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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1311–1313

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Körner, Felix

Titel/Untertitel:

Kirche im Angesicht des Islam. Theologie des interreligiösen Zeugnisses.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 392 S. gr.8°. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-17-020559-8.

Rezensent:

Henning Wrogemann

Zunächst ein Hinweis zum Autor: Felix Körner ist katholischer Theologe und Islamwissenschaftler. Als Angehöriger des Jesuitenordens arbeitet er seit einigen Jahren in Ankara. Vor diesem Hintergrund als römisch-katholischer Priester in einem muslimischen Umfeld fragt K. nach »Kirche im Angesicht des Islam«. Das Werk gliedert sich nach einer einleitenden Passage zur Frage, was der Begriff »angesichts« meinen könne, in acht Kapitel, denen ein An­hang beigefügt ist.

Das erste Kapitel unter dem Begriff »Anstoß. Eine Gesprächsgrundlage?« (19–50) fragt anhand eines muslimischen Traktates zur »Einladung« zum Islam nach den Gesprächsgrundlagen in der interreligiösen Begegnung. Es handelt sich um die Schrift eines gewissen (der Nurculuk-Bewegung nahestehenden) Ömer Öngüt (geb. 1927), in der Christen aufgefordert werden, den Islam anzunehmen. Diese Schrift bietet K. in dem besagten Anhang in sorgfältiger deutscher Übersetzung mit einer erläuternden Kommentierung (349–373), damit der Leser die darin dargelegten Auffassungen nachvollziehen kann. K. geht es mit diesem Ansatz im ersten Kapitel um einen »Dialogort«, dem bisher in der Literatur zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Während man dem interreligiösen Zusammenleben, dem gemeinsamen Handeln, dem akademischen Austausch und der Ebene religiöser Erfahrung bisher viel Aufmerksamkeit hat zukommen lassen, ist daneben die interreligiöse Debatte im Alltagsleben, das, was K. abkürzend die »Laiendiskussion« nennt, zu kurz gekommen (23). Anhand der oben genannten Schrift geht K. verschiedenen Aspekten der Dialogthematik nach, wobei er dankenswerterweise immer wieder auf gedankliche Kurzschlüsse (so etwa im Hinblick auf die Position von Hans Küng: 34, Anm. 34) aufmerksam macht.

Das zweite Kapitel »Ankara. Wahrnehmungen des Christentums: Zehn türkische Gesichts-Punkte« (51–116) geht anhand von zehn Unterpunkten verschiedenen Wahrnehmungen des Christentums in Segmenten und Institutionen der türkischen Gesellschaft der Gegenwart nach. Das Material reicht von einem Fragebogen (»1. Die ›50 Fragen‹: Wie beweist ihr das?«), der K. in Ankara vorgelegt wurde, über Beispiele aus der Presse (»2. Presse [1]: Je­susdarstellungen in von Said Nursi beeinflussten Zeitschriften«; »3. Presse [2]: Christentum und Kirche in türkischen Tageszeitungen«), sodann geht es um »4. Schule. Die Darstellung des Christentums in türkischen Lehrbüchern: Kontrastfolie«, »5. Moschee: Christliche Mission in türkischen Freitagspredigten: Eintreten«, »6. Politik: Staatsminister Mehmet Aydın über christliche Mission: Gefahr«, sodann wiederum um Pressebeispiele, die Religionsbehörde und abschließend Stellungnahmen von Theologen der sog. Ankaraner Schule. Dieses Kapitel liefert reiches Anschauungsmaterial zu Fragen von Wahrnehmungen, Vorannahmen, berechtigten Anfragen, Ängsten und/oder Missverständnissen, um nur einige Aspekte zu nennen. Es werden hermeneutisch sensibel verschiedene Aspekte des gesellschaftlichen Referenzrahmens abgetastet (wobei deutlich ist, dass dies immer nur in Annäherungen geschehen kann), innerhalb dessen interreligiöse Begegnung und Koexistenz sich vollziehen.

Auf dem Hintergrund dieser Ausführungen wird in den nächs­ten Kapiteln ein Durchgang durch verschiedene christlich-theologische Dialogansätze unternommen. Kapitel 3 handelt von »Anfänger: Die lateinische Christenheit coram Islamo. Gedachte Dialoge« (117–158), Kapitel 4 beschäftigt sich mit »Andersheit. Schwache Theo­logie – Glauben wir an denselben Gott« (159–180).

In Kapitel 5 geht es sodann um den »Ansatz. Sechs notae theologiae« (181–236). Hier werden wichtige Beiträge zu einer Theologie des christlichen Zeugnisses erörtert. Der Bogen wird gespannt von mittelalterlichen Theologen wie Petrus Venerabilis oder Ramon Lull bis hin zu Ansätzen des 20. Jh.s, etwa Karl Rahner, Peter Hünermann oder Barbara Hallensleben, um nur einige Denker und Denkerinnen zu nennen. Als notae theologiae gewinnt K. im Anschluss an Erörterungen zum »topischen Denken« bei Rüdiger Bubner daraus die Attribute »bezeugend«, »bekennend«, »begründend«, »befreiend«, »be­kehrungsfähig« und »beziehungsstiftend« (220–236).

