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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1179–1180

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Steimle, Christopher

Titel/Untertitel:

Religion im römischen Thessaloniki. Sakraltopographie, Kult und Gesellschaft 168 v. Chr. – 324 n. Chr.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XI, 240 S. m. Abb. gr. 8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum. Texts and Studies in Antiquity and Christianity, 47. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-149410-9.

Rezensent:

Christoph Auffarth

Diese Monographie ist ein vorzügliches Beispiel für die religionswissenschaftliche Erforschung der »Römischen Reichsreligion und Provinzialreligion« als zeitgenössischer Religion des frühen Christentums. Die Arbeit steht neben der Untersuchung von Christoph vom Brocke zum Thessaloniki des Paulus (Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus: eine frühe christliche Gemeinde in ihrer heidnischen Umwelt. WUNT II 125. Tübingen: Mohr Siebeck 2001, XIII, 310 S.). S. unterscheidet sich aber nicht nur in der untersuchten Zeit vom Hellenismus bis zur Spätantike, sondern auch darin, dass nicht das Christentum der immer wieder gesuchte Bezugspunkt ist. Das Christentum ist religionsgeschichtlich in Thessaloniki (wie in Korinth – nahezu) unsichtbar, gäbe es nicht die Briefe des Apostels Paulus. Aber ›Religionsgeschichte‹ als Methode muss sich zuerst auf die lokal vorfindlichen Belege archäologischer und epigraphischer Art stützen, erst in zweiter Linie auf das Bild, das in der Tradition dazu oder darüber hinaus entstand.

Die Arbeit von S. zeichnet der sehr sorgfältige Umgang mit den Befunden aus, gerade der ausgebildete Archäologe behandelt die blumigen Vorberichte der Ausgräber mit Vorsicht. S. hat bei der Arbeit am Buch für die Befunde des Heiligtums der ägyptischen Götter bislang unbekannte Fundbeschreibungen auffinden können, so dass dieses wichtige und als Vergleich immer wieder herangezogene Heiligtum auf dem Stand des heute Wissbaren beschrieben ist.

Das Heiligtum der ägyptischen Götter (früher meist Serapeion genannt) zeigt sich als ein Baukomplex mit einem relativ kleinen Tempel der Isis und einem unterirdischen Raum. Es ist in hellenistischer Zeit gegründet worden in einer damals nur als Hafen bedeutenden Stadt. Die Darstellung der Isis entbehrt nahezu aller exotisch-ägyptischen Symbole und Bezüge; ihre vielen Gesichter machen sie für die verschiedenen Gruppen in der Stadt zur An­sprechpartnerin: für die Seeleute und Händler ebenso wie für die schwangeren Frauen und ihre angstvollen Männer. Im Kontrast zur Vielzahl der Gesichter von Isis wertet S. den Kult des Fulvus als Zeichen von Gesichtslosigkeit (210): Hatte man noch beim Tod des Antinous (sic!), seinem trauernden Liebhaber Hadrian zur Freude einen Kult eingerichtet, so scheint dieser nach nur einer Generation in einen Kult für alle verstorbenen Mitglieder der Antoninischen Kaiserfamilie ausgeweitet worden zu sein. Eine Gesichtslosigkeit, ja Monotonie, entsteht in der hohen Kaiserzeit in vielen Städten der römischen Provinz: überall die gleichen Säulenhallen, Einkaufsstraßen, Statuenwälder. In Thessaloniki wird sie durch zwei Kulte spezifiziert: den Kult für Alexander den Großen (in dessen Heimat!) und den Kult des Kabeiros, der auch in Samothrake (der Insel auf der Seeroute zur Stadt) und Boiotien vertreten ist und zu den Mysterienkulten gezählt wird.

Von besonderem Interesse ist der Nachweis eines ›Wandertempels‹ (28–49): Nach der entscheidenden Schlacht zu Gunsten des Octavian/Augustus, Actium 31 v. Chr., ist das Phänomen, dass ältere griechische Tempel auf dem Lande abgetragen und in der Stadt wieder neu aufgebaut werden, mehrfach zu beobachten; neben den berühmten Beispielen in Athen etwa auch in Patras und Nikopolis. Der Tempel in Thessaloniki stammte aus Aineia und wurde in der Stadt der Aphrodite geweiht. Damit ist der indirekte Bezug auf die kaiserliche Familie deutlich: Aphrodite/Venus gilt als die Mutter des Aeneas – des Stammvaters der Römer – und Großmutter des Iulus, auf den sich die Iulii Caesares zurückführten. Der archaische Tempel markierte die geschichtslose Stadt Thessaloniki als Station auf der Flucht von Aeneas und Iulus aus Troja nach Italien. Thessaloniki, das zur Zeit der Schlacht von Actium auf die unterlegene Partei Antonius und Kleopatra gesetzt hatte, kompensierte seinen Fehler durch den neu-alten Tempel.

Ein wichtiges, sorgfältig gearbeitetes Buch liegt vor, das gute Belege und Modelle für die neue Sicht auf die römische Reichsreligion aufzeigt. Vorzüglich ist auch die Argumentation im Schlusskapitel: Römische Reichsreligion ist kein Herrschaftsmittel, kein Importgut, das vom Zentrum aus den Provinzialen aufgedrückt wurde, sondern eine im ständigen Wandel begriffene Form der Reaktion der Stadt, mit der sie sich weitgehend in Akzeptanz der römischen Herrschaft der Symbole göttlichen Schutzes versichert. Der Kaiserkult hat in Thessaloniki eine eher marginale Bedeutung; (stadt-)römische Kulte finden sich nur ganz wenige.