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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1194–1196

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kellenberger, Edgar

Titel/Untertitel:

Die Verstockung Pharaos. Exegetische und auslegungsgeschichtliche Untersuchungen zu Exodus 1–15.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2006. VI, 304 S. m. Tab. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 171. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-17-019418-2.

Rezensent:

Ludwig Schmidt

Edgar Kellenberger, der als Gemeindepfarrer in der Schweiz tätig ist, untersucht im ersten Hauptteil (16-181) die Verstockung Pha­raos Ex 4–14 exegetisch. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es bei der Verstockung »um ein letztlich positives Geschehen geht«, das auf JHWH zentriert sei. Mit ihm sollte in der Mitte des 7. Jh.s in der Krise und dem Leidensdruck während der Regierungszeit des Königs Manasse »oder/und später« die Identität Israels gestärkt werden, weil hier gezeigt werde, dass auch die Unterdrücker ihre Macht JHWH verdanken (178 f.).

Nach einem Überblick »Eigenheiten der Verstockungsaussagen in Ex 4–14« (16–31) untersucht K. die drei Verben קזח, דבכ und השק (32–47), die hier für die Verstockung gebraucht werden. Entgegen der üblichen Auffassung, dass alle drei eine negative Wertung enthalten, hat nach K. קזח die positive Bedeutung, dass das Herz des Pharao mutig bzw. von JHWH ermutigt werde, und דבכ (schwer sein/machen) sei ambivalent. Dass für Erzählstruktur und Verstockungsaussagen in Ex 1–14 nach K. bisher keine überzeugende Struktur aufgewiesen werden konnte (48–64), erklärt er in »Recht und Grenze von Literar- und Redaktionskritik« (65–82) mit einer Wechselwirkung zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung. Es sei mit einem laufenden Prozess von Hinzufügen und Weglassen zu rechnen, »wie es beim (weiterhin auch) mündlichen Tradieren natürlich ist« (81). Das bestätigen für K. die »Zielaussagen und Absichtserklärungen JHWHs« (83–119). Ihre unterschiedlichen Formulierungen und Inhalte ließen sich nicht mit verschiedenen Quellenschriften oder einer organischen Entwicklung erklären. Da die Zielaussagen fast durchgehend doxologische Tendenzen enthielten, gehe es bei ihnen letztlich um die Macht JHWHs (119). Das gelte auch für die Aussagen über »Ungehorsam und Verstockung Pharaos« (120–147). Der Antagonismus zwischen der Autorität JHWHs und der des Pharao stehe so sehr im Vordergrund, »dass die ethische Frage betr. Pharaos Unterdrückungsmaßnahmen gegen Israel auffälligerweise ab Ex 7ff keine Rolle mehr spielt« (136). Nach einer Übersicht über andere Texte mit einer »JHWH-Erfahrung außerhalb des Volkes Israel« (148–162) untersucht K. »›Sitz im Leben‹ und zeitliche Einordnung« von Ex 1–15 (163–177). Aus den bisherigen Beobachtungen ergebe sich, dass hier die Identität des JHWH-Glaubens in einer Situation des Drucks gestärkt werden solle. Die Verstockungsaussagen »verweisen auf JHWHs Souveränität und können so Trost im Erleiden der demütigenden Drucksituation geben« (167). Dafür sei die Zeit des Königs Manasse ein plausibler Hintergrund, weil während seiner Regierung mit einem massiven assyrischen Einfluss auf die Kultpraktiken zu rechnen sei, er »viel unschuldiges Blut« vergossen habe (so 2Kön 21,16; 24,4) und sein Nachfolger bald nach seinem Tod ermordet wurde. Da aber eine Krisen- und Drucksituation mit der Gefährdung der Identität von JHWH und Israel in mehreren Zeitepochen denkbar sei, sei eine zeitliche Ansetzung in einer einzigen Epoche nicht realistisch (17 6f.). In »Exegetischer Ertrag« (178–181) fasst K. seine Ergebnisse zusammen.

