – Gewalt, 2. Kart. EUR 21,90. ISBN 978-3-902571-59-5.


Mit den beiden Bänden wird die Buchreihe »Edition Weltordnung– Religion – Gewalt« der gleichnamigen, seit 2007 bestehenden interdisziplinären Innsbrucker Forschungsplattform eröffnet. Am Beginn des ersten Bandes steht ein nun postum erscheinender Beitrag von Raymund Schwager, der die Forschungsplattform angeregt hat. Schwager stellt Grundthesen des französischen Wirtschafts- und Kognitionswissenschaftlers Jean-Pierre Dupuis vor, an den auch der Titel des Bandes angelehnt ist. Es folgen ausgearbeitete Fassungen der »Schwager-Vorlesungen« aus den Jahren 2004 bis 2006, die um die Themen Friede, Gewalt, Politik und Apokalypse kreisen, sowie teilweise kontrovers aufeinander bezogene Vorträge und Diskussionspapiere aus dem Forschungsprojekt – so z. B. eine Auseinandersetzung um eine Deutung des Abendmahls von Aleida Assmann. Die Beiträge des Bandes verbindet das Anliegen, zu »drängenden sozialen und politischen Fragen der Gegenwart« Stellung zu nehmen (12). Auch wenn die Klammer um das Ganze eher lose ist, kann man den Band als Ouvertüre verstehen, in der verschiedene zukünftige Themen des Projekts anklingen.

Der Schwerpunkt soll nun auf den zweiten Band gelegt werden, der mit Monotheismus und Gewalt einen klareren Themenfokus aufweist. Immer wieder wird die These aufgegriffen, dass sich der missionarische Absolutheitsanspruch von Islam und Christentum potentiell gewaltträchtig auswirke. Jürgen Manemann sieht die Ursache dafür im anti-dualistischen Charakter des Monotheismus (64). Eine Alternative biete ein »reiterativer Universalismus« (65), der anderen entsprechende Erwählungserfahrungen zugesteht und damit als Fundament für Differenz dienen kann.

Erfreulicherweise berücksichtigt der Band strukturelle und historische Unterschiede von Islam und Christentum. So hebt Roman Siebenrock zu Beginn seiner Skizze des Forschungsprogramms hervor, dass sich Säkularisierung und Religionskritik eng auf das Christentum und dessen kirchliche Gestalt beziehen (213). Otto Kallscheuer spricht diesbezüglich von einem »europäischen Sonderweg« (23). Die Gottesfrage und die Frage nach theologischen Konnotationen des Politischen versteht Siebenrock in einem sehr weiten Sinn. Auf einer solchen Grundlage kann ein Dialog mit islamischen Stimmen frei von kulturalistischen Vereinnahmungen stattfinden. Karl Prenner antwortet mit einem differenzierten hermeneutischen Abriss auf die Frage »Legitimiert das Gottesbild des Korans Gewaltanwendung?«. Neben dem dichotomischen Schema »Gläubige – Ungläubige« finden sich im Koran Ansätze zur Religionspluralität. Ob die Fokussierung auf den Koran in diesem Beitrag Folge einer muslimischen Schwerpunktsetzung oder eine Konstruktion aktueller Islamdebatten ist, wird nicht explizit re­flektiert. Ein analoger Beitrag zu Arnold Angenendts christentumsgeschichtlichem Durchgang zu »Heiliger Krieg und heiliger Frieden« fehlt leider in Bezug auf den Islam. Angenendt spannt eindrucksvoll den Bogen vom urchristlichen Totalpazifismus über den »gerechten Krieg«, Religionskriege und Kreuzzüge bis hin zur selbstkritischen Einsicht: »Die Friedensreligion Christentum hat weder den europäischen Krieg zu beseitigen noch die weltweite Ausbreitung des eigenen Kriegs zu verhindern vermocht.« (95)

In einem sehr differenzierten Beitrag setzt sich Thomas Scheffler mit Frustrations-Aggressions-Theorien, ideologietheoretischen und instrumentalisierungstheoretischen Ansätzen als Erklärungsmuster für religiös legitimierte Gewaltakte auseinander und weist nach, wie die Ehrverletzung gegenüber religiösen Kollektivsym­bolen gerade in Krisensituationen Gewalt zur Folge haben kann. Mit Streitkultur und Krisenmanagement lassen sich dagegen »Gewaltspiralen« unterbrechen. Scheffler setzt damit überzeugend politische Kontexte und religiöse Traditionen in Bezug. Ähnlich argumentiert Andreas Oberprantacher, der eine Gemeinsamkeit christlicher wie islamischer militanter Bewegungen darin sieht, dass sie ihre Adressaten als gekränkte Opfer ansprechen (188). Wolfgang Palaver sieht einen Ansatz zur Überwindung von Gewalt in der Stärkung von Vergebung und Feindesliebe, für die es auch im Islam Anknüpfungspunkte gebe (170).

Sybille Auer legt eine patriarchatskritische Interpretation der Ritualmordlegende des »Anderl von Rinn« vor, die sie als Legitimationsinstrument staatlicher Gewalt durch »Verschiebung« von ­ zu Lasten der Juden aufweist (143). Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz präsentiert Cusanus’ »De pace fidei« als Synthese von menschlicher Wahrheitsfähigkeit und Toleranz (123). Werner W. Ernst deutet Gewalt und das Böse im Rahmen von Mystik und Psychoanalyse. Im letzten Teil des Bandes werden mit dem interreligiösen Dialog (Elisabeth Dörler), islamischem (Ednan Aslan) und katholischem Religionsunterricht (Matthias Scharer) auch Praxisfelder angerissen.

Insgesamt werden mit dem Band vielfältige Perspektiven eröffnet. Anders als der Titel erwarten lässt, kommen Christentum und Islam nicht gleichberechtigt vor. Viele auf das Christentum konzentrierte Beiträge enthalten Seitenblicke auf den Islam, die dann jedoch nicht weiter ausgeführt werden. Dies kann als Indiz dafür gesehen werden, dass die christlich-theologische und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit islamischen Traditionen und Autoren noch in den Anfängen steht. Der Band trägt dem interdisziplinären Anspruch des Projekts Rechnung, wobei die verschiedenen Ebenen und Erkenntnisinteressen der einzelnen Disziplinen noch klarer voneinander getrennt und im Verhältnis zueinander reflektiert werden könnten. Positiv hervorzuheben ist, dass der Band nicht auf der Ebene der Analyse verharrt, sondern immer wieder Handlungsperspektiven aufzeigt. Es handelt sich um eine Zusammenstellung sehr interessanter Einzelstimmen. Leider fehlt ein zusammenführender Beitrag, so dass das Gesamtbild fragmentarisch bleibt. Folglich können die nächsten Bände der Reihe mit Spannung erwartet werden.