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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1205–1207

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Halteman Finger, Reta

Titel/Untertitel:

Of Widows and Meals. Communal Meals in the Book of Acts.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2007. X, 326 S. gr.8°. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-3053-1.

Rezensent:

Angela Standhartinger

In ihrer Studie möchte (La)Reta Halteman Finger, Assistenzprofessorin für Neues Testament am Messiah College, Grantham, Pennsylvania, die Mahl- und Gütergemeinschaft nach Apg 2,41–47 und 6,1–6 als die herausragende historische Praxis der ältesten Jerusalemer Gemeinden plausibilisieren. Die Untersuchung stellt sich dabei in den Dienst eines ökonomisch bescheidenen, einfachen Lebens in gemeinschaftlicher Solidarität mit den Armen und Marginalisierten und des Einsatzes für Frieden und Gerechtigkeit der mennonitischen Tradition. Die Leitfragen der Vfn. lauten: »What was the cultural reality of the earliest Jerusalem community?« und »Is commensality a necessary aspect of church life today?« (VII). Die positive Beantwortung beider Fragen führt durch 14 Kapitel, die zu vier Teilen zusammengestellt sind.

Der erste Teil widmet sich hermeneutischen Überlegungen und forschungsgeschichtlichen Klärungen. Anlass zur Studie gab die Beobachtung, dass die Gütergemeinschaft in der Urgemeinde nach der Apg (auch) in der mennonitischen Tradition zumeist als idealisiert und a-historisch gelte. Dagegen möchte die Vfn. den Text mit den Augen der Armen und den hinter dem Text verborgenen Frauen lesen. Kapitel 2 analysiert die Forschungsgeschichte zu Apg 2,42–47 und 4,32–37 seit der Alten Kirche in Schlaglichtern einschließlich des sog. linken Flügels der Reformation und der marxistischen Forschung. Lediglich einige frühe Anabaptisten und Karl Kautsky mäßen dem Text sozialpolitische Relevanz zu, wogegen die übrigen Ausleger verschiedene Strategien der Relevanzvermeidung entwickelten. Das ebenfalls forschungsgeschichtlich orientierte dritte Kapitel stellt verschiedene Thesen zum Ursprung von Abendmahl und »Brotbrechen« (Apg 2,42.46) zusammen, wobei die Vfn. die Kontinuität zu Jesu Tischgemeinschaft betont. Das vierte Kaptitel stellt schließlich die Forschungsgeschichte zum Konflikt um die/mit den Witwen nach Apg 6,1–6 zusammen. In Auseinandersetzung mit älteren Ansätzen, die in den Witwen arme Almosenempfängerinnen erkennen, schließt sich die Vfn. feministischen Ansätzen (Turid Karlsen Seim, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Kathleen Corley) an, die in Apg 6 einen Konflikt um Tischdienst und Mahlorganisation entdecken, bei dem die Witwen Konfliktpartei, nicht Gegenstand, sind.

Der zweite Teil möchte die soziale Welt von Apg 2,41–47 und 6,1–6 beschreiben. Dazu wird zunächst mit Hinweisen von Richard Horsley, Jonathan Reed und insbesondere Brian Capper die Gesellschaft­ Galiläas und Jerusalems als agrarische Gesellschaft beschrieben, in der 90 % der Bevölkerung unterhalb vom oder am Subsistenzminimum lebten. Für die Vfn. ist die Jerusalemer Urgemeinde nicht nur eine Tisch-, sondern auch eine Produktionsgemeinschaft (Kapitel 5–6). Im Rahmen des antiken Patronatssys­tems, in dem Überleben durch Familien und Klientelsysteme gemeistert werden konnte, sei sie als eine »fictive kin-group prac­ticing generalized reciprocity« (144) zu beschreiben, die sich täglich zur Mahlgemeinschaft traf und den spärlichen Besitz oder das Einkommen miteinander teilte.

