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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1243–1246

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Goltz, Rainer

Titel/Untertitel:

Das Werden der Gewissheit. Eine Untersuchung zum protestantischen Verständnis von Offenbarung als Grund des Glaubens im Anschluss an die Theologien von Barth, Ebeling und Herms.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2008. 397 S. gr.8° = Theologie – Kultur – Hermeneutik, 7. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-02600-5.

Rezensent:

Andreas Hunziker

G.s Untersuchung zum Offenbarungsbegriff wurde 2006 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen.

Der erste Teil (I Einleitung, 19–62) führt in theologiegeschichtlicher Perspektive an die »Problematik der Unbestimmtheit des Offenbarungsbegriffs« heran: ›Offenbarung‹ wird einerseits als gattungsgeschichtlicher Substanzbegriff, andererseits als noetischer Erkenntnisbegriff verstanden, so dass diese beiden Verwendungsweisen in der Regel unausgeglichen und undiskutiert ne­beneinander gebraucht werden. Im Sinne eines Substanzbegriffs aufgefasst, steht Offenbarung für eine Wissensvermittlung über Gott, zu welcher der Glaube nur mittelbar gehört. Wird Offenbarung dagegen als Erkenntnisbegriff verstanden, dann tritt der Glaube »nicht nachträglich als Gehorsam an einen offenbarten Inhalt hinzu, sondern ist als direkte Wirkung der Offenbarung selbst Teil dieses Geschehens« (52).
Der zweite Teil (II Hauptteil, 63–318) soll den Offenbarungsbegriff anhand exemplarischer theologischer Entwürfe präziser be­stimmen. Er beginnt mit der Darstellung und einer ersten Kritik des Offenbarungsverständnisses der beiden Vatikanischen Konzile (63–93). Im Mittelpunkt steht die bekannte Entwicklung vom instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell (Vatikanum I) hin zum Verständnis der Offenbarung als geschichtlicher Selbstoffenbarung Gottes in christologischer Perspektive (Vatikanum II). Problematisch bleibt aber nach G. auch in »Dei Verbum« das Verhältnis von Schrift und Tradition sowie die Bestimmung des Glaubens als Gehorsam gegenüber der Offenbarung Gottes.

Anhand dreier ausgewählter Positionen wird dann in einem zweiten Schritt das reformatorische Verständnis von Offenbarung expliziert. Eingesetzt wird mit Karl Barths Offenbarungskonzept (93–144), wobei es G. nicht um einen eigenständigen Beitrag zur Barthforschung, sondern um die exemplarische Explikation des Paradigmas ›Offenbarungstheologie‹ geht. Seine Darstellung von Barths Offenbarungsbegriff erfüllt denn auch, was das Paradigma ›Offenbarungstheologie‹ erwarten lässt: Barth hat zwar darin Recht, dass sich die Theologie nicht dem Zeitgeist anpassen darf und dass in reformatorischer Tradition daran festzuhalten ist, dass der Glaube der menschlichen Verfügbarkeit entzogen ist. Doch be­deutet die supranaturalistische Isolierung des Menschen aus dem Offenbarungsgeschehen den fatalen Verzicht auf jegliche phänomenologische Beschreibbarkeit des Prozesses der Glaubenskonstitution in der Offenbarung. Wie die Offenbarung für den Menschen überhaupt verstehbar sein soll und ihn in seiner menschlichen Struktur effektiv angehen kann, vermag Barth nicht zu erklären.

Als zweites Beispiel für die reformatorische Traditionslinie wird Gerhard Ebelings Auffassung der Offenbarung als Wortgeschehen im Sinne einer hermeneutisch-theologischen Alternative zu Barth präsentiert (146–223). In Anschluss an Luther, Schleiermacher und Bultmann will Ebeling beschreiben, was bei Barth unberücksichtigt bleibt: die Beteiligung des Menschen im Prozess der Offenbarung als Etablierung der christlichen Glaubensgewissheit. Seine dezidiert hermeneutisch angelegte Theologie wird damit zum Versuch, in Aufnahme der berechtigen Anliegen von Offenbarungspositivismus und traditioneller natürlicher Theologie einen dritten Weg zu beschreiten: Der Offenbarungsbegriff wird durch den Begriff des Wortes Gottes präzisiert, »da er als sprachlicher Begriff sowohl die Bedingungen der menschlichen Existenz als Sprachwesen als auch den dadurch bestimmten Modus der Kommunikation Gottes mit dem Menschen als Wortgeschehen exakter zu beschreiben vermag« (194 f.). Für G. stellt dieser Vermittlungsversuch einen deutlichen Fortschritt gegenüber Barths Offenbarungskonzept dar. Entsprechend verteidigt er Ebeling sowohl ge­gen die Kritik, dessen Erfahrungstheologie sei zu apologetisch ausgerichtet als auch gegen den Einwand, dessen Verständnis der Grundsituation des Menschen als ein durch die Macht der Sünde und des die Sünde aufdeckenden Gesetzes geprägtes impliziere die Ontologisierung einer bestimmten Gesetzeserfahrung. Trotzdem formuliert G. am Schluss deutliche Anfragen an Ebelings Offenbarungskonzeption: Ebeling interessiert sich weniger für den Offenbarungsbegriff als für den Begriff des Wortes Gottes. So betont er zwar (ein­seitig) die äußere Begegnung mit dem Wort Gottes in der Predigt, vermag aber den Vorgang der göttlichen Konstitution der Gewissheit des Glaubens als inneres Verstehens- und Evidenzgeschehen nicht hinreichend zu konzeptualisieren. Seine fundamentalanthropologische Bestimmung des Menschen als Sprachwesen lässt das unmittelbare, vorreflexive Erleben zu kurz kommen. Zwar hat Ebeling dies selbst gemerkt, indem die Begriffe des Wortes und des Sprachgeschehens zu Gunsten des Begriffs der Erfahrung immer mehr in den Hintergrund treten. Nur bleibt eben auch dieser Erfahrungsbegriff anthropologisch bzw. schöpfungstheologisch unterbestimmt, so dass letztlich auch bei ihm (wie bei Barth) »die Offenbarung immer jenseits der Lebenserfahrung des Menschen angesiedelt werden muss« (223) – der Glaube kann nur als ›ge­gen alle Erfahrung‹ und so gerade nicht als eine Weise des menschlichen Sich-selbst-Verstehens expliziert werden.

