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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1167–1171

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Beierwaltes, Werner

Titel/Untertitel:

Eriugenia. Grundzüge seines Denkens

Verlag:

Frankfurt: Klostermann 1994. 364 S. gr.8°. Lw. DM 138,-. ISBN 3-465-02653-5

Rezensent:

Fritz Hoffmann

Die Theologie des Mittelalters wurde von ihren Anfängen an von einer philosophischen Reflexion begleitet, deren Wurzeln bis in die Antike reichen. Die Autorität des Aristoteles spielte dabei eine hervorragende Rolle, sowohl in ihrer Seinslehre (Metaphysik), als auch in ihrer Methodik (Logik, Kategorien). Die Begegnung von theologischer und philosophischer Reflexion faßte Anselm von Canterbury, Augustinus folgend, in der Devise zusammen: Credo ut intelligam, intelligo ut credam. Durch sein Eintreten für eine von der Ratio begleitete Theologie geriet er andererseits in den Verdacht, den Glauben dem Rationalismus ausgeliefert zu haben. Im heute noch allgemeinen Urteil gilt er als ´Vater der Scholastik´, weil er die Theologie durch die Rückbindung der Glaubensreflexion an streng rationale Prinzipien und Formen in den Rang einer wissenschaftlichen Disziplin erhob und sie damit für ihre hervorragende Stellung im geistigen Leben des Mittelalters, besonders an den Universitäten, vorbereitete. Es waren in der Mehrzahl Theologen, die zur Weiterentwicklung der Logik als Instrument jeglicher Wissenschaft, aber auch zur Eigenständigkeit von Metaphysik und Physik ihren Beitrag leisteten. Bei dieser Sicht der Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters ist es nicht zu verwundern, daß eine andere wichtige Quelle des Geisteslebens jener Zeit nicht die ihr gebührende Beachtung und Würdigung fand. Ich fasse sie zunächst unter dem Stichwort des ´Neuplatonismus´ zusammen.

Die Häupter dieser philosophischen Bewegung, die in einer zum Aristotelismus entgegenlaufenden Weise die Theologie in die Philosophie einbrachten, lehrten in der Zeit des Überganges von der Spätantike zum frühen Mittelalter. Vier Namen seien besonders genannt: Plotin, Proklos, Pseudo-Dionysius und Johannes Scotus Eriugena, von dem aus Beierwaltes das Bild dieser geistigen Bewegung und ihrer Wirkungsgeschichte entwirft, die bis in dieGegenwart hinein reicht. Hauptquelle ist Eriugenas Periphyseon. Eine solche Darstellung ist nicht problemlos, da der Neuplatonismus in seinen Anfängen als Gegenspieler des Christentums angesehen wurde und unter der Protektion mancher spätantiken Mächtigen in dieser Rolle auftrat. Dieses Urteil hat Nachwirkungen bis zur Gegenwart. Auch in der Neuzeit erhielt die Lehre von dem Einen als Ursprung von Allem und dessen Rückkehr zu dem Ursprung im deutschen Idealismus (besonders bei Hegel) eine Gestalt, die nicht mehr mit der Lehre des Eriugena übereinstimmt, die ihre letzte Rückbindung an der christlichen Gotteslehre hatte. Eriugena war christlicher Theologe! Hauptquelle ist für ihn die Heilige Schrift. Den Neuplatonismus schöpfte er aus "theologischen" Quellen (35).

Aus B.s sublimer Studie über Eriugena läßt sich in zweifacher Richtung Gewinn ziehen: sachlich-inhaltlich und methodisch. Beginnen wir mit dem Ersten:

1. In einer anderen Weise als in der von aristotelischen Denkern geleiteten scholastischen Theologie wird Gott als der Ursprung von Allem mit dem Einen gleichgesetzt, aus dem die Vielfalt des Geschaffenen hervorgeht, ohne daß dieses von ihm getrennt, vom Innesein in dem Einen und dieses vom Innesein in dem Vielen geschieden würde. Der Gedanke einer pantheistischen Verfremdung der christlichen Lehre von Gottes Allpräsenz stößt auf eine zweifache Schranke, erstens die noëtische Verborgenheit Gottes, von dem wir eigentlich und im strengen Sinne nur wissen, was er nicht ist; zweitens die von Eriugena stets betonte Transzendenz Gottes. Eriugena ist von seinem neuplatonischen Denken her ein Lehrer der negativen Theologie. Das kategoriale Denken und Erkennen bleibt auf die Vielfalt der Dinge anwendbar, aber nicht auf Gott. Dennoch schauen wir von der Vielfalt auf das Eine als deren Ursprung, der die von ihm geschaffenen Dinge niemals aus sich entläßt und ihr Ziel bleibt, zu dem sie zurückstreben. Gewiß, auch Thomas von Aquin wendet die Begriffe ´Ursprung´ und ´Ziel´ auf das Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung an. In Eriugenas Denken wird jedoch die Einheit zwischen dem einen Ursprung und der Vielfalt des Hervorgegangenen viel substantieller gefaßt, darum die Notwendigkeit des reditus zu dem einen Ursprung! Und zugleich wird der Unterschied zwischen beiden viel schärfer gesehen, darum die Unerkennbarkeit des Ursprungs aus der Sicht der aus ihm hervorgegangenen vielfältigen Dinge! In dieser dialektischen Bewegung von Erkennen und Nicht-Erkennen verbirgt sich ein Existential, das ich mit dem Wort ´Erfahrung´ Bezeichnen möchte. Es ist eine Weise der Seins- und Gotteserkenntnis, in der ein anderer Weg als der des rationalen Denkens beschritten wird. Im landläufigen Sinne wird oft das Wort ´Mystik´ dafür gebraucht. Wegen seiner verschwommenen Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch heute vermeiden wir es hier; auch im Index rerum des Werkes von B. kommt es nicht vor. Erkennen in der Weise des Erfahrens findet in der Geistesgeschichte des Mittelalters wiederholt einen Platz. B. verweist auf die mystische Theologie der Viktoriner, auf Bonaventura, aber auch auf Magister, die man in dieser Sparte nicht erwartet wie Robert Grosseteste, Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Natürlich gehört in hervorragender Weise Nikolaus Cusanus zu den Zeugen dieser Theologie (119). Auf jeden Fall lernen wir aus diesen Hinweisen, die Lebendigkeit und den Einfluß neuplatonischen Denkens im Mittelalter richtig einzuschätzen und in Konsequenz dazu der Erforschung dieses Phänomens einen größeren Raum zu geben.

Wenn wir ´Erfahrung´, ´Erfahren´ im weitesten Sinne verstehen, dann läßt sich sagen: Gott wird (bei Eriugena) als Einer erfahren. Dieses Erfahren vollzieht sich auf dem Wege der negativen Theologie mit einer negativen Dialektik. Nur in ihr läßt sich begreifen, wie das ´Nichts´ eigentlich die Mächtigkeit zu Allem in sich schließt (40 ff.). Die hier angesprochene Dialektik ist kein Entwurf des menschlichen Denkens, sondern gründet im Sein selbst (69). Eriugena begreift das Sein im Sinne der neuplatonischen Triade von Verharren (Moné), Hervorgang (Prohodos) und Rückkehr (Epistrophé). Die von der biblischen Schöpfungslehre eingeforderte wesenhafte Andersartigkeit des Geschaffenen (des Vielen) zum Ursprung (zum Einen) geht Eriugena nicht vom Kontingenzbegriff an, sondern in einer Art Analyse des Begriffes der Andesrartigkeit.

Von diesem Begriff ergibt sich eine Verbindung zu Nikolaus Cusanus, der B. ein ganzes Kapitel: Eriugena und Cusanus (266-312) gewidmet hat .

