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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1191–1192

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fabry, Heinz-Josef

Titel/Untertitel:

Nahum. Übers. u. ausgelegt v. H.-J. Fabry.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2006. 232 S. gr.8° = Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-451-26850-2.

Rezensent:

Jörg Jeremias

Das Buch Nahum hat – mit Recht – nie im Zentrum der Forschung an den alttestamentlichen Propheten gestanden, sondern stets an deren Rand. Dennoch ist in jüngerer Zeit immer deutlicher erkannt worden, dass die im 19. und beginnenden 20. Jh. geläufige negative Charakterisierung der Botschaft des Buches als nationale Heilsprophetie, wie sie andernorts im Alten Testament vehement bekämpft wird, nicht nur einseitig, sondern unzutreffend ist. Die Besonderheit des Buches liegt vielmehr darin, dass in ihm der Weg von aktueller Prophetie in benennbarer historischer Stunde (2,2. 4ff.) zu ge­nerellen Aussagen über Gott, wie sie im jüngeren hymnischen Eingangsteil 1,2–8 dem Buch als hermeneutischer Schlüssel vorangestellt sind, weit klarer und deutlicher zutage tritt als in den restlichen Prophetenbüchern. Am schwierigsten zu deuten ist der komplexe Mittelteil (1,9–2,1.3), der eine verwirrende Zahl an unterschiedlichen Stimmen zu bieten scheint und auf eine Ebene zwischen aktueller Prophetie und generellen Gottesaussagen gehört.

Der jüngste deutschsprachige Kommentar zum Buch Nahum des katholischen Bonner Alttestamentlers H.-J. Fabry zeichnet sich rein äußerlich dadurch aus, dass seine Einleitung den etwa gleichen Umfang einnimmt wie die Auslegung (je ca. 100 Seiten). Der Leser wird in der breiten Einleitung zunächst nur grob mit der allgemeinen Forschungsgeschichte (hier gibt es gelegentlich leider ungenaue Charakterisierungen), mit der Geschichte Assyriens seit dem 3. Jt. v. Chr. sowie speziell der Geschichte Ninives und Thebens (Nah 3,8 ff.) vertraut gemacht, dann mit der Textüberlieferung, im Zuge der literar- und redaktionskritischen Erwägungen zur Entstehung des Buches aber noch einmal sehr viel genauer mit neueren forschungsgeschichtlichen Ansätzen, schließlich mit sprachlichen Bezügen des Nahumbuches zu Jesaja und zu Büchern des Dodekaprophetons (merkwürdigerweise fehlt mit Hosea gerade ein Buch, zu dem diese Bezüge mit Händen zu greifen sind), mit theologischen Perspektiven des Nahumbuches und zuletzt mit exemplarischen Elementen seiner Rezeption im Alten Testament selbst, in Qumran, im Judentum, im Neuen Testament und bei den frühen Kirchenvätern.

Die jeweilige Auslegung setzt nach (sorgfältigen) textkritischen Beurteilungen mit (relativ kurzen) Erwägungen zur Literar- und Redaktionskritik sowie zur Form und Gattung des Textes ein und schließt nach der Einzelexegese mit einem Abschnitt »Bedeutung«. Sie ähnelt also stark dem Auslegungsschema des »Biblischen Kommentars«.

Die Entstehung des Hauptteils des Nahumbuches stellt sich F. in engem Anschluss an K. Seybold so vor, dass die drei »Reden Nahums« noch vor dem Fall Ninives 612 v. Chr. gehalten worden und im Buch von hinten nach vorn gewachsen seien (3,8–17*; 3,1–7*; 2,2–14*), da die Komposition Nah 2,2–3,17* »in einer von vorne nach hinten abnehmenden Intensität« (89) gestaltet sei, wobei die drängendste Rede die relativ jüngste sei, weil der Fall Ninives am unmittelbarsten bevorstehe. Schwierigkeiten bereitet mir die nicht mehr ganz zeitgemäße Herleitung der Inkohärenzen in den drei »Reden« aus »prophetischen Sentenzensammlungen gegen Assyrien, die am Schreibtisch (sic!) mehr recht als schlecht zu einzelnen Reden gefügt worden« seien (88). Demgegenüber leitet F. den Mittelteil des Buches (1,9–2,1*) aus der josianischen Reform ab, in der die damalige Gegenwart im Anschluss an Nahum als letzte Zeit der Bedrückung verstanden worden sei. Der einleitende Hymnus (1,2–8) wird als ein Text mit Schöpfungstheologie gedeutet; F. hält ihn zwar für den jüngsten Teil des Buches, möchte ihn aber nicht so sicher nachexilisch ansetzen wie üblich angenommen, obwohl er ihn andererseits schon einer Redaktion zuordnet, die nicht nur Nahum separat, sondern auch die Bücher Habakuk und Micha umfasst habe.

F.s eher konservativer Kommentar ist im besten Sinne solide, informativ und verlässlich. Er enthält sich wohltuend weitreichender, kühner Hypothesen. Für Kenner der Texte bietet er freilich auch wenig überraschend Neues.