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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1234–1238

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Luscher, Birgit

Titel/Untertitel:

Einführung in das Symbolische Denken. Hermeneutik und elementares Bibelverstehen.

Verlag:

Berlin-Münster: LIT 2008. IV, 255 S. m. Abb. u. Tab. gr.8° = Symbol – Mythos – Medien, 15. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-8258-1022-1.

Rezensent:

Cornelia Richter

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Luscher, Birgit: Arbeit am Symbol. Bausteine zu einer Theorie religiöser Erkenntnis im Anschluss an Paul Tillich und Ernst Cassirer. Berlin-Münster: LIT 2008. IV, 304 S. m. Abb. u. Tab. gr.8° = Tillich-Studien, 19. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-8258-1020-7.


Arbeit am Symbol – der Titel der bei O. Bayer entstandenen Dissertation von Birgit Luscher ist Programm, und zwar beider hier zu besprechender Bände. Es geht L. nicht nur um die Rezension der Symboltheorien von Tillich, Cassirer oder sonstiger Positionen, sondern um deren Fruchtbarmachung für ein theologisches Symbolverständnis, mit dem sich in Kirche, Schule, Erwachsenenbildung etc. arbeiten lässt.

Den Ausgangspunkt der Dissertation bildet eine Überlegung (9–17) zu irischen Segenssprüchen, deren existentielle Bedeutung vor allem an der leiblichen Orientierung und dem eröffneten Symbolraum hänge, dessen Ambivalenz durch die richtig verstandene Entsprechung von Form und Inhalt im Evangelium überwunden, mindestens aber gemildert bzw. bereichert werden könne. Am Ende steht eine interessante Reflexion zur Reliquienverehrung und deren Transformation durch die lutherische Theologie, die Transzendenzerfahrung von äußeren Vollzügen abgelöst und statt­dessen ins Innere des Menschen verlagert habe (273–290). In beiden Fällen geht es L. um gelebte religiöse Praxis, die sich in leiblich-sinnlichen Vollzügen hineinzustellen sucht in Gottes Wirklichkeit, die nicht anders denn metaphorisch, bildlich, symbolisch und damit vorläufig, nicht festschreibend, erfahren und erkannt werden könne: »Vergleicht man Luther mit Cassirer, dann er­scheint in der Theologie die Gebrochenheit und Vorläufigkeit der religiösen Sprache als Wahrheitsmoment am philosophischen Symbolbegriff.« (289) Verabschieden möchte L. damit a) den Primat rationaler begrifflicher Erkenntnis neuzeitlicher Provenienz und b) allzu simple Ontologisierungsstrategien, seien sie philosophischer oder theologischer Art.

In der Durchführung wendet sich L. klug gewählt Tillich (19–95) und Cassirer (97–195) zu, bevor sie einen eigenständigen Entwurf einer symbolischen Religionstheorie versucht (197–256) und ab­schließend nach strukturellen Ähnlichkeiten und Mustern von Symbolen fragt (257–290).

Tillich steht dabei für eine Wertschätzung religiösen Lebens, für dessen theologische Reflexion er den Symbolbegriff ins Gespräch gebracht habe. Allerdings bleibt er L. letztlich einerseits zu stark dem begrifflichen Denken verhaftet, da das, was er Symbol nenne »seiner Funktion nach ein Begriff« sei, der lediglich »in besonderer Weise« verwendet werde (31), insgesamt aber unverändert »im Rahmen der kritischen Erkenntnistheorie Kants« verbleibe (73). Zudem könne er sich – trotz einer gewissen Entwicklung seit 1925 – nicht von der Ontologie lösen, denn: »Die speziellen Symbole der Bibel für Gott und für die Grundsituation des Menschen vor Gott sind faktisch vorgegeben. Sie haben einen ontologischen Gehalt und müssen in philosophische Sprache übersetzt werden.« (32) Deshalb sei auch sein existenzphilosophischer Bezug beschränkt geblieben: »So fehlt alles, was zu existentiellen Struktursymbolen gehört wie die Primärerfahrungen des Menschseins und die unten genauer ex­plizierten Grundstrukturen des Menschseins sowie deren religiöse und theologische Qualifizierung in der religiösen Erfahrung und in den diese Erfahrung ausdrückenden religiösen Symbolen, die etwas anderes sind als Inhalte begrifflicher Rede.« (77) Tillich entfal­te »nirgends den konkreten Bildgehalt biblischer oder psychischer Symbole, sondern er reduzier[e] die Fülle von Bildern, Sprachformen und Spracharten auf wenige abstrakte, philosophisch-ontologische Aussagesätze« (79). Die Konsequenz müsse eine Er­weiterung von Tillichs Ansatz in der Theologie sein: »wenn schon ontologisch, dann nicht seins-ontologisch, sondern im Letzten wort-ontologisch zu reden, diese wort-ontologische Rede aber vor dem Forum kultureller Erfahrungen auszuweisen« (84).