Die originellste These wird dann im achten Kapitel entwickelt. Unter der Überschrift »Copycats?« wird die essenische Gemeinschaft nach 1QS, CD sowie weiteren Qumranschriften als Modell der Jerusalemer Urgemeinde behauptet. Die Essener hätten wie die Urgemeinde in Besitzgemeinschaft in Gemeinschaftshäusern (CD 17) in galiläischen Dörfern und Jerusalem gelebt, »where they could minister to those less fortunate: the old, the sick, the homeless, the abandoned children« (157). Die Essener seien daher ebenso wie die Jesusbewegung für die Besitzlosen und gesellschaftlich Missachteten attraktiv gewesen. Auch wenn kein Evangelium die Essener erwähne, hätten Jesus und die Jerusalemer Urgemeinde sie sehr wahrscheinlich gekannt. Anders als die Essener habe die Jesusbewegung aber weder eine abgrenzende Reinheitspraxis geübt noch dualistische Gedanken vertreten. Das Essenerbild der Vfn. verdankt sich dabei Überlegungen im Anschluss an Hartmut Stegemann, Reiner Riesner und vor allem Brian Capper.

Der dritte Teil setzt mit Forschungen zur antiken Mahlpraxis (Denis Smith, Hal Taussig u. a.) ein. Anders als Denis Smith möchte die Vfn. jedoch die Kontinuität zwischen Jesu inklusiver Mahlpraxis mit Zöllnern und Sündern und nachösterlicher Mahlpraxis betonen. Analogien zur antiken Symposiumskultur seien dagegen auf Grund der ganz anderen sozialen Schicht der Jesusbewegung und der Urgemeinde nur bedingt aussagekräftig. Apg 6,1–6 zeige, dass das in Apg 2,41–47 beschriebene Ideal tatsächlich täglich praktiziert wurde. Die Witwen – auf Grund des antiken Eherechts für die Vfn. keineswegs nur ökonomisch benachteiligte Frauen – werden als Agentinnen in dem Konflikt etabliert. Ihre Rolle erschließt die Vfn. in Analogie zu ethnographischen Studien aus dem modernen Griechenland und Jemen, die zeigten, dass Frauen, die für die Bereitstellung von Mahlzeiten zuständig sind, über Macht und Autorität in den jeweilige Familiengruppen verfügten (Kapitel 11, besonders 199–204). Allerdings fällt nicht nur an dieser Stelle auf, dass die zitierten ethnographischen Studien aus den 70–80er Jahren stammen und in ihrer geschlechtertheoretischen Reflexion m. E. noch wenig differenziert sind. So erscheint das Ergebnis mehr vorausgesetzt als wirklich gezeigt. Die These, dass hinter Apg 6,1–6 ein Konflikt um den »Tischdienst« der Frauen/Witwen steht, bleibt nichtsdestotrotz m. E. bedenkenswert.

Der letzte Teil führt die Ergebnisse in Vers-für-Vers-Exegesen zu Apg 2,41–47 (Kapitel 12) und Apg 5,42–6,6 (Kapitel 13) zusammen. Die Grundthese lautet, dass die lukanische Darstellung des ur­christlichen Gemeindelebens in Apg 2,41–47 historisch plausibel sei. Für die Rolle der Witwen in Apg 6 verweist die Vfn. auf 4QD (71,13–17), wo die Auflehnung gegen »Mütter« zu einer Gemeindestrafe führe. Die Witwen seien die Administratorinnen des Mahls und die Wahl der sieben Diakone durch eine radikal basisdemokratische Gemeindeversammlung (Apg 6,2) für eine weibliche Aufgabe stimme mit Jesu Praxis und Lehre nach Lk 22,24–27 überein. Das letzte (14.) Kapitel bringt einen hermeneutischen Ausblick auf US-amerkanische soziale Kircheninitiativen als Korrektiv zu einer allein spirituell-individualistischen Abendmahlsdeutung.

Das sozial-theologische Engagement der Studie beeindruckt. Ebenso erscheint der hier geführte Dialog einer eher biblizistisch orientierten Tradition mit liberaler historisch kritischer Forschung beachtenswert. Von der Historizität der Mahlbeschreibungen aus Apg 2 und 6 konnte mich die Vfn. jedoch nicht überzeugen. Beides, ihre Darstellung der Essener wie der Urgemeinde nach der Apostelgeschichte, bleibt an den vorausgesetzten Idealen orientiert. Die Texte werden damit zu wenig zu einem kritischen Korrektiv gegenüber vorausgesetzten Überzeugungen und Vorstellungen.