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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1172–1174

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Renz, Andreas, Schmid, Hansjörg, Sperber, Jutta, u. Abdullah Takım [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Prüfung oder Preis der Freiheit? Leid und Leidbewältigung in Christentum und Islam.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2008. 276 S. 8°˚= Theologisches Forum Christentum-Islam. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7917-2113-2.

Rezensent:

Olaf Schumann

Mit diesem Band liegt die Dokumentation der dritten Tagung (2007) des von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart einmal jährlich veranstalteten »Theologischen Forum« von Christen und Muslimen vor, eines Programms, das sich wegen des hohen Niveaus seiner Beiträge und Diskussionen innerhalb kurzer Zeit im In- und Ausland Respekt und Anerkennung verschaffte.

Unter sechs Fragestellungen wurde die Thematik des Umgangs mit Leid und Leiden behandelt: I. Theologische Grundlegung (21–84), II. Protest, Hadern, Ergebung oder tatkräftiges Überwinden? (85–123), III. Durch Leiden zum Heil? Schiitische und christliche Traditionen (125–160), IV. Leiden als Ausdruck der Liebe Gottes? Mystische Deutungen in Islam und Christentum (161–195), V. Glauben an Gott angesichts des Leids? (197–231), VI. Neue Perspektiven für die Verhältnisbestimmung von Christentum und Islam (233–273). Kurze Hinweise auf die Autorinnen und Autoren finden sich am Schluss (275–276). Abgesehen von Teil I (fünf Beiträge) und VI (zwei Beiträge) umfassen die Teile je ein Grundsatzreferat, ein von einem Vertreter oder einer Vertreterin der anderen Religion durchaus auch als Koreferat gedachtes zweites Referat und schließlich einen Beobachterbericht, in dem aus den Referaten und den anschließenden Diskussionen gewonnene Eindrücke reflektiert und zusammengefasst werden. So erhalten auch die Leser und Leserinnen einen Eindruck vom dialogischen Charakter des Prozedere.

Die immer wieder aufgegriffene Frage war, wie weit Gott als der Schöpfer und Weltenlenker in seiner guten (»die beste aller Welten«, 202 ff., also nicht erst bei Leibniz), auf das Leben hin orientierten Welt auch der Urheber des Bösen und damit auch des Leidens, also lebensfeindlicher Erfahrungen, ist. Wenn es nicht als Sühne für menschliche Schuld verstanden wird, macht das Leiden eigentlich nur als Glaubensprüfung Sinn, extrem im Falle des Martyriums (nachhaltig besonders in der Schi’a), zumindest für die Opfer, kann aber auch, besonders in neuzeitlichem christlichen Denken, zur Frage nach der Theodizee führen (Wie kann Gott so etwas zulassen?). Die Frage ist jedoch, ob das Problem der Theodizee angesichts des weithinnigen Konsenses über die Freiheit des Menschen und seine Vernunftbegabung überhaupt plausibel ist (vgl. den einführenden Beitrag von Peter Antes). Wie steht es um die Verantwortung der Täter? Nach dem Vorbild des biblischen Adam wird die Verantwortung für Unrecht gern ab- und gegebenenfalls auch Gott zugeschoben (Gen 3,12). Die Reaktion des koranischen Adam (Mann und Frau) auf Gottes Anruf hin ist anders: »Herr, wir beide haben (indem wir Dein Gebot missachteten) gegen uns selbst gefrevelt« (Qur’an 7:23). Das menschliche Schuldbekenntnis, die Annahme der eigenen Verantwortung, gibt der Strafe, vor allem aber der gott-menschlichen Beziehung eine andere Qualität – wohl einer der Gründe für die Schwierigkeiten besonders sunnitischer Theologen mit der Theodizee (52 ff.89 ff.200 f., vgl. jedoch 12), und wohl auch einer, warum sich christliche Theologen unter Hinweis auf die bedingungslose Gnade Gottes mit der ethischen Verantwortung manchmal etwas leicht tun (75), stattdessen eher die sühnende Wirkung der Annahme von Leiden ansprechen (zusammenfassend 261 f.). So auch die vorherrschende Interpretation der Kreuzigung Jesu Christi als Vollzug des Willens Gottes und der Annahme durch Jesus als Sühnopfer (73 f.135 ff.). Wo bleibt die Verantwortung der menschlichen Akteure, des Pöbels auf der Straße, der religiösen und der militärischen Autoritäten, die das Todesurteil forderten und vollstreckten? Verursachte Gott die Kreuzigung? Von menschlichem Unrecht verursachte Leiden sind keine Naturkatastrophen oder Krankheiten und bedürfen deshalb eigener Beurteilungsmaßstäbe (17). Erinnert sei an den wohl vergessenen Muh. Kamil Hussein, der seine Beobachtungen zum Karfreitag unter das Stichwort »zulm« (Unrecht, Frevel) stellte ( Qarya zâlima, Kairo 1953, engl.: City of Wrong, Amsterdam 1959), einen Begriff, dessen Wortfeld an zweithäufigster Stelle im Qur’an als Bezeichnung menschlichen Unrechts auftaucht (88, Anm. 2; vgl. 218, Anm. 17), übrigens auch im Schuldbekenntnis Adams: Sünde ist immer auch ein Frevel gegen das eigene Selbst (nafs, hebr. nefesch, 90; zu zulm auch 43 ff.).

Was bedeutet es im Einzelnen, »Leiden zu deuten und aus dieser Deutung konkretes Handeln abzuleiten« (251)? – Der Dialog dar­über geht weiter. Die hier vorgelegten Beiträge unterstreichen erneut durch ihren hohen reflektorischen Standard und ihre intensive Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen, wie sinnvoll und bereichernd ein interreligiöses Gespräch, geführt von in ihrem jeweiligen Glauben Engagierten, sein kann. Dem Buch sei nachhaltig eine weite Verbreitung gewünscht.