Im zweiten Hauptteil »Fragen an die Auslegungsgeschichte« (182–283) behandelt K. zunächst Auslegungen im »Judentum (bis zu den Midraschim)«, im Neuen Testament und in der Alten Kirche (185–222). In einer »Zwischenbilanz zur antiken Auslegung« (223–226) stellt er fest, dass für Ex 7 ff. im Lauf der Zeit eine Ge­wichtsverlagerung von den Begriffen »Zeichen« und »Wunder« im Alten Testament zu »Plagen« eingetreten sei. Da die Verstockung meist als etwas Negatives verstanden werde, hätten die Ausleger wegen der Vorstellung von einem guten und gerechten Gott nur teilweise an Gott als Urheber der Verstockung festgehalten. Auch dann werde aber die Verstockung Pharaos als Strafe für die Unterdrückung der Israeliten oder für seine an fängliche Selbstverstockung gedeutet. Hinter diesen Auslegungen stehe letztlich ein moralisierendes Gottesbild (224). In der Reformationszeit (227–260) sei es teilweise zu einem Paradigmenwechsel gekommen. Katha­rina Zell, Luther, Zwingli und Calvin gingen in ihrer Auslegung der Verstockungsaussagen von ihrer existenziellen Situation des Kampfes um die Identität des Glaubens aus. Für sie sei die Versto­ckung Pharaos durch Gott Trost und Ermutigung zum Glauben. »In Gottes Aktivität liegt gerade das Tröstliche, das von keinem Menschen geleistet werden kann.« Letztes Ziel der Verstockung sei die Verherrlichung Gottes (258 f.). Diese Auffassung habe rasch an Kraft verloren, weil sich die existenziellen Glaubenserfahrungen schwerlich in allgemeinen Lehrsätzen formulieren ließen (260). Für den Pietismus (261-270) weist K. u. a. darauf hin, dass Spener bei der Verstockung im Unterschied zu Luther das Gericht der Versto­ckung für den unbußfertigen Sünder betont habe (261). Von den ausgewählten Beispielen für das 20. Jh. (271–278), kann hier nur erwähnt werden, dass nach K. in der historisch-kritischen Exegese eine anthropozentrische Sicht der Verantwortlichkeit des Pharao vertreten wird (272 f.). In »Schluss« (279–283) führt K. u. a. aus, dass in der Auslegungsgeschichte von Ex 1–15 der paradoxe und doxologische Charakter der Erzählung meist nicht beachtet werde. Abgesehen von dem reformatorischen Verständnis und einigen wenigen weiteren Ausnahmen werde an der Entscheidungsfreiheit Pharaos festgehalten, um Gott zu entlasten. Das führe zu einer verstärkten moralischen Belastung des Pharao. Demgegenüber habe sich christliche Exegese zu fragen, »ob vom Evangelium her nicht vielmehr Gott belastbar und der Mensch zu entlasten ist« (283). Das Buch enthält außer der Bibliographie auch ein Autoren- und Stellenregister.

K. stellt im zweiten Hauptteil zahlreiche Interpretationen von Ex 7 ff. vor und gibt damit einen wichtigen Einblick in die Auslegungsgeschichte. Dagegen sind seine exegetischen Ergebnisse m.E. oft problematisch.
Dafür können hier nur zwei Beispiele genannt werden. Entgegen der Auffassung von K. lässt sich in Ex 7–11 eine literarische Entwicklung von der Selbstverstockung des Pharao zu seiner Verstockung durch JHWH aufzeigen. In der vorpriesterlichen Fassung der Frösche und bei dem Ungeziefer soll Mose dem Pharao das Eingreifen JHWHs für den Fall ankündigen, dass er das Volk nicht entlässt (Ex 7,26 ff.; 8,16 f.). Hier will JHWH also durch ein Wunder den Pharao dazu bringen, dass er die Entlassungsforderung erfüllt. Dann war es nicht die Absicht JHWHs, dass der Pharao nach dem Ende der Plage »sein Herz schwer machte« (8,11a*; 8,28), sondern die freie Entscheidung des Pharao. Mit seiner Selbstverstockung wird hier be­gründet, warum JHWH für die Entlassung der Israeliten die ägyptischen Erstgeburten töten musste (Ex 12,29 ff.*). Verstockungsaussagen mit dem Subjekt JHWH – das ist das zweite Beispiel – stammen gegen K. nicht schon aus der Zeit Manasses; da sich Ex 7ff. durchgehend nicht auf die damalige innenpolitische Situation Judas bezieht, wie K. (173) für die Entlassungsforderung selbst einräumt. Ihr Hintergrund ist die Ohnmacht Israels in exilisch-nachexilischer Zeit. Mit ihnen sollte damals gezeigt werden, dass JHWH bereits an dem mächtigen Pharao seine überle­gene Macht demonstriert hatte.