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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1174–1175

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kennedy, David

Titel/Untertitel:

Gerasa and the Decapolis. A ›Virtual Island‹ in Northwest Jordan.

Verlag:

London: Duckworth 2007. 207 S. m. Abb. u. Ktn. 8° = Duckworth Debates in Archaeology. Kart. £ 12,99. ISBN 978-0-7156-3567-4.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Das neueste Buch David Kennedys, Winthrop Professor of Classics and Ancient History an der University of Western Australia und seit Jahrzehnten aktiv in der Archäologie Jordaniens, gibt eine knappe, aber gut lesbare Einführung in die Archäologie Nordwestjordaniens während des »long classical millennium« zwischen ca. 300 v. und 850 n. Chr. Damals war die Region geradezu durchsetzt mit Städten: Neben Gerasa gab es allein noch sieben weitere, die in antiken Quellen der »Dekapolis« zugerechnet werden. K. geht es freilich nicht um eine Geschichte der Stadt im herkömmlichen Sinn. Inspiriert durch P. Horden/N. Purcell, The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History, Oxford 2000, begreift K. das Mittelmeergebiet als »a collection of distinctive micro-regions« (15) und interpretiert Gerasa von vornherein als Teil einer solchen Mikro-Region.

In »Defining the Topic« (15–28) legt K. dar, was er will: »to give some colour to a region as a whole for which we have so much evidence, but too little understanding of what it was like, why it was like that and how and why it developed and changed« (26). Die Umgebung von Gerasa mit den prägenden Faktoren »urban network, Jordan Valley, highlands and pre-desert« (18) nötigt geradezu zu einem derartig »regional-dynamischen« Zugang. Doch wie nähert man sich einem so komplexen Thema? In »Evidence and Methodology« (28–49) gibt K. wertvolle, aber leider auf Grund des Buchformats recht knappe Hinweise. Angesichts der vergleichsweise großen Anzahl epigraphischer und literarischer Zeugnisse zur Region erinnert K. zu Recht daran, welch riesige Menge an Quellen verloren gegangen ist. Im methodologischen Teilabschnitt führt K. knapp ein in die Auslegung archäologischer und textlicher Befunde sowie die Notwendigkeit komparativer Studien und weist hin auf die wichtigsten Faktoren, die die »Kulturlandschaft Gerasa« geprägt haben: kaiserliche Wohltaten, urbanes Wachstum, reiche landwirtschaftliche Erträge und Nomaden.

In »The Natural and Human Landscape and Environment« (50–83) richtet K. den Blick auf den Raum, in dem Gerasa liegt und ohne den die Stadt nicht existieren könnte. Statt »Stadt« von »Land« zu isolieren, ist K.s Anliegen, die integrale Wechselwirkung zwischen beiden zu begreifen und darzulegen. Klima, Geographie, Infrastruktur, Siedlungsformen und Formen landwirtschaftlicher Aktivität werden erläutert und für das Verständnis der Dekapolis und Gerasas als »virtual island« fruchtbar gemacht. Das siedlungsgeschichtliche Pendant dazu bietet Kapitel 4 »Settlement« (84–107), in dem K. kurz, aber meisterhaft die regionale Siedlungsgeschichte während des »long classical millennium« Revue passieren lässt. Ein besonders schwieriges Thema ist »Population and People« (108–125): Wie viele Menschen haben in dem »virtual island« um Gerasa gelebt und wie können wir das wissen? Überlegungen über Bevölkerungsdichte, den Nutzen von Luftsurveys und den Verlust von 150.000 Gräbern der Bewohner von Gerasa zeigen die Breite der oft nur knapp angerissenen Fragen. Trotz der fundamentalen Bedeutung der Schrift und des Lesens zeigt K. in »A World of Writing« (126–150), wie sehr die Welt Gerasas noch eine mündliche war. Besonders die nunmehr ca. 30.000 safaitischen (proto-arabischen) Inschriften werfen Fragen nach der politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung der Region auf. Noch knapper, wenn auch höchst stimulierend, sind die Ausführungen zu »The Structures of the Roman State« (151–170). K. diskutiert die Rolle von Grenzen, der provinzialen Administration in ihrem Verhältnis zur lokalen Population, den Zensus (hier finden sich auch interessante Beobachtungen zum Babatha-Archiv!) und die Rolle regionaler Zentren. Ähnlich überblicksartig ist das letzte Sachkapitel »Everyday Life« (171–184). Im Ausblick »Where to Next?« (185–197) kommt K. noch einmal auf die zu Beginn angerissenen Probleme des Wandels, der Nutzung des Raums und verschiedener urbaner und nichturbaner Lebensweisen zurück, die in der Mikroregion um Gerasa eine so faszinierende Verbindung eingehen.

Methodisch am interessantesten sind sicher die ersten drei Kapitel, nicht zuletzt, weil sie das programmatische Buch von Horden and Purcell aufgreifen und exemplarisch für eine klar definierbare Region fruchtbar machen. In diesen Kapiteln, die weit über den Titel des Buches hinausgehen, legt K. nicht weniger als ein Modell für künftige Studien über die reiche urbane Kultur im hellenistischen Orient vor, vor allem was den integrierenden Blick auf urbanen und ländlichen Raum anbetrifft. Es ist reizvoll, darüber nachzudenken, wie z. B. eine vergleichbare Darstellung des hel­lenis­tisch-römischen Jerusalem aussehen würde. Dass eine solche trotz der großen Anzahl an Jerusalem-Büchern noch nicht exis­tiert, zeigt das große Potential, das methodisch kontrollierte und sozialgeschichtlich informierte archäologische Arbeit wie die von K. für die Palästinaforschung immer noch darstellt. Die folgenden Abschnitte leiden oft unter dem Mangel an Raum und ähneln eher Essays als Kapiteln eines zusammenhängenden Buches: in sich reich und stets gewinnbringend zu lesen, aber oft zu komprimiert und skizzenhaft. Eine dankenswert ausführliche Bibliographie (199–210) lädt zum Weiterlesen ein, ein dreiteiliges Register (Ortsnamen, Personen und Sachen) rundet den wichtigen Band ab, der jedem zu empfehlen ist, der mehr über das »urbane Hinterland« Palästinas westlich des Jordan erfahren will.