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Ausgabe:

Dezember/2009

Spalte:

1309–1311

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Chen, Jinhua

Titel/Untertitel:

Philosopher, Practitioner, Politician. The Many Lives of Fazang (643–712).

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. XVIII, 539 S. gr. 8° = Sinica Leidensia, 75. Geb. EUR 146,00. ISBN 978-90-04-15613-5.

Rezensent:

Michael von Brück

Der Titel des Buches zeigt die Universalbedeutung des Meisters an, der sowohl in den Hua-Yen als auch den Ch’an-Schulen als eine der maßgeblichen bzw. formativen Figuren in der chinesischen Geistesgeschichte gilt: Fazang war Denker, Meister der Praxis und Politiker in Personalunion. Er repräsentiert den offenen und universellen Geist der Tang-Zeit par excellence.

Fazang hat in seiner Philosophie die wechselseitige Durchdringung und gegenseitige Identität aller Phänomene im Sinne des Avatamsaka-Sutra gelehrt und auf den Begriff gebracht bzw. in eindrucksvollen Gleichnissen beschrieben. Alle Buddhas als Repräsentationen der Einen Buddha-Wirklichkeit spiegeln sich in allen in einer unendlichen wechselseitigen Spiegelung, so auch alle Er­scheinungen in der Welt. Jedes hat seine Identität in und aus dem anderen. Die Erscheinungen der Welt behindern einander nicht (d .h. etablieren sich, indem sie dem jeweils anderen gegenübertreten und sich abgrenzend definieren), sondern sind, was sie sind, aus dem anderen. Diese Lehre ist die Folge des Zusammentreffens der indischen Madhyamika-Philosophie eines Nagarjuna und der chinesischen Anschauung, wonach das Prinzip (li), also die formale Struktur bzw. das Eine, und die Ereignisse in der Zeit (shi), die die Vielheit entfalten, einander nicht behindern, sondern sich wechselseitig bestimmen und bestimmt werden. So wie in Nagarjunas Logik die Identität von a nicht in a selbst liegt, sondern durch nicht-a gegeben wird, insofern a als a erscheint, indem es nicht nicht-a ist, so ist im Hua-yen etwas, was es ist, aus dem, was es nicht ist, und ist gerade darin mit sich selbst identisch. Dieses wechselseitige Durchdrungensein ist dann zum Inbegriff der meditativen Bewusstseinserfahrung geworden, wie sie besonders in der Ch’an-Tradition gepflegt wurde und wird.

Während bisher Fazang vor allem als Philosoph besonders hinsichtlich seiner Bedeutung für die Avatamsaka-Tradition gewürdigt wurde (vgl. die immer noch empfehlenswerte Darstellung von Francis Cook), kommt er in Ch.s Studie in seiner höchst schillernden und überaus interessanten Multiperspektivität zum Vorschein: 1. als Politiker, der das Spiel um Macht bestens verstand und zu nutzen wusste, 2. als Kämpfer, der mit der Waffe von Zaubersprüchen seine Herren (und die Kaiserin Wu) zu beeindrucken wusste und die (militärischen) Gegner das Fürchten lehrte, 3. als Vermittler zwischen Himmel und Erde bzw. yin und yang, der sich für die Wiederherstellung der Harmonie in der Welt verantwortlich wusste, wenn dieselbe gestört erschien. Welche Rolle er für die Machtgewinnung und den Machterhalt der legendären Kaiserin Wu (Regierungszeit 695–705) spielte, wird aus den Quellen vorzüglich herausgearbeitet. Kurz: Man bekommt ein Bild vom mittelalterlichen China, das von westlichen Vorurteilen frei ist. Rationale und ästhetische Philosophie, mantrische Wort-Zauber-Praxis und eine Grundhaltung der Harmonie von Himmel, Welt, Gesellschaft und Individuum sind in einer einzigen Person vereint, und genau das ist die Faszination.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile: 1. die Rekonstruktion der Biographie, 2. thematische und hagiographische Einzelstudien. Be­sonders interessant ist die historisch-kritische Aufarbeitung der ersten Biographie Fazangs, die von Ch’oe Ch’iwon im Jahre 904 fertiggestellt wurde. Sie ist ein einzigartig »internationales« Werk: verfasst von einem koreanischen Laien für einen chinesischen Mönch, der die dritte Generation einer sogdischen Einwandererfamilie repräsentiert. Hier werden nun (soweit ich sehe erstmals) die Strukturen und Quellen jener Biographie genauestens untersucht, und dies erlaubt uns nicht nur einen viel detaillierteren Blick auf Fazang, sondern vermittelt einen exzellenten Eindruck von den Austausch- und Amalgamierungsprozessen zwischen China und Korea in jener Zeit. Auf dem Hintergrund anderer zeitgeschichtlicher Quellen wird diese Biographie kritisch analysiert, und so entsteht ein detailreiches Bild Fazangs, das bisher einzigartig ist. Auch wenn zahlreiche Details ungesichert bleiben, ist die histo­rische Rekonstruktion erstaunlich gut gelungen, besonders was die epochale Verbindung (und Bindung) zur Kaiserin Wu, den Coup am Hof von 705 usw. betrifft. All dies liest sich geradezu spannend. Im zweiten Teil werden philosophische Schriften und Einzelthemen behandelt, zunächst der grundlegende »Traktat vom Goldenen Löwen« und das berühmte Bild vom verspiegelten Saal. Die buddhistischen und nicht-buddhistischen Quellen werden ebenso dargestellt wie die Rezeption. Weiterhin wird Fazang als technischer Innovator, als Übersetzer und als Politiker dargestellt, hier nun unter dem Gesichtspunkt der Avatamsaka-Philosophie, die in ihrer Totalitätskonstruktion eine (hierarchisch) geordnete Gesellschaft auf einen geordneten Kosmos bezieht, eine Korrespondenz, die die gesamte chinesische Gesellschafts- und Herrschaftstheorie durchzieht. Die ritualistischen Theorien und Praktiken sowie die chinesisch-thaumaturgischen Traditionen, wie sie vor Fazang exis­tierten und von diesem weiterentwickelt wurden, werden in eigenen Kapiteln abgehandelt. Zwölf Appendizes erschließen das wichtigste Quellenmaterial, eine gute Bibliographie und ein brauchbarer Index beschließen das Werk.
Nicht nur zum Verständnis der Entwicklung des chinesischen Buddhismus ist diese vorzügliche Studie grundlegend, sondern sie vermittelt auch einen differenzierten Einblick in das China der Tang-Zeit über den Buddhismus hinaus, ja sie zeigt, wie sich die Verschmelzungen unterschiedlicher Traditionen und Interessenlagen vollzogen. Hier wurden strukturelle Grundmuster eingeübt, die China bis heute prägen.