Mit Cassirer hingegen meint L. beiden o. g. Abgrenzungen entgegentreten zu können, indem er mittels des Symbolbegriffs die Erkenntnistheorie Kants erweitert habe zur Kulturphilosophie (97) und zudem nicht an einem Sein selbst oder ontologischen Größen festhalte: »Alle realistischen, empiristischen, rationalistischen Mo­delle erweisen sich als wirklichkeitsfremd, während offensichtlich eine zunächst ›idealistisch‹ anmutende Betrachtungsweise sich den Phänomenen gegenüber als angemessener und ›realer‹ er­weist.« (99) Mit dieser und anderen Passagen zeigt L., dass sie sich Cassirers Position tiefgehend erarbeitet hat, auch wenn er ihr für o.g. Frucht­barmachung wiederum religiös zu »unmusikalisch« er­scheint, als dass er hier ausreichend tragen könnte – ein Urteil, das sich in der Cassirer-Forschung m. E. zu Recht mehrheitlich findet.

Allerdings trägt L.s Kritik und Fortführung dann irritierende Züge: Wo immer sie sich auf religiöse Überzeugungen bzw. theologisch-dogmatische Aussagen bezieht, hebt sie deren Offenba­rungs­charakter und Unbedingtheit hervor, die obzwar symbolisch, dennoch erhaben seien über all das, was »nur« innerhalb der endlichen Vernunft ausgesagt werden könne (vgl. bereits 26, Anm. 19, zu Tillich). Weniger problematisch sind dabei jene Passagen, in denen sie bestimmte Annahmen Cassirers per analogiam in religiöse Sprache übersetzt, als wenn sie betont, dass »[d]ie Wahrheit dessen, der sich im religiösen Symbol erschließ[e, …] auf dessen Selbsterschließung« beruhe, auch wenn sich diese Wahrheit nur »in actu, d. h. für bestimmte Personen in bestimmten Situationen« einstelle (154). Letztlich könne nur der theologische Diskurs diese Art der »Gegebenheit, in der sich das zu Gebende selbst gibt und zu eignet [sic!]« entfalten (170, Anm. 36). Mitzulesen ist hier zudem eine massive begriffliche Umbesetzung Cassirerscher Terminologie, indem L. Symbol reserviert »für religiöse Erfahrungen«, besonders für solche, »die um elementare existentielle Lebensvollzüge kreisen. Zeichen soll stehen für die Symbole in Sprache und Wissenschaft. Sinn wird reserviert für das religiöse und existentielle Symbol, dagegen wird Bedeutung gebraucht für die nicht-religiösen Zeichen.« (154) Warum? Weil in den symbolisch-religiösen Sinnstiftungen Sinn eben nicht allein im Akt des Symbolisierens vom symbolisierenden Bewusstsein gesetzt werde, sondern sich offenbare. Es ist richtig, dass Cassirers Terminologie zuweilen unklar ist und es noch beträchtliche Anstrengungen der Forschung brauchen wird, hier klarer differenzieren zu können, aber es scheint mir wenig zielführend, im Anschluss an Cassirer die bei ihm interdependenten Begriffe wie Sinn und Bedeutung, Präsenz und Repräsentation zu trennen. Es zeigt m. E. lediglich, dass Cassirers Ansatz in letzter Konsequenz dann doch nicht verstanden wurde: Auch wenn Cassirers Religionsverständnis als defizitär beurteilt werden kann, so lässt sich im Ausgang von seiner Philosophie doch eines nicht länger aussagen: dass dogmatische Aussagen jemals etwas anderes als bestimmte Deutungen sind. Religiöser Sinn sprengt daher gerade nicht »den bisherigen symboltheoretischen Verstehensrahmen von Sinn überhaupt«, er ist nicht »von anderer Art« (218).

