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Ausgabe:

November/2009

Spalte:

1168–1170

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jukko, Risto

Titel/Untertitel:

Trinity in Unity in Christian-Muslim Relations. The Work of the Pontifical Council for Interreligious Dialogue.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. VIII, 365 S. gr.8° = History of Christian-Muslim Relations, 7. Geb. EUR 135,00. ISBN 978-90-04-15862-7.

Rezensent:

Andreas Renz

Der Autor dieses Buches gehört zur finnischen Evangelisch-Lutherischen Mission und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem theologischen Verhältnis von Christentum und Islam. 2001 er­schien seine Doktorarbeit »Trinitarian Theology in Christian-Muslim Encounters«, in der er die theologischen Grundlagen des »Se­crétariat pour les Relations avec l’Islam« (SRI) der französischen katholischen Bischofskonferenz analysiert.

Die nun vorgelegte Arbeit hat theologisch dieselbe Fragestellung, bezieht sich aber auf die Schriften des »Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog« (bis 1988 »Sekretariat für die Nicht­chris­ten«, SNC) aus dem Zeitraum von 1966 bis 2005. Der Dialog mit dem Islam spielte in der Arbeit des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog (PCID) stets eine hervorgehobene Rolle. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die »theologischen Strukturen und Ar­gumentationsweisen der Veröffentlichungen des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog zu erforschen« (24) und so einen Beitrag zu einer christlichen Theologie der Religionen zu liefern. Dabei ist sich J. dessen bewusst, dass die Aussagen des PCID stets im Kontext anderer lehramtlicher Äußerungen wie auch des historischen, politischen und soziologischen Kontextes zu bewerten sind (vgl. 37). Textgrundlage für die Arbeit sind die Dokumente des SNC/PCID mit lehramtlichem Charakter, dessen in der Regel dreimal jährlich erscheinendes Publikationsorgan Bulletin/Pro Dialogo (seit 1966), Akten offizieller Dialogtreffen sowie die Grußbotschaften des SNC/PCID an die Muslime zum Fest des Fastenbrechens seit 1967.

Die Fülle des Materials bewältigt J. mit Hilfe eines systematisch-theologischen Aufbaus, der seiner Arbeit von 2001 gleicht: Nach einer knappen, aber soliden Darstellung und Bewertung der Konzilsaussagen zum Thema arbeitet das zweite Kapitel die philosophischen und theologischen Einflüsse auf das römisch-katholische Dialogverständnis im 20. Jh. heraus. Kenntnisreich und sehr erhellend analysiert J. die Einflüsse des Existentialismus und Personalismus vor allem auf die französischsprachige Theologie des 20. Jh.s (nouvelle théologie), welche die anthropologische Wende in der katholischen Theologie möglich machte. Bibelbewegung, litur­gische Bewegung und die Wiederentdeckung der Vätertheologie führten zu einer Erneuerung der Trinitätstheologie und zu einer neuen Betonung der Pneumatologie (besonders bei Karl Rahner). Diese Entwicklungen spiegeln sich in den Dokumenten des Konzils bereits wider und eröffneten die Möglichkeit neuer Verhältnisbestimmungen zu den nichtchristlichen