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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1165 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Arnold, Johannes

Titel/Untertitel:

"Perfecta Communicatio" Die Trinitätslehre Wilhelms von Auxerre

Verlag:

Münster: Aschendorff 1995. XIII, 375 S., gr. 8° = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, NF 42. DM 88,­. ISBN 3-402-03937-0.

Rezensent:

Ulrich Köpf

Der Weltgeistliche Wilhelm von Auxerre war im ersten Drittel des 13. Jh.s einer der führenden theologischen Lehrer in Paris. Sein Einfluß läßt sich allein schon daran erkennen, daß von seinem Hauptwerk, der berühmten Summa aurea, heute noch mehr als 120 Handschriften erhalten sind. Es handelt sich um eine in ihrem Aufbau durch die vier Sentenzenbücher des Petrus Lombardus beeinflußte Sammlung von quaestiones disputatae, die ­ wohl in den zwanziger Jahren aus reportationes zusammengestellt ­ bis zur Mitte des 13. Jh.s am stärksten gewirkt hat, aber noch im Spätmittelalter häufig zitiert und 1500 gleich zweimal gedruckt wurde. Trotz seines hohen Ansehens im Mittelalter ist Wilhelm von der Scholastikforschung bisher etwas vernachlässigt worden ­ vermutlich vor allem deshalb, weil er weder in der Geschichte der theologischen Schulrichtungen eine Rolle spielt noch als besonders origineller Einzelgänger hervorragt. Sein Werk stellt vielmehr einen Versuch dar, noch vor der in den dreißiger Jahren an der Pariser theologischen Fakultät einsetzenden Schulbildung ältere und neu rezipierte Überlieferungen in einem großen Überblick harmonisierend zusammenzufassen. Nachdem seit einigen Jahren in der Ausgabe J. Ribailliers (7 Bände, Paris-Grottaferrata 1980-1987) eine vorzügliche kritische Edition des in zwei Fassungen überlieferten Werks vorliegt, ist eine Untersuchung der Theologie Wilhelms nach ihren methodischen und inhaltlichen Aspekten höchst wünschenswert.

Der Vf. der vorliegenden theologischen Dissertation (Freiburg i. Br. 1993) hat aus diesem Werk ein Sachthema aufgegriffen, das von der Schultheologie des 12. Jh.s besonders häufig behandelt und auf dem 4. Laterankonzil 1215 erneut lehrmäßig festgelegt und präzisiert wurde. Wenn er darauf hinweist, daß "einige Thesen in Wilhelms Trinitätstheologie erst von ´außertheologischen´ Voraussetzungen her plausibel und anschaulich werden", dann weckt er Hoffnungen auf eine längst fällige Erweiterung der traditionellen dogmen- und theologiegeschichtlichen Sicht, schränkt allerdings die wünschenswerte Erweiterung des Gesichtsfeldes sogleich auf "die sozial- und kulturgeschichtliche Betrachtungsweise" ein (XII). Leider hat er aber gerade jene Abschnitte, die diesen außertheologischen Hintergrund, nämlich die zeitgenössische Auffassung des Königtums und das Verständnis der Verwandtschaft, aufzuzeigen versuchen, aus seiner Dissertation ausgegliedert und bereits in Zeitschriftenbeiträgen veröffentlicht. Daher wird der Leser des Buches mehrfach mit Behauptungen konfrontiert, die er nur mit Hilfe dieser Aufsätze (Theologie und Philosophie 69 [1994] 342-372, 70 [1995] 92-100) überprüfen kann. Die dort aufgezeigten Parallelen zwischen der französischen Königsideologie undWilhelms Gotteslehre und Christologie sind oftmals schlagend. Freilich lassen sich aus solchen Parallelen nicht einfach historische Abhängigkeiten rekonstruieren. Die Überlegungen des Vf.s sind bedenkenswert und anregend, bedürfen aber noch gründlicher Prüfung in größeren Zusammenhängen. Doch hängt der Wert der vorliegenden Monographie nicht von den Vermutungen über die erwähnten außertheologischen Einflüsse ab. So ist durch die separate Veröffentlichung das Gesicherte auch wieder in einleuchtender Weise vom Hypothetischen getrennt.

