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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

212–214

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Röhr, Esther [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ich bin was ich bin. Frauen neben großen Theologen und Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1997. 384 S. m. Abb. 8. Geb. DM 58,-. ISBN 3-579-02212-1.

Rezensent:

Kurt Lüthi

Der Band enthält 12 Portraits von Frauen, die neben den Großen der Theologie und Religionsphilosophie des 20. Jahrhunderts lebten und deren Schicksal ganz wesentlich von jenen Männern bestimmt war, die jeder Theologe und jede Theologin kennt. Das Buch enthält eine Fülle von Informationen, die man bisher nicht kannte und nicht beachtete. Damit ist eine Art "Gegengeschichte" zur Theologiegeschichte des 20. Jh.s entstanden.

Die Portraits deuten eine große Spannweite weiblichen Erlebens an. Einerseits: Diese Frauen leben oft im "Schatten" ihrer Männer und ihr Schicksal ist von Anpassungshaltungen bestimmt. Die Frau ist Helferin des Mannes, oft Nur-Hausfrau, manchmal Pflegerin; die Männer schätzen es, wenn durch die Frauen ein Schonraum entsteht, in dem sie ihr Werk gestalten können. Manchmal sind die Frauen auch Mitarbeiterinnen des Mannes. Allerdings: Ihrer Selbstfindung wird wenig Raum gegeben. Zunächst können sie nicht einmal ersehnte Studien absolvieren. Immer wieder werden sie von bürgerlichen Werten bestimmt und man mutet ihnen das Ideal einer doch noch heilen Welt zu. Wünsche und Träume der Frauen werden nicht zugelassen, was Frauen zunächst oft noch akzeptieren. Andererseits: Es gibt auch die unangepaßten und starken Frauen: Vertreterinnen der wilden 20er Jahre, Vertreterinnen eines frühen Feminismus, in der Jahrhundertmitte Frauen in kirchlichen und gesellschaftlichen Widerstandsbewegungen, allerdings auch Frauen als Opfer des Nationalsozialismus. Man wird von ihnen sagen dürfen, daß sie "zwischen den Zeiten" lebten. Kirchlich-theologisch ging es ihnen zunächst um das weibliche Pfarramt, heute oft um eine Theologie und Spiritualität der Befreiung.

Diese Rezension geht im folgenden auf 5 Beispiele ein. Die anderen Portraits seien wenigstens genannt (Autorinnen jeweils in Klammer): Clara Ragaz, Ehefrau von Leonhard Ragaz (Anette Schwämmle), Julia von Bodelschwingh, Ehefrau von Friedrich Bodelschwingh (Marlis Flesch-Thebesius), Hedwig Jahnow und Hermann Gunkel (Tina Hülsebus), Greti Tillich, erste Ehefrau von Paul Tillich (Sabine Böttcher), Anne Marie Heiler, Ehefrau von Friedrich Heiler (Antje Gaedt), Hannah Tillich, zweite Ehefrau von Paul Tillich (Esther Röhr), Maria von Wedemeyer, Braut von Dietrich Bonhoeffer (Renate Wind).

Nun einige Einzelheiten: Paula Buber als Ehefrau von Martin Buber (Sieglinde Denzel und Susanne Naumann): Sie war am Ende des 19. Jh.s eine der ersten studierenden Frauen (Germanistik); sie lebte aber auch eine Weile in einer Künstlerkolonie und überquerte mit ihrem Fahrrad die Alpen. Charakterlich galt für sie: "An ihr ist alles unbändig" (83). Sie wurde dann Ehefrau und Mitarbeiterin von Martin Buber. Wie selbstverständlich wurden Bubers Grundworte in dieser Partnerschaft Realität: Ich und Du, Zwiesprache, Begegnung ... Buber fand überschwengliche Worte: "Als ich Dich fand, da fand ich meine Seele. Du kamst und gabst mir meine Seele ..." (85). Aber dann galt für sie auch, daß der große, öffentliche Erfolg bei Martin Buber war, nicht bei ihr; sie blieb verborgen, ihre intensive Mitarbeit blieb unerwähnt. Ihre eigenen Manuskripte wurden zunächst von Bubers Verlag nicht übernommen, trotz Bubers Empfehlungen. Ihr Weg führte dann zur Bejahung des Zionismus; ab 1927 überlegte sich Buber, nach Israel zu gehen. Er verlor dann durch den Nationalsozialismus seine Lehrtätigkeit. Sie wurde nach den Nürnberger Gesetzen aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. In der Reichskristallnacht wurde das Haus Bubers verwüstet. Jetzt war nur noch die Übersiedlung nach Jerusalem möglich. Dort lebte sie eine Art Münchner Leben einer Frau (z. B. mit Einkochen von Früchten). Für sie war das Leben in Israel in mancherlei Hinsicht eine Verbannung.

