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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1174 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Blaufuß, Dietrich u. Friedrich Niewöhner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottfried Arnold (1666–1714). Mit einer Bibliographie der Arnold-Literatur ab 1714

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz i. Komm. 1995. V, 436 S. gr.8° = Wolfenbütteler Forschungen, 61. Lw. DM 158,-. ISBN 3-447-03670-2

Rezensent:

Bernd Jaspert

Der Marburger Kirchenhistoriker Hans Schneider hat in dem großen Sammelwerk über die "Geschichte des Pietismus" (hrsg. von M. Brecht, Bd. 1, Göttingen 1993) den, wie die lutherische Orthodoxie ihn noch beschimpfte, "vermessenen Ketzer-Patron" Gottfried Arnold als "den bedeutendsten Vertreter des radikalen Pietismus" bezeichnet. Der Erlanger Theologe Dietrich Blaufuß und der Wolfenbütteler Philosophiehistoriker Friedrich Niewöhner haben das Verdienst, zu Leben und Werk dieses so lange umstrittenen Mannes vom 10.-13. Juni 1990 in der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel ein wissenschaftliches Symposion (sie sagen bescheiden "Arbeitsgespräch") veranstaltet zu haben. Vertreten waren dabei die Disziplinen Germanistik, Historische Wissenschaft, Philosophiegeschichte, Kulturwissenschaft und Theologie. Die Referate der Tagung liegen nun in diesem mit einem in die gegenwärtige Arnolddiskussion einführenden Vorwort der beiden Hgg. versehenen sorgfältig edierten Band vor:

Steffen Arndal: Mystik und Dichtung bei Gottfried Arnold (5-19); Ernst Berneburg: Einige Gesichtspunkte und Fragen zur Wirkung der Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie (21-32); Dietrich Blaufuß: Zur Predigt bei Gottfried Arnold (33-54); Reinhard Breymayer: Der wiederentdeckte Katalog zur Bibliothek Gottfried Arnolds (55-143); Jürgen Büchsel: Vom Wort zur Tat: Die Wandlungen des radikalen Arnold. Ein Beispiel des radikalen Pietismus (145-164); Ursula Kreuder: Gottfried Arnolds Sicht der Täufer (165-177); Hanspeter Marti: Die Verkündigung des irdischen Paradieses. Spiritualismus und Utopie bei Gottfried Arnold (179-196); Irina Modrow: Überlegungen zum Verständnis von Glauben und Kirche bei Gottfried Arnold und Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (197-204); Günter Mühlpfordt: Pietistische Ökumene: Die Bogomilen als östliche Pietisten in der Sicht Gottfried Arnolds (205-246); Martin Pott: Christian Thomasius und Gottfried Arnold (247-265); Hans Schneider: Gottfried Arnold in Gießen (267-299); Siegfried Wollgast: Zu den philosophischen Quellen von Gottfried Arnold und zu den Aspekten seines philosophischen Systems (301-335).

Besonders nützlich für die Arnoldforschung ist der auf S. 339-410 wiedergegebene Faksimile-Druck des von Reinhard Breymayer im September 1975 neu entdeckten und erstmals in Linguistica Biblica, H. 39 (1976) 86-131, vorgestellten Katalogs der Bibliothek Arnolds aus dessen Todesjahr 1714. Das bisher einzig bekannte Exemplar dieses Kataloges mit 1072 Nummern befindet sich in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Sign.: Bc 40): "Catalogus Bibliothecae B. Godofredi Arnoldi, Inspectoris et Pastoris Perlebergensis. 1714". Eine Xerokopie ist seit 1976 in der UB Tübingen (Sign.: 16 A 8071) vorhanden. Eine gründliche Auswertung des Kataloges hat Breymayer in seinem oben genannten Wolfenbütteler Referat vorgenommen.

Im übrigen erwies Hans Schneider der weiteren Arnoldforschung einen guten Dienst, indem er am Ende dieses Bandes "Daten zur Biographie Gottfried Arnolds" (411-414, mit Nennung von Arnolds wichtigsten Schriften und entsprechenden Querverweisen auf ihre ausführliche bibliographische Erfassung bei Gerhard Dünnhaupt, Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, 2., verb. u. wesentl. verm. Aufl. des Bibliographischen Handbuchs der Barockliteratur, Bd. I, Stuttgart 1990, 314-352) und ein Verzeichnis "Arnold-Literatur 1714-1993" (415-424) zusammenstellte. Ein Personenregister, das leider unvollständig und teilweise fehlerhaft ist, beschließt den Band.

Die Wolfenbütteler "Arbeitsgespräche" bestätigen, was Pietismusforscher wie J. F. G. Goeters oder W. Zeller bereits vor zwei Jahrzehnten betonten, daß nämlich eine intensive Beschäftigung mit Arnold ein lohnendes Unterfangen ist. Denn ohne ihn ist ein wesentlicher Teil des Pietismus, des neuzeitlichen Kirchenbewußtseins, der modernen Geisttheologie, der neueren Kirchengeschichtsschreibung und der ökumenischen Bewegung nicht zu begreifen. Was wir endlich und dringend brauchen, ist eine kritische Gesamtausgabe der Schriften Arnolds. Fähige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind, wie der vorliegende Studienband zeigt, vorhanden. Man kann nur wünschen, daß ein Verlag diese Notwendigkeit erkennt und den Sachverstand für ein solches Unternehmen nutzt, solange er noch gegeben ist.