Gerade dies – die Beschreibung der Konstitution des Glaubens als Gewissheitserfahrung im Rahmen der geschöpflichen Struktur humaner Personalität – ist aber das Programm der Offenbarungstheologie von Eilert Herms. Aus nicht nur chronologischen Gründen bildet dessen Theorie der »Offenbarung als Grund und Gegenstand der Theologie« denn auch den Abschluss in G.s Darstellung der drei exemplarischen, reformatorischen Offenbarungskonzeptionen (224–318): Mit Herms’ Programm wird zugleich der Rahmen expliziert, der auch in G.s Darstellung und Kritik der Offenbarungsbegriffe sowohl der römisch-katholischen Tradition als auch von Barth und Ebeling weitgehend leitend war. G. beginnt mit einer Einführung in den an Schleiermacher orientierten theologischen Denkansatz von Herms – mit der Pointe, dass dessen Verständnis der Theologie als Phänomenologie des christlichen Glaubens sich gerade der zentralen Stellung des Offenbarungsbegriffs innerhalb der Theologie verdankt: Die Offenbarung ist nach Herms alleiniger Grund und Gegenstand der Theologie. Was aber meint Offenbarung? Offenbarung ist ein Erschließungsgeschehen der christlichen Gewissheit, das seiner formalen Struktur nach mit jeder Form von (alltäglicher oder religiöser) Erschließungserfahrung identisch ist und darum nur durch den spezifischen Anlass (Begegnung mit dem äußeren Wort) und den spezifischen Inhalt (der ewige Schöpfungs-, Versöhnungs- und Vollendungswille Gottes) zu einem spezifizierten, eben christlichen Fall des allgemeinen Erschließungsgeschehen wird. G. folgt in den Grundzügen weitgehend der Hermsschen ›Offenbarungstheologie‹ und weist den Vorwurf ab, Herms’ Neuauflage einer natürlichen Theologie sei von grundsätzlich aporetischer Struktur. Allerdings schließt dies für G. in einzelnen Punkten Anfragen an Herms’ Offenbarungskonzeption nicht aus: Dessen Bestimmung des Glaubens als Gehorsam gegenüber der offenbarten Gewissheit stehe in Widerspruch zu seinen eigenen fundamentalanthropologischen Bestimmungen; der Inhalt der christlichen Offenbarung werde statt als Erlösungs- primär als Schöpfungsglaube bestimmt; und die Beschreibung der spezifischen Wirkung der Offenbarung habe eine problematisch ethisierende Tendenz.

Der dritte Teil (III Ertrag und Ausblick, 319–378) fasst zuerst die Befunde aus den vorausgegangenen Untersuchungen zum Offenbarungsbegriff zusammen (Offenbarung im Sinne eines umfassenden Relationsbegriffs ist ein unersetzbarer Fundamentalbegriff für die Theologie) und fragt nach den sich daraus ergebenden Konsequenzen für den ökumenischen Dialog. Dann wird skizzenhaft angedeutet, wie ein tieferes Verständnis des Begriffs Offenbarung aussehen könnte, wenn damit Ernst gemacht wird, dass die Offenbarung sowohl das Ursprungsgeschehen als auch die Wesensdimension des christlichen Glaubens darstellt: Alle theologischen Disziplinen müssten die Frage nach der Offenbarung als ihre zentrale Aufgabe anerkennen; auf die apologetische Aufgabe zugespitzt impliziere dies die Notwendigkeit der Etablierung einer evangelischen Fundamentaltheologie, und zwar einer Fundamentaltheologie im Sinne von Herms’ theologischer Phänomenologie. Den Schluss bilden knappe Bemerkungen zu den Themen Schrift, Ästhetik und Heil, im Blick auf welche der gewonnene Offenbarungsbegriff weiter zu explizieren wäre.

Der Fokus des Buches liegt auf der kritischen Darstellung der verschiedenen Offenbarungsverständnisse. Wobei sich diese Darstellung und Kritik wiederum sehr ausgeprägt an einem der dargestellten Entwürfe selbst orientiert, dem Theologie- und Offenbarungsverständnis von Eilert Herms. Die kritisch-systematische Auseinandersetzung mit den theologischen und philosophischen Grundvoraussetzungen dieses Entwurfes selbst ist nur am Rande im Blick. Und entsprechend verzichtet G. auch in seiner Barth-Kritik weitgehend auf die Auseinandersetzung mit solchen gegenwärtigen theologischen und philosophischen Diskursen, welche an Barths Theologie konstruktiv-kritisch anzuschließen versuchen. Ingesamt scheinen die Offenbarungsverständnisse von Ebeling und Barth über weite Strecken als Folie zu dienen, auf deren Hintergrund das von G. favorisierte Theologie- und Offenbarungsverständnis konturiert werden kann. Der Versuch, ein wechselseitiges Gespräch zwischen den verschiedenen theologischen Entwürfen und ihren Offenbarungskonzepten entstehen zu lassen, scheint nicht die Absicht dieses Buches zu sein.