Im 1. Teil seiner Monographie (1-38) gibt der Vf. einen Überblick über die von Wilhelms Person und Werk bekannten Daten und Fakten und stellt die Quellen seiner Trinitätslehre zusammen, wobei er sich auf Ribailliers eingehende Nachweise stützen kann. Unter den Quellen ragen Ps.-Dionysius, Augustinus, Boethius, Gilbert Porreta mit seiner Schule und Richard von St. Victor hervor. Bemerkenswert ist aber auch, wie Wilhelm andere Texte aufgreift. So gehört er beispielsweise zu den ersten Autoren, die Johannes von Damaskus, De fide orthodoxa, nicht mehr nach den Auszügen in den Sentenzen des Lombarden, sondern unmittelbar aus der Übersetzung Burgundios von Pisa zitieren (31). Von den Zeitgenossen zieht Wilhelm besonders häufig Praepositinus von Cremona heran (33). Freilich ist ­ wie der Vf. mit Recht betont (38) ­ die theologische Literatur des frühen 13. Jahrhunderts bis heute so wenig erschlossen, daß sich noch kein sicheres Urteil über die Abhängigkeit Wilhelms von seinen Pariser Kollegen und damit über das Maß seiner Originalität fällen läßt.

Ein 2. Teil ist den "methodischen Voraussetzungen" der dogmatischen Argumentation Wilhelms gewidmet (39-76). Da die Summa aurea noch keine Prolegomena mit einer theologischen Wissenschaftstheorie enthält, sondern nur einen Prolog, in dessen Mittelpunkt fides und ratio in ihrer Anwendung auf theologische Fragen stehen, sammelt der Vf. aus dem gesamten Werk Äußerungen zum Verständnis des Glaubens und der Rolle der Vernunft, besonders auch in ihrem Verhältnis zueinander, zur Auffassung der Prinzipien und ihrer spannungsreichen Gleichsetzung mit den articuli fidei, und zum Gebrauch der auctoritates, vor allem der hl. Schrift. Nützlich ist unter anderem die Zusammenstellung von Beispielen philosophischer und theologischer regulae und der von Wilhelm in seiner Trinitätslehre aufgedeckten Arten von Fehlschlüssen (49 f.).

Den breitesten Raum nimmt die Untersuchung der Trinitätslehre selbst ein. Im 3. Teil (75-266) legt der Vf. eine sorgfältige Analyse der einschlägigen acht Traktate im 1. Buch (I 1-8) vor. Dabei geht er ganz am Text entlang. Der Weg führt zunächst von den Vernunftbeweisen für das Dasein Gottes über die Lehre von den göttlichen Eigenschaften Einfachheit, Einzigkeit und Ewigkeit mitsamt ihren Konsequenzen zum Kernstück der Trinitätslehre: der Verbindung der drei göttlichen Personen mit der Einheit Gottes. In weiteren Schritten handelt Wilhelm von den göttlichen "Namen" (vor allem dem Namen Deus), sodann von den adjektivischen und verbalen Aussagen über Gott. Schließlich wendet er sich dem Begriff persona und seinem Verhältnis zum Wesensbegriff sowie der Unterschiedenheit und den Beziehungen der drei göttlichen Personen zu. Die letzten Abschnitte sind den göttlichen Notionen gewidmet, deren Verhältnis zu den einzelnen Personen im 12. und 13. Jh. höchst umstritten ist. Mit Recht begnügt sich der Vf. aber nicht mit einer Untersuchung der Trinitätslehre im 1. Buch der Summa aurea. Er analysiert auch Wilhelms Äußerungen über die Trinität in der Schöpfungslehre (unter Bezugnahme auf die hier erstmals herangezogene psychologische Trinitätsauffassung Augustins: 28, 279) sowie trinitarische Aspekte seiner Christologie, Ekklesiologie und Sakramentenlehre, die Zuordnung bestimmter "Glaubensinhalte" zu den göttlichen Personen und die relativ spärlichen Verbindungen zwischen Trinität und göttlicher Heilsökonomie. Auch die Bedeutung der Trinität für die Liturgie wird kurz, aber aufschlußreich auf Grund von Wilhelms noch unveröffentlichter Summa de officiis erläutert (307-309).

Leider hat der Vf. den verheißungsvollen Vorsatz, dogmatische Gedankenbildungen auf ihre Zusammenhänge mit der Lebenswirklichkeit hin zu untersuchen, in seiner Monographie nicht verwirklicht. Der Wert seines Buches liegt in der sorgfältigen und scharfsinnigen Untersuchung von Wilhelms Ausführungen über die Trinität. Damit hat er einen gewichtigen Beitrag zur Kenntnis dieses bedeutenden Theologen an der Schwelle von der Früh- zur Hochscholastik wie zur Erhellung eines zentralen Themas der damaligen theologischen Diskussion geleistet.