Im dritten Abschnitt der Arbeit folgert L., »dass sich theologische Rede mit dem Bezug auf die Symboltheorie nicht begründen…, sondern nur versuchsweise verständlich machen« könne, denn »[b]egründet [werde] die christlich-theologische Rede von Gott als offenem Horizont des Menschen aus der Selbstmanifestation Gottes in der Offenbarung, wie sie in der Heiligen Schrift manifest wird« (253). In dieser Grundhaltung steht L., obgleich sie sich breit auf Stoellger, Moxter und meine eigene Arbeit bezieht, jener Lesart nahe, die u. a. von Stark oder auch Bongardt vertreten wird, obwohl sie sich von Ersterem bezüglich dessen Ontologisierung des Symbolischen zu Recht distanziert (150, Anm. 117) und Zweiteren erstaunlicherweise kaum rezipiert, obgleich sich vor allem die Überlegungen zu kollektiven Symbolisierungsprozessen von seiner im Übrigen hervorragenden Arbeit her gut begründen ließen (204). Insgesamt hat man den Eindruck, dass L. die jeweiligen Positionen zwar sorgfältig und weitgehend korrekt zu referieren vermag, dass aber die zusammenfassenden und im eigentlichen Sinne systematischen Überleitungen, Begrifflichkeiten und Thesen der Problemkonstellationen nicht hinreichend reflektiert werden.

Das betrifft z. B. die Differenz von Wahrnehmung und Erkenntnis (197), Qualifizierung als »etwas« (199), das Verhältnis von Entwurf und Konstruktion (199), Substanz- und Funktionsbegriff (207), starke und schwache Mehrdimensionalität (249) und den Symbolbegriff selbst, der immer einmal wieder zwischen Cassirers Funktions- und Strukturbegriff einerseits, Symbolphänomenen und empirischem Umgang mit Symbolen andererseits schwankt, aber eben nicht für eine Katalogisierung des Weltkulturerbes taugt (103 und besoders in C und D, z. B. 216–218.220 f.280 f.) – und darüber die harten (transzen­dentalphilosophischen) Konsequenzen aus Cassirer Philosophie der symbolischen Formen an Härte verlieren (u. a. C. 1.1 f., 1.4.). Die Argumente bleiben eher summarisch aneinandergereiht und sind zudem, was Herkunft und Status der jeweiligen zum Teil fachfremden Ansätze angeht, kaum kontextualisiert (z. B. Riedls Biologie der Erkenntnis [1980], die Archetypentheorie von Jung oder Fraktaltheorien) oder bleiben gar ungenannt (z. B. Langers Studie in Mind I–III [1967–82] zur Rhythmus-These [112–122]).


Ähnliches gilt für die zweite Monographie, die eine Einführung in das Symbolische Denken leisten soll und dafür zahlreiche Theorieansätze vorstellt: 1. Zeichen – Symbol – Symbolisierung (5–36), 2. Hermeneutik und ihre Grundlagen (37–69), 3. Metapher – Allegorie – Symbol – Mythos – Ritus (70–100), 4. Symbol und Hermeneutik in Psychoanalyse, Tiefenpsychologie und in populären Medien (101–157), 5. »Symbol«: Theorien und Phänomene – eine Zwischenbilanz (158–169), 6. Religiöse Symbole und die Symbole des Glaubens (170–198) und 7. Zur symbolbezogenen Textauslegung in der Bibel (199–205 bzw. 224). Wie zuvor ist dabei die Abgrenzung von »der« neuzeitlichen bloß rationalen Erkenntnis leitend, die nun überführt werden soll in ein symbolisches Verstehen, mit dessen Hilfe sich der Reichtum der biblischen Texte besser erschließen lasse (3 f.). Wieder erstaunt, dass L., die für die jeweiligen Symbole so sehr um leiblich-sinnliche Verortung bemüht ist, die höchst differenten Theorieansätze selbst weder in den Kontext der Wissenschaftsgeschichte noch über rudimentäre Ansätze hinaus in den Werkkontext einordnet. Stattdessen lässt sie (z. B. in 1.3 und 1.4) die Ansätze auf kürzestem Raum eher assoziativ aufeinander folgen: Aristoteles, Augustin, Stoa, U. Eco, Peirce, Frege, Ricœur, Langer, Barthes, Ricœur. In 2.1–2.4 zur Hermeneutik behandelt sie einzelne Positionen, besonders Schleiermacher und Gadamer, ausführlicher, folgt der historischen Genese aber wieder nur über Rück- und Vorgriffe und bezieht diese zudem auf Positionen gänzlich anderer Herkunft (wie z. B. auf Riedl in 2.5).

Kapitel 3 setzt dann fort mit der zunächst einsichtigen Abfolge von Allegorie/Allegorese und Metapher, geht dann aber ohne den erkenntnistheoretischen, hermeneutischen und phänomenologischen Bruch im Mythosbegriff zu thematisieren, über zu Mythos und Logos, von dort zu Ritus und Ritual und schließlich zum Symbol. Ausführlicher geht L. in Kapitel 4 zu Freud und Jung vor, die sie methodisch wie thematisch sorgfältiger gegliedert darstellt und vergleicht. Ob die Überlegungen in 4.4 zu den populären Medien nicht besser in einem eigenen Kapitel hätten behandelt werden sollen, sei dahin gestellt. Die Ausführlichkeit des 4. Kapitels erschließt sich in der Zwischenreflexion in Kapitel 5, denn: »Der Weg durch die Zeichentheorien, Symboltheorien und verschiedenste Hermeneutiken ist ein Weg von außen nach innen geworden: Aus dem empirisch-semiotischen Zugang [sic!] ergibt sich ein phänomenologischer, daraus ein hermeneutischer, daraus ein in irgend-einem [sic!] Sinne tiefen-psychologischer. Der Weg führt vom Zeichen zum vor-sprachlichen und nicht-nur-sprachlichen Bild, vom Text zum Subtext, vom Offensichtlichen zum Verborgenen.« (158) Da nämlich die »bisher vertrauten Strukturen des weitgehend rationalen Verstehens … offensichtlich nicht« ausreichten, »um den komplexen Phänomenen gerecht zu werden, für die der Symbolbegriff verwendet worden ist«, gehe es nun darum, eine keinesfalls »irrational[e], sondern para-rational[e]« Logik des Denkens zu entwickeln: »Sie soll Symbol-Logik heißen« (158) und führe zu folgendem Symbolbegriff: »Symbol steht für gebildete Repräsentanz, die auf Präsents [sic!] beruht und Präsenz gewährt. Was Symbol ist, gewinnt in seiner Repräsentationsgestalt eine eigene Realität.« (161) Für die Ausführung greift L. auf die in der Dissertation gemachte Differenz zwischen einem formalen und existentiellen Sinnbegriff sowie zwischen Sinn (bezogen »auf konkrete leibnahe, sinnenhafte Kontexte«, 166) und Bedeutung (bezogen auf »abstrakte Kontexte«, 166) zurück, wobei es weniger im streng-begrifflichen Sinne um Sinnlichkeit geht, sondern um die Ausweitung über bloß rationale Herangehensweisen hinaus. Diese wird in den beiden letzten Kapiteln 6 und 7 dann auf unterschiedliche religiöse Symbole bzw. Symbole des Glaubens angewendet, worin sich zahlreiche anregende Reflexionen zu Werbetexten, Gemälden, Körpersymboliken, Raumerfahrungen und Bibeltexten finden.

Insgesamt gilt, dass L. die Vielfalt der Positionen wie bereits zu­vor in der Dissertation gut darzustellen vermag und ihr Text zudem flüssig zu lesen ist, was freilich auch an der hier bewussten Entscheidung gegen klare Belegstellen im Textverlauf und für einen (leider nur bedingt sorgfältigen) Anhang liegt. Dennoch – im Grunde erschließen sich die vorgestellten Positionen nur, wenn man sie bereits kennt. Für jenes noch weitgehend unkundige Pub­likum, dem solch eine Einführung zugedacht ist, bleibt es vermutlich beim Schlagwortkatalog. Dies ist bedauerlich, denn die thematische Anlage des Buches wäre für den aktuellen Diskurs, der sich zwischen Philosophie und Theologie bezüglich Kultur, Symbol und Religion entsponnen hat, höchst lohnenswert!