Eriugena war dem Kardinal Nikolaus nicht nur bekannt, er war für ihn eine Quelle, die er reichlich ausschöpfte. Aus ihr stammt die cusanische Formel von der Compositio oppositorum (273 f.), in deren Gefolge und zu deren Erschließung eine Dialektik steht, die ihre Rolle sowohl in der trinitarischen Reflexion wie in deren Verbindung zur Theologie der Heilsgeschichte spielt (279; 302). Diese Dialektik ist nicht primär menschlicher Entwurf, sondern gründet im Sein selbst (69). Im Blick auf den Deus creator löste Cusanus den thomistischen Begriff des ipsum esse durch den des possest ab. Auch dazu gibt Eriugena das Motiv (275 f.), da er Gottes Wirken als "Sehen" faßte, nicht im empfangenden, sondern im schöpferischen, hervorbringenden Sinne. So umschließt es alles Seiende. Durch die Zeitlosigkeit des (inner-)göttlichen Wirkens wird die absolute Transzendenz Gottes aufrecht erhalten und jede pantheistische Vermischung mit dem geschaffenen Sein abgewehrt. Eriugenas Reflexionen über die Bewegung des innergöttlichen Seins eröffnen ein Verständnis für die Trinitätslehre der Offenbarung. Die trinitarische Formel: Einheit in Dreiheit und Dreiheit in Einheit, setzt eine ontologische Bedeutung von Einheit voraus, wobei diese nicht mehr als Multiplikator der Zahl gebraucht wird.

Ein zweiter Leitbegriff für Gottes Transzendenz ist die Andersheit des geschöpflichen Seins, dem entgegen Gott der ´Nicht-Andere´ ist. Cusanus hat diesen Gedanken ausgebaut. Doch auch zu dieser Herausstellung der Transzendenz Gottes setzt Eriugena einen Kontrapunkt im Begriff der Theophanie. Immer wieder scheint im oft so verfremdeten Reden von Gott seine (verborgene) Gegenwart durch. Der Kosmos wird nicht nur als Schöpfung Gottes im Sinne eines opus externum gesehen, sondern als Theophanie des in seinem Wesen verborgenen Gottes. Die Relation der Welt zu ihrem Ursprung, Erkennbarkeit und Verborgenheit, Aussagbarkeit und Negation dieser Relation hat B. in dem klassischen Satz ausgedrückt: "Die Sätze ´Welt (als das insgesamt durch creatio gesetzte Seiende) ist Theophanie´, ´Welt ist Symbol´, ´Welt ist Metapher´ erhellen von verschiedenen Aspekten her denselben Sachverhalt." (137)

Ausführlich wird die Bedeutung der Kunst als Theophanie, als Einwirken des Geistigen auf das Materielle gewürdigt, sowohl in der Architektur (Abt Suger als geistiger Interpret von St. Denis Paris) (145 ff.) als auch in der Harmonie der Musik (159-179). Die vom neuplatonischen Denken durchpulste Theologie war von einem Einfluß auf die geistige, kulturelle und religiöse Entwicklung des Mittelalters, der viel stärkere Beachtung finden sollte. B.s Eriugena wie seine ganze Lebensarbeit über den Neuplatonismus ist ein entscheidender Schritt auf diesem Weg, der zu breiter Weiterführung anregen kann.

Recht verstanden wird diese Theologie nicht von der Philosophie verfremdet; die Zentralthemen christlicher Offenbarung: Trinität und Menschwerdung, werden reflektiert. Damit möchte ich zu dem zweiten Teil dieser Besprechung übergehen, der die Methodik in den Mittelpunkt stellt. Sie ist aufs engste mit der Sachproblematik verbunden.

2. Unter der Überschrift: "Sprache und Sache" widmet B. ein ganzes Kapitel der theologischen Aussage in der Sicht neuplatonischen Denkens (52-81). In einer Theologie, die ständig die Aussagbarkeit des Nicht-Aussagbaren, Göttlichen hinterfragt, geht es dabei um ein Kernproblem theologischen Sagens, das sich in viele Teilfragen verzweigt. Die Kernfrage kann in die einfache Formel gebracht werden: "Wie sagt dieses Denken das an sich Unsagbare?" (52) Im theologischen Reden tritt eine diesem eigenartige Dialektik zu Tage, aus der sich für Eriugena eine "Duplex theoria" ergibt (82 ff.). Theologie als Rede von Gott bedarf des Wortes, jedoch eines Wortes, das der Verborgenheit dessen gerecht wird, auf das es angewandt wird. Kategoriale Aussageweisen taugen für das Geschöpfliche, nicht aber für das Eine, das unnennbar ist und doch zur Sprache gebracht wird (62). "Welcher Grad von Genauigkeit, Gewißheit oder Wahrheit kommt diesem Sagen zu?" (52) Die grundsätzliche Unerkennbarkeit und Un-Nennbarkeit Gottes drückt Eriugena mit den Worten aus: "Nihil de deo proprie posset dici ­ sed solum-modo translative." (62, Anm.16 u. 17). Oft vermag die Metapher, wie etwa "Licht", die Wirklichkeit des Göttlichen treffender wiederzugeben als die eigentliche Aussage (64).