In einer treffenden Zusammenfassung erläutert K. am Ende des Buches: »Wird das interreligiöse Gespräch topisch gesehen, d. h. unberechenbar, situationsbezogen und lebensweltlich verwachsen erkannt, dann lassen sich sechs Charakteristika für jede Darstellung des eigenen Wirklichkeitsverständnisses aufzeigen. Sie muss 1. bekennend (weil der eigenen Lebenswelt verpflichtet), 2. begründend (weil sonst nicht vom Gesprächspartner nachvollziehbar), 3. bezeugend (weil auf eigenem Wirklichkeitskontakt beruhend), 4. befreiend (weil nicht auf Sieg, sondern auf selbständigen Zugriff ausgerichtet), 5. beziehungsstiftend (weil auch dem andern Wirklichkeitskontakt ermöglichend) und 6. bekehrungsfähig (weil durch die Perspektive und Erfahrung des andern korrigierbar) sein.« (341) Die so gefasste Dialogizität wird von K. in zweierlei Weise durch »konjugiert«: Einmal geht es darum, dass die genannten Charakteristika »aus dem christlichen Bekenntnis selbst abzuleiten« sind, sodann geht es darum, dass sich daraus auch die Begrenztheit der eigenen Erkenntnis ergibt, die eine »Theologie der Schwäche« impliziert. K. schreibt: »Jedes authentische Darstellen des Christentums ist – bezeugend; denn es beruht auf der einzelnen Geschichte Israels und Jesu; – bekehrungsfähig; denn diese Ge­schichte geht weiter. – begründend; denn es will den Einzelnen als frei Einstimmenden gewinnen. – befreiend; denn es benennt die menschliche Grundproblematik ›Sünde‹ als Gefangenschaft. – be­kennend; denn es geschieht im Eintritt in das gefeierte Pascha-Mysterium. – beziehungsstiftend; denn es ist die eröffnete treue Gottesgemeinschaft. ... Christliches Leben ist [daher] – begründend, indem es seine nicht-deduzierbaren Grundeinstellungen offen legt. – bezeugend, indem es das Präsentierte auch repräsentiert. – bekennend, indem es sich der berufenen Gemeinschaft an­vertraut. – beziehungsstiftend, indem es nach gestifteter Beziehung übergangen werden kann. – bekehrungsfähig, indem es die eigene Unvollständigkeit erkennt und den andern die seine erkennen lässt, aber dennoch: – befreiend, indem es die Berufung des Einzelnen zur Beteiligung an der Erlösung aufdeckt.« (342–343)

In einem weiteren Kapitel geht K. unter dem Titel »Antworten. Christliche Theologen unter Muslimen« (237–330) Ansätzen aus Vergangenheit und Gegenwart nach. Diese reichen von Johannes von Damaskus, Theodor Abū Qurra oder dem byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos über protestantische Denker (u. a. Josh McDowell, Lutfī Levonian), einen angelikanischen Ansatz (Rowan Williams, derzeitiger Erzbischof von Canterbury) bis hin zu zeitgenössischen katholischen Theologen wie Thomas Michel, Salah Aboujaoudé oder Christian W. Troll. In den hier dargelegten Einzelporträts geht es nicht um abstrakte Dialogtheorie, sondern um die Verortung der Beiträge in ihrem kommunikativen Kontext. Dies sei am Beispiel des Jesuitenpaters Thomas Michel erläutert, einem gebürtigen US-Amerikaner (geb. 1941), der lange Jahre in Ostasien gewirkt hat. Analysiert wird sein Buch »Christian Faith Explained«, das 1992 auf Türkisch erschien, im Jahr 2002 auf Englisch, welches aber auch ins Arabische, Französische und Indonesische übersetzt wurde. K. untersucht dabei zunächst die Adressaten des Werkes, akademisch gebildete, türkisch-muslimische Lehrer mit guten Berufschancen, einem bewussten Selbstverständnis als Muslime und einer Vorbildung auch im Blick auf das Christentum (296).

In der Analyse des Buches von Thomas Michel arbeitet K. heraus, dass Aufbau und Argumentation des Werkes bereits als Antwort auf weithin verbreitete muslimische Wahrnehmungsschemata eingestellt sind, dass hier Dialog nicht auf Überzeugen zielt, sondern auf das Vorstellen des christlichen Glaubens und der Glaubensaussagen in einer Weise, die klärend wirkt, unnötig Anstößiges vermeidet und damit der Artikulation theo­logischer Nähe und Distanz auf eine unverdächtige Weise dient. Damit ist, so das Fazit, für den Kontext mehrheitlich muslimischer Länder, »in denen Chris­ten sich als ge­fährdete Minderheit empfinden, ... ein notwendiger Verständigungsbeitrag [geleistet]. Weiter wird man in den meisten Fällen nicht gehen können.« (301) In den Einzelporträts leistet es K., wie hier bei der Besprechung Michels, die englische und türkische Übersetzung miteinander zu vergleichen und damit schon einen ersten Schritt des Übersetzungsgeschehens in den Blick zu nehmen. Diese Details sind m. E. für den aufmerksamen Leser von großem hermeneutischen Gewinn. K. bedauert indes, dass bei Michel die christliche Glaubensbotschaft wohl vorgestellt, der Beitrag der christlichen Botschaft zu einem »bessere[n] Wirklichkeitsverständnis« jedoch nicht recht zum Zuge kommt.

Kapitel 7 beschäftigt sich mit »Ancilla. Szenen aus dem Leben Ma­riens. Empirische Ekklesiologie« (331–336). Die Arbeit endet mit Kapitel 8 unter dem Titel »Anakephalaiosis. Eine Zusammenfassung« (337–348).


In diesem theologisch dichten Werk wechseln sich immer wieder narrative Passagen und systematisch-theologische Analysen ab. Soziologische und soziopsychologische Hinweise auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen des interreligiösen Begegnungsgeschehens insbesondere in der Türkei ebenso wie hermeneutische, sprachliche und islamwissenschaftliche Erkenntnisse betten das zur »Theologie des interreligiösen Zeugnisses« Gesagte ein, so dass das Buch gegenüber stärker systematisch-theologisch orientierten Arbeiten der letzten Jahre einen erheblichen Erkenntnisgewinn bietet. Es sei darum allen am christlich-islamischen Dialog Interessierten wärmstens empfohlen.