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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1215–1217

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kaufmann, Thomas

Titel/Untertitel:

»Türckenbüchlein«. Zur christlichen Wahrnehmung »türkischer Religion« in Spätmittelalter und Reformation.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. 299 S. m. 26 Abb. u. 1 Kt. gr.8° = Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 97. Lw. EUR 59,90. ISBN 978-3-525-55222-3.

Rezensent:

Johannes Ehmann

Die historische Beschäftigung mit den Türken erfreut sich theologischer Konjunktur, und es ist kaum verwunderlich, dass sich ein Reformationsgeschichtler der Thematik annimmt, spielen doch die Türken und ihre Religion, »Mahomet« und die Sarazenen für die Geschichte des Spätmittelalters, zumal nach dem Fall Konstantinopels (1453), und für die Reformationsgeschichte, vor allem, wenngleich nicht ausschließlich in den 1520er bis 1540er Jahren, literarisch eine ganz erhebliche Rolle.

Mit seinem Türckenbüchlein will der Göttinger Ordinarius die christliche Wahrnehmung vor allem des Islam (und der Türken) im 15. und 16. Jh. wiedergeben. Das Werk ist also nicht analytisch angelegt, wie es denn historisch und religionsphänomenologisch um die Türken des Zeitraums bestellt gewesen ist, sondern gleicht einem Blick in den christlichen Spiegel. Dabei geht es dem Vf. weniger um Deutungen und Wahrnehmungen und deren Plausibilität, sondern um die zu Grunde liegenden Muster und die religions­psychologische Funktion. Mit Recht verweist der Vf. (5) auf den reflexiven Charakter dieser Muster und des sie begleitenden Wahrheitsanspruchs (7). Nicht zuletzt bei Luther (wie auch bei seinen Gegnern) dient die Türkenkritik als binnenchristliche Ge­sell­schaftskritik, die Is­lamkritik (auch) als binnenkirchliches Programm der Re­form(ation).

Das in beeindruckendem Umfang gesichtete Material ist in sieben Kapiteln aufbereitet. Nach methodischen Vorüberlegungen (I.) beleuchtet der Vf. im Kapitel »Die ›türkische Religion‹ und ihre Kontexte« (II.) das hermeneutische Verfahren der christlichen Polemik. Als wichtigstes Interpretament wird der häresiologische Zu­gang benannt, der die Wahrnehmung des Islam im 15./16. Jh. mit der antiislamischen Gesamtapologetik des Christentums seit dem Hochmittelalter verbindet. Dem sind die Motive der Apostasie und der Verführung systemimmanent zuzuordnen. Dies alles ist zu­treffend und stimmt – auch und gerade für Luther. Es ist von daher aber das Urteil unverständlich, Luther zeige »ein deutlich abgeschwächtes Interesse an der häresiologischen Deutung und Einordnung der ›türkischen Religion‹« (23) – noch dazu in Berufung auf ein Werk des Rezensenten. Man wird ganz im Gegenteil sagen müssen, dass die heilsgeschichtliche Perspektive der Häresiologie gerade für Luther ein Einfallstor der höchst wirksamen Apokalyptik in der Türkenfrage bildet – ein Gedanke, der später (Kapitel VII) eigens unter dem Stichwort »eschatologischer Horizont« thematisiert wird.

Kapitel II schildert die Phänomenologie der türkischen Religion zwischen teils verständlicher Polemik und oft unverständlicher Verzeichnung, die – so banal das klingen mag – in voraufgeklärter Wahrnehmung oft den Rand des Abstrusen streift. In der Beschreibung ist dem Vf. durchweg zuzustimmen, die vereinzelt eingezogenen gläsernen Wahrnehmungsebenen des 20. Jh.s, die meist (nur) semantisch zu fassen sind (»Kampf der Kulturen«), sind m. E. nicht nötig und entfalten (schlimmstenfalls) eine suggestive Wirkung, die vom Vf. kaum intendiert sein dürfte.

Kapitel IV beschreibt den Koran als offenbarungstheologische Quelle einer Fremdreligion zwischen Unglaubwürdigkeit und personalisierter Polemik. Kapitel V widmet sich dem hermeneutisch interessanten Spiel der häresiologischen Identifizierung des Gegners im Spiegel antiislamischer Polemik. Erhellend ist hier insbesondere die jeweilige Fremdidentifikation von »Papisten«, Lutheranern und Reformierten (44–46), deren Schilderung vielleicht zu knapp ausgefallen ist. Kapitel VI beleuchtet die Frage nach der Rolle »des Türken« für eine europäische Identität; Kapitel VII versucht in Teilresümees den Ertrag der Übersicht zu sichern – fokussiert auf »Epochenfragen im Spiegel der ›türkischen Herausforderung‹«.