Helene Schweitzer als Ehefrau von Albert Schweitzer (Sieglinde Denzel und Susanne Naumann). Man empfand sie als strenge, junge Dame aus bürgerlichem Hause ("Frau Anstand" genannt). Ihre Interessen an einem sozialen Engagement entsprachen den Interessen von Albert Schweitzer; ein von ihr betreutes Projekt war ein Haus der ledigen Mütter. Von ihrer Herkunft her setzte sie sich mit einem jüdischen Erbe auseinander, aber auch mit dem Atheismus. Ihre Sensibilität lehnte Macht, die Lehrer über Schüler haben, ab. Das traditionelle Christentum erschien ihr erstarrt und überlebt. Sie wurde dann Ehefrau und Mitarbeiterin von Albert Schweitzer und stand ihm auch unter den Schwierigkeiten seiner afrikanischen Aktivitäten bei. Zur Partnerschaft mit Albert Schweitzer: Dieser realisierte eine Nähe zu einer Frau nur schwer; Intimität machte ihm Angst. Es entsteht eine eheliche Entfremdung. Als Albert Schweitzer 1954 den Friedensnobelpreis erhält, überlegt sie sich, ob sie in einem öffentlichen Auftritt die Scheidung verlangen soll. Schweitzers Antwort lautet: "Soll sie doch". Der Eklat bleibt aus, Helene erscheint aber wie erstarrt. Anläßlich von Schweitzers Eingreifen in die Diskussion um die Atombombe kommt es noch einmal zu einer Übereinstimmung der beiden.

Karl Barth - Nelly Barth - Charlotte von Kirschbaum (Marlies Flesch-Thebesius, Renate Köbler). Nelly Barth wird mit dem Slogan präsentiert: "Sie hatte keine Träume" (223). Ihr Schicksal: Sie ist ursprünglich Barths Konfirmandin; bei ersten Begegnungen sagt er "Du" zu ihr und sie "Sie" zu ihm. Ihre große Freude ist die Musik und das Musizieren. Als Ehefrau von Karl Barth betreut sie einen überaus aufwendigen Haushalt (eine Vielzahl von Gästen, 12 Umzüge!).

Zum spannungsreichen Lebensproblem von Nelly Barth wird die Partnerschaft zwischen Karl Barth und Charlotte v. Kirschbaum. Faktisch gab es damit im Hause Barth ein Dreieck. Zweimal dachte Nelly Barth an Scheidung. Karl Barth hat zwar immer wieder Haltungen eingenommen, die zeigen, daß er die Verantwortung für die Situation übernahm. Ein letztes Symbol dieser Situation: Das Familiengrab im Hörnlifriedhof in Basel hat - mit Zustimmung von Nelly Barth - alle drei aufgenommen!

Charlotte von Kirschbaum kommt ursprünglich aus dem Bereich weiblicher Dienstleistungen (Rotkreuzschwester). Ihr großes Erlebnis war die Partnerschaft mit Karl Barth. Obwohl sie damit im "Schatten" eines Großen stand, hat sie ihr Leben und ihre Partnerschaft positiv gesehen; die Spannungen mit Nelly Barth haben sie aber sicher belastet, und sie hat diese zu verarbeiten versucht. Charlotte von Kirschbaum bearbeitete Barths Manuskripte und vollendete sie, - das gilt auch für das riesige Werk von Barths Dogmatik. Zwischen ihr und Barth entstand ein geistiger Austausch auf einer hohen Ebene. Sie war aber auch die Beraterin vieler Studierender. Und wie für Barth Bibel und Zeitung zusammengehörten, war für sie ein politisches Engagement selbstverständlich. Ihr konkreter Einsatz galt der Bekennenden Kirche in Deutschland, einem Schweizerischen Hilfswerk zur Unterstützung von Juden, dem Schweizerischen Nationalkomitee "Freies Deutschland", wo sie sich auch mit Kommunisten solidarisierte. Schließlich war sie eine Feministin der frühen Stunde.

Doreen Potter, erste Ehefrau von Philipp Potter (Reinhild Traitler). Hier gibt es jetzt die Prägungen durch den Prager Frühling und durch Befreiungstheologien. Hier gibt es die Absage an Europa als Mitte der Welt. Hier gibt es die Absage an Rassismus und Sexismus. Ihr Interesse gilt einer weiblichen Spiritualität als "Spiritualität der Befreiung". Für ihre Ehe gilt: Sie hat sie "mit großen Märchenaugen begonnen ... mit vielen Illusionen, die dann unweigerlich abbröckeln mußten." (358).

Ich schließe mit einer eigenen Erinnerung an die Situation bei Karl Barth in den 40er Jahren. Das besprochene Dreieck war den Studierenden bekannt; es gab auch entsprechende Beobachtungen im überaus studentenfreundlichen Hause Barth. In der Öffentlichkeit waren moralisch-negative Urteile im Bereich der Kirchen und der bürgerlichen Gesellschaft Basels zu hören; hier sprach man auch vom "roten Barth".

Schließlich noch ein persönliches Urteil über das anregende Buch von Frauen über Frauen. Meines Erachtens müßte man sich weit öfter, als man das gewohnt ist, auf eine weibliche Hermeneutik- auf den "weiblichen Blick" einstellen; hier sind Hintergründe und Untergründe der Theologie und der Kirchen zu finden, an denen man bisher vorbeigegangen ist.