B. bemerkt dazu: "Dies schließt aber keineswegs den Versuch aus, die begrifflichen Implikationen der Metaphern bewußt zu machen, also ihren Erkenntnisgewinn zu interpretieren, ohne diese wie einen ´überflüssigen´ Redeschmuck oder gar als ein obstaculum des Denkens begrifflich einzuebnen. Ebensosehr bedarf der verborgene metaphysische Gehalt von Begriffen der Analyse" (64 f.). Diese Hinweise sind für das Urteil über die Theologia negativa im Ganzen zu beherzigen, auf daß sie nicht zu einem Stiefkind der ´positiven´ Theologie herabsinkt, sondern in ihrer legitimen Eigenart gewürdigt wird und zur Anwendung kommt. Dieses Gegenüber und Zusammmenspiel von Epoché und einer Reflexion über die Wirkkraft der Sprache zeigt B. bei Eriugena in dem Kapitel: "Duplex Theoria" (82-114). Eriugenas Epoché gegenüber der Leistung und Funktion der Sprache stellt B. deren kreative Kraft gegenüber. In der Folge des Theophanie-Gedankens kann Sprache ein Erscheinen des an sich Nicht-Erscheinenden im Medium der Andersheit sein (83).

Damit behalten die sog. Gottesprädikationen ihre Aussagekraft als hinweisende Zeichen (84; 89). Diese ist freilich begründet durch unser Denken und Sprechen (87/88). B. betont an späterer Stelle, wo es um Eriugenas Aussagen über die manigfaltige, ja unendliche lnterpretierbarkeit der Heiligen Schrift geht, daß mit solchen Thesen nicht einer reinen Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet werden, weil die theologische Argumentation stets einer strengen, bewußten Methodik unterworfen wird (113). Mehr noch! Epoché gegenüber einer argumentativen Erkenntnis steigert die Möglichkeit des endlichen Denkens gegenüber dem Absoluten (97 f.). Gerade weil wir in dem Bereich des Göttlichen uns der uneigentlichen Sprechweise bedienen müssen, bringen wir dabei uns selbst ein. In diesen Gedanken begegnet uns wieder einmal die geistige Affinität des Nikolaus von Kues mit Eriugena (111).

Noch einmal sei am Beispiel dieser beiden Denker hervorgehoben, daß dieses Sich-selbst-Einbringen, diese ´Subjektivität´ nicht als eine Art Beliebigkeit verstanden werden darf. Beide Denker zeigen jeweils in ihren Denksystemen eine strenge Konsequenz und eine nicht mehr hinterfragbare Bindung an Offenbarung und Glaube. Eriugena bezieht die Zentralmysterien des christlichen Glaubens ganz selbstverständlich in seine Reflexion ein: die Trinität (114, 222-225), die Inkarnation (144), die Schöpfung als Theophanie und dennoch Andersheit zu Gott. Meisterhaft ist die gegenseitige Einbindung von neuplatonischem Denken und Christologie. "Für den Vollzug des Rückganges des Menschen und der Menschheit ist Christus der Mittler." Erlösung wird "als Rückkehr der Welt und des Menschen in den ursprünglichen Stand, als versöhnende Wiederherstellung des ursprünglichen Heils" begriffen. Der Tod Christi wird dabei nicht philosophisch veruneigentlicht oder ideologisiert, er ist "Medium zur Auferstehung, Vollendung seiner selbst und des Menschen, er ist mors mortis, Tod des Todes, d.h. Tod der durch die Sünde toten Menschheit und so Bedingung dafür, daß diese sich in ihre pristina gloria verändere, ihre eigene ´deificatio´ erreiche..." (144). Diese Herstellung der ursprünglichen Herrlichkeit ist zugleich die Erneuerung der ursprünglichen Schönheit in der Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit mit Gott und in Gott (145). In dieser philosophischen und theologischen Schau auf Gott und seine Schöpfung liegt u.a. das Motiv für die Einbeziehung der Kunst, der Architektur (145 ff.), der Musik (159-179) in die Glaubensreflexion und die Frömmigkeit des Mittelalters. Auch was heute als ´Lichtmetaphysik´ bezeichnet wird, hat seine Wurzeln in dieser von der Theologie assimilierten Art neuplatonischen Denkens. Stein und Holz sind ´Licht´, weil sie das Denken in ihre intelligible Struktur hineinführen (135).

Damit sind sie zugleich Medium der Theophanie als Einwirken des Geistigen in das Materielle (145 ff.). B. zieht die Verbindungslinien noch weiter, zwischen Aristoteles (dem ´Philosophen´ für den scholastischen Denker) und Platonismus - Neuplatonismus. "Sein und Leben Gottes begreift Aristoteles als Denken des Denkens..." (180). Und wieder geht diese von der Theologie des Aristoteles motivierte geistige Linie über den neuplatonischen Begriff des zeitlosen, sich selbst denkenden Geistes (Nus) zur frühen griechischen und lateinischen Theologie des Mittelalters (181).

In der Trinitätslehre (Filioque) kommt Eriugena die Rolle eines Vermittlers zwischen Ost und West zu (206). Auch innerhalb dieser Thematik melden sich bei Eriugena wieder sprachtheoretische, ja denkerische Reduktionen: "Tiefer und wahrer wird sie (scl. die Trinität) gedacht als in der Rede ausgesprochen; tiefer und wahrer wird sie eingesehen als gedacht, tiefer und wahrer ist sie, als sie eingesehen wird" (220). Sprechen und Denken über das Höchste hat nur Verweis-Charakter, ist nur "Vermutung als Vorblick auf eigentlich Gemeintes," ein Gedanke, der Jahrhunderte später von Nikolaus Cusanus aufgenommen wurde. Für uns sind solche Reflexionen über den ontologischen Stand oder Hintergrund des theologischen Sprechens und Denkens von neuer Aktualität gerade im ökumenischen und apologetischen Gespräch über die Trinität, wenn dies über die Grenzen der christlichen Theologie hinaus geführt wird. Doch auch hier muß davor gewarnt werden, Denken und Sprechen als von der Wirklichkeit gelösten Eigenbereich anzusehen. Damit würde man an Eriugena vorbeiargumentieren. "Das eigentlich zu Denkende liegt als Wirkliches in der Fluchtlinie unseres Denkens..." (219). Die Fähigkeit, Begriffsanalyse und Realerkenntnis aufeinander abzustimmen, zeigt Eriugena in der Diskussion über die griechische Trinitätsformel, wie sie durch Dionysius, Gregor von Nazianz und Maximus Confessor überliefert und von Augustinus in das "römische" Verständnis aufgenommen wurde (221 ff.). An Stelle der von B. gebrachten ausführlichen Passage (222-223) zitiere ich hier nur den markanten Satz: "una eademque fides est in omnibus, quamvis significatorum diversitas videatur" (222). Zweifaches Vorgehen ist in der Trinitätslehre des Eriugena festzustellen: Sein Umgang mit den Autoritäten zielt auf Verstehen und Ausgleich der Verschiedenheiten, ohne einer platten Einebnung zu verfallen. Sein eigener Versuch, die Aussagen über die Trinität mit Hilfe neuplatonischen Denkens zu erschließen, muß als grandioses Unternehmen gewertet werden, die dialektische, Spannung zwischen der unteilbaren Einheit Gottes und dem von der Gottheit hervorgebrachten trinitarischen Leben auszuloten (226)

Daß gegenüber einem solchen Bemühen auch kritische Vorbehalte erhoben werden können (221, 225), ist nicht zu leugnen, hebt aber nicht das trinitarische Konzept Eriugenas als Ganzes auf. Bei allen begrifflichen Unterscheidungen von Benennungen und Aussagen in der Trinitätslehre ist stets zu bedenken, daß die Trinität selbst in höchster und wirklicher Weise Leben ist. In diesem Lichte gesehen erhalten Begriffe wie ´Ursache´, ´Hervorbringung´, ´Bewegung´, ´Relation´ einen nur hier eigenartigen Bedeutungsgehalt (226). Auf diesem Verstehen der Trinität als Leben Gottes und auf der dem Menschen eröffneten Einsicht darin beruht die Möglichkeit einer ´trinitarischen´ Deutung des geistig-seelischen Lebens des Menschen. Wir kennen diese in der klassischen Weise des hl. Augustinus. Eriugena hat sie weiter ausgeformt. B. zitiert aus Periphyseon den Satz: "...trinitas in motibus humanae naturae... veluti in quodam proprio speculo ad imaginem suam facto limpidissime manifestat" (244, Anm. 121). B. bemerkt an dieser Stelle, daß schon F. A. Staudenmaier auf den Beitrag Eriugenas "zum Gedanken des trinitarischen Bildes" in seiner Studie "Die Lehre vom göttlichen Ebenbilde im Menschen" (Theol.Quartalschr. 12, 1830, 199-284; 403-520) hingewiesen hat. Staudenmeier charakterisiert Eriugenas Philosophie im Ganzen als "ein großes Drama des göttlichen Ebenbildes" (ebd. 431 ff.).

3. B.s ´Eriugena´ habe ich als Ergebnis seiner Lebensarbeit über die Bedeutung des Neuplatonismus für die christliche Theologie des Mittelalters gelesen. Zusammengesetzt aus Einzelforschungen ist das Werk doch wie aus einem Guß. Der Anhang mit einer Zeittafel, einer Bibliographie und Indices verstärkt den Eindruck eines mit großer Akribie erstellten Arbeitsbuches für die weitere Forschung an dem darin angegangenen Problem. In einer Rezension läßt sich nur aphorismenartig ein Zugang zu Inhalt und Methode eröffnen, um zum tieferen Studium des Ganzen einzuladen.

Allerdings möchte ich in einem letzten Abschnitt noch auf einen Gewinn hinweisen, den die Lektüre dem Forschungsethos zu bringen vermag. Als erstes nenne ich den gewissenhaften Umgang mit den Quellen, gewissenhaft in der Eruierung und der damit verbundenen Frage nach der Art ihrer Verwendung durch den mittelalterlichen Autor. Die Feststellung der Quellen ist nur eine Seite, ebenso wichtig und noch entscheidender ist ihr Gebrauch, d.h. ihre Assimilierung durch den Autor (33-37). Weiter: B. spricht offen von einer Faszination durch Eriugena (was der Rez. nachvollziehen kann). Doch wird diese nicht zu einer Euphorie und schließt kritische Bedenken nicht aus (36, 142 zum Begriff des Malum), ohne dabei den Blick auf das Ganze zu verlieren (38). Gewissenhaft wird nach neuplatonischen Implikationen in Texten gefragt, die ein durchaus christliches Kolorit haben (45-51). Naheliegende Harmonisierungen werden vermieden, jedoch wird immer wieder der Gewinn neuplatonischer Gedanken für die christliche Theologie mit Scharfsinn und Discretio eingebracht. Mit Genugtuung erfüllt den Leser dieses Werkes, wie sein Autor bei jeder sich bietenden Gelegenheit Brücken schlägt zu den Philosophen der Antike, zu den Vätern der Patristik, zu den Magistern der Scholastik, zu literarischen Zeugnissen der Neuzeit und der Gegenwart ­ eine Frucht des reichen philosophischen und theologischen Wissens unseres Autors. Sein Werk ist ein selbstloser, unschätzbarer Dienst an der Forschung. Dafür gebührt ihm Dank, doch auch seinen Mitarbeitern (Angelika v. Fuchs und Christian Sonnleiter) für die sorgfältige Mithilfe an der Herstellung des Manuskriptes, dem Verlag Vittorio Klostermann (Frankfurt) für die fehlerlose und gediegene Drucklegung.