Nicht zu vergessen sei die Beigabe von 26 Abbildungen, die das Buch gegebenenfalls auch als Quelle religionspädagogischer Vorlagen interessant machen könnten.

Eine Gesamtwürdigung des »Türckenbüchleins« mit wenigen Schlagworten ist kaum möglich. Mit Hochachtung ist wahrzunehmen, was der Jäger und Sammler (8) an Material gesichtet hat und in die thetische Darstellung hat einfließen lassen. Für die bereits in Einzelfragen Kundigen kann entsprechend das Opus als Nachschlagewerk höchst nützlich sein. Dem steht aber die m. E. doch un­glück­liche Entscheidung gegenüber, Haupttext und Anmerkungen in der Weise zu trennen, wie nun geschehen. Es ist die Stärke des Buches, dass die Darstellung direkt auf die (teilweise gut edierten) Quellen verweisen will. Für Interessierte, die Anmerkungsziffern aus tieferem Wissensdrang nicht einfach überlesen können, ist es gelegentlich schwierig, mit dem Zeigefingersystem ca. zehn An­merkungen pro Darstellungsseite zu er­blättern.

Dass man die Quellen dann auch anders interpretieren kann, ist legitim und wird vom Vf. wohl kaum bestritten werden. Auffällig scheint mir aber, dass – wieder sind wir beim »Kampf der Kulturen« (32 u. ö.) – die (christlichen) Berichte aus Türkenkrieg und Gefangenschaft vorzugsweise unter der Chiffre »sensationsartig kolportierte[r] Gräuelgeschichten« Aufnahme finden. Das scheint mir historisch zu wenig zu sein. Verständliche Zurückhaltung in der Emphase sollte nicht zum Verlust an Empathie führen, zumal wenn die antitürkische Propaganda und ihre religiöse Zuspitzung psychologisch in den Bereich der Kontingenzbewältigung gehören. Des Weiteren wären Überlegungen zur religionsdialogischen Tragweite des Erarbeiteten zu erhoffen gewesen. Der Vf. lehnt zu Recht eine Wortakrobatik ab, die mit christlichem Abendland oder christlichem Europa (in Zeiten der Globalisierung) pseudohis­torisch und gleichwohl suggestiv agiert. Gibt es aber keinerlei positive Erkenntnisse – und seien es die der bleibenden Gültigkeit theologischer Anfragen (jenseits frömmigkeitsgeschichtlicher Phä­nomenologien)? Vielleicht liegt aber solches Fragen schon außerhalb des durch das Verfahren der Spiegelung (Wahrnehmung, Deutung) implizierten Ansatzes.

Weniger gewichtig sind zwei Beobachtungen, die freilich bei einer Überarbeitung Berücksichtigung finden könnten. Zum einen scheint mir durchgängig das Hauptwerk des Nikolaus von Kues, die Cribratio (Siebung) Alkorani, zu Cribatio verschrieben. Zum andern scheint das Namenregister nach dem Rezensenten nicht klaren Kriterien verfasst. Sind statistisch (auch) alle Autoren aufgenommen, scheint es unvollständig, wenn nicht, müssten etliche Aufnahmen entfallen.

Dieses »Türckenbüchlein« ist ein Werk, das Aufmerksamkeit und Anerkennung verdient. Dass manche Bewertungen zu flächig erscheinen, kann man einer Studie, welche die Übersicht intendiert, nicht anlasten. So will der Rezensent darin eine Stärke und nicht etwa Schwäche erblicken, wenn als Ergebnis der Lektüre dieser kommentierenden Bibliographie im Grunde nur der Aufruf zur weiteren Forschung und vor allem zur monographisch-biographischen Untersuchung einzelner Reformatoren formuliert werden soll. Denn Studien zu einzelnen Reformatoren und ihrem Türkenbild liegen bisher nur lückenhaft vor; die traditionsgeschichtliche Reichweite beispielsweise des Türkenbildes Luthers ist meines Wissens wissenschaftlich noch gar nicht erschlossen (allenfalls im Bereich der lutherischen Apokalyptik). Dem Vf. gebührt das Verdienst, zur heute zu entwickelnden Wahrnehmung türkischer Religion ein Propädeutikum beigesteuert zu haben.