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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1264–1265

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Englert, Rudolf

Titel/Untertitel:

Religionspädagogische Grundfragen. Anstöße zur Urteilsbildung. 2., durchges. Aufl.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 320 S. m. 1 Abb. gr.8° = Praktische Theologie heute, 82. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-17-020826-1.

Rezensent:

Martin Rothgangel

Rudolf Englert, renommierter katholischer Religions­pädagoge der Gegenwart, hat weitaus mehr als einen schlichten Sammelband von 24 Aufsätzen vorgelegt, die er seit 1993 publizierte. Vielmehr bündelt er die in der Regel leicht bzw. stark überarbeiteten Beiträge (entsprechende Hinweise finden sich beim Nachweis der Erstveröffentlichungen, 319 f.) in acht Kapitel. Diese je­weils aus drei Beiträgen bestehenden Kapitel sind mit Einleitungen versehen, die zu den Fragestellungen hinführen, und mit Nachbemerkugen, welche die Leser und Leserinnen dazu anregen sollen, sich entsprechend dem Untertitel ein eigenständiges Urteil zu bilden.

Nach der Einführung (7 f.) eröffnet das erste Kapitel »I. Was ist Religionspädagogik?« diesen Band mit wissenschaftstheoretisch orientierten Beiträgen, in denen Grundlagenfragen der Religionspädagogik reflektiert werden: »Zum Verhältnis von Glaube und Bildung« (11–19), »Zu den Grundlagen religionspädagogischer Theo­riebildung« (20–34), »Zum Verhältnis von Theologie und Religionspädagogik« (35–45). Vortrefflich sind – nicht nur in diesem Hauptteil – die von E. vorgenommenen Unterscheidungen, auf deren Grundlage er Problemstellungen klar analysiert.

Nur ein Beispiel sei hier genannt: E. differenziert zwischen einem kirchlichen Sinn religiöser Bildung (»Glaubensweitergabe«, 16) und einem »›menschheitliche[n]‹ Sinn religiöser Bildung« (15). Hinsichtlich des letztgenannten Modells benennt er m. E. treffend »das religionstheoretische Konzept (Vermittlung des christlichen Glaubens mit einer anthropologisch universalen Religion bzw. Religiosität), das handlungstheoretische Konzept (Vermittlung des christlichen Glaubens mit der universalen Frage nach den Sinnvoraussetzungen rechten Handelns) und das bildungstheoretische Konzept (Vermittlung des christlichen Glaubens mit dem universalen Bemühen um personale Bildung)« (17). Sicherlich lassen sich an dieser Stelle Einwände vorbringen, etwa die Verschränkungen des handlungstheoretischen und bildungstheoretischen Konzepts in konkreten Entwürfen wie denen von N. Mette – ungeachtet dessen bleiben solche grundlegenden Unterscheidungen hilfreich, um komplexe Zusammenhänge differenziert bedenken zu können.

Im zweiten Kapitel folgt eine religiös orientierte Gegenwartsana­lyse (»Welche Herausforderungen stellt die religiöse Gegenwarts­situation«) anhand der Themen »Religionspädagogik im Plura­lismus der Religionen und Kulturen« (48–58), »Zivilreligion als religionspädagogisches Problem« (59–69) sowie »Religiöse Suchbewegungen zwischen Mystik und Aufklärung« (70–80). Hinsichtlich der Pluralismusthematik vermag E. anhand des instruktiven Beispiels der »weihnachtliche[n] Trias aus Sankt Nikolaus, Weih­nachtsmann und Christkind« (47) zu zeigen, wie Nivellierungsprozesse die Kehrseite der Medaille von Pluralisierungsprozessen sind. Als religionspädagogische Einsichten benennt er in diesem Zu­sam­menhang drei Punkte: 1. »Es bedarf verstärkter Anstrengungen in Richtung interreligiösen Lernens« (52), 2. »Es ist zu warnen vor zu schnellem Verstehen« (53) sowie 3. »Es bedarf einer gründlichen Auseinandersetzung mit neuen Formen von Religion und Religiosität« (53). Mit guten Gründen folgt nach der Analyse der Gegenwartssituation im dritten Kapitel der Blick auf die Tradition (»Was haben wir an unserer religiösen Tradition?«) mit folgenden Beiträgen: »Zum Umgang mit Tradition im Zeichen religiöser Pluralität« (83–95), »Zum religionspädagogischen Gebrauch von Tradition« (96–106), »Unter dem Eindruck von Traditionen verändert sich der Ausdruck der Welt« (107–121). Entgegen einer religionspädagogischen Tendenz, welche die Aufmerksamkeit insbesondere ab Beginn der 1990er Jahre einseitig auf Subjekt- und Lebensweltorientierung richtete, liegen hier ganz entscheidende Korrektive vor, ohne in das Gegenteil eines traditionslastigen oder materialkerygmatischen Konzepts zu verfallen. E. versteht Tradition im Anschluss an A. Assmann im Sinne einer »auf Dauer gestellten kulturellen Konstruktion« (88) und hebt hervor, dass Tradition en (!) im Zeitalter der Pluralisierung nicht mehr im Singular auftreten, ihren obligatorischen Charakter verloren haben und »nicht mehr so sehr als ein Mittel zur Einschränkung als vielmehr zur Eröffnung von Möglichkeiten wahrgenommen« (88, Hervorhebungen im Original) werden. Der Reflexion von religiöser Gegenwartssituation einerseits und religiöser Tradition andererseits schließt sich im vierten Kapitel die für katholische Religionspädagogen zentrale Frage an »Was ist Korrelation?«, wobei der erste Beitrag vor etwas mehr als 15 Jahren ein gewaltiges Echo hervorrief: »Die Korrelationsdidaktik am Ausgang ihrer Epoche. Plädoyer für einen ehrenhaften Abgang« (124–133). Die beiden weiteren Beiträge lauten »Akzentverschiebungen in der Korrelationsdidaktik« (134–147) sowie »Korrelation – Ja? Nein? Wie? Didaktische Gestaltungsmöglichkeiten des Ge­sprächs mit der Tradition« (148–158).

Im fünften Kapitel »Zur Aufgabe religiöser Bildung« wird abermals nach dem ersten Beitrag dieser Publikation die Bildungsthematik aufgegriffen, wobei in diesem Kapitel mit zwei Aufsätzen der Akzent auf die religiöse Erwachsenenbildung gelegt wird: »Zum Bildungswert religiösen Lernens« (161–172), »Zum Verhältnis von Bildung und Bindung – Begründung und Profil kirchlicher Er­wachsenenbildung« (173–183), »Mehr als eine hilfreiche Essenz zum Aufbau seelischer Wellness. Zum Gesellschaftsbezug religiöser Erwachsenenbildung« (184–195). Dem folgt im sechsten Kapitel ein Thema, das die moderne Religionspädagogik von Beginn an beschäftigte: »Zur Lehrbarkeit von Religion«: Hier ist es zum einen instruktiv, wie E. die je spezifische evangelische und katholische Seite dieser Geschichte rekonstruiert (»Zur Geschichte des Lehrbarkeitsproblems«, 198–206). Zum anderen stellt er in den beiden nächs­ten Artikeln (»Wie lehren wir Religion – unter den Bedingungen des Zerfalls ihrer vertrauten Ge­stalt?«, 207–216), »Religionsunterrichtliche Bildungsstandards und das Lehrbarkeitsproblem«, 217–232) gleichermaßen lehrreich den Bezug zur gegenwärtigen religionspädagogischen Diskussion nach PISA her. Das siebte Kapitel konzentriert sich auf den Religionsunterricht als ein zentrales Handlungsfeld der Religionspädagogik (»Zum Sinn schulischen Religionsunterrichts«) mit folgenden Beiträgen: »Der Religionsunterricht nach der Emigration des Glauben-Lernens« (235–242), »Der Religionsunterricht im Spannungsfeld konfligierender Op­tionen« (243–255) sowie »Der Religionsunterricht vor der Frage nach seinem Ertrag« (256–269). Schließlich werden im achten Kapitel »Warum einfache Fragen manchmal so schwer zu beantworten sind« folgende Fragenkomplexe aufgeworfen: »Was ist ein religiöser Lernprozess? Über die Rolle produktiver Vor-Urteile für die religionspädagogische Ar­beit« (272–286), »Wozu religiöse Bildung? Über strukturelle Probleme im religionspädagogischen Legitimationsdiskurs« (287–301) und »Haben wir die Theorien, die zu unserer Geschichte passen? Über die Bedeutung formativer Erfahrungen für die religionspädagogische Theoriebildung« (302–318).

Ohne an dieser Stelle die jedes Kapitel beschließenden »Fragen zur Diskussion« sowie die »Hinweise zur weiteren Vertiefung« eigens würdigen zu können, sei abschließend festgehalten, dass diese Publikation vortrefflich das einhält, was der Untertitel signalisiert: Sie bietet wertvolle Anstöße zur religionspädagogischen Urteilsbildung. Von daher verwundert es nicht, dass das Buch in kürzester Zeit eine zweite Auflage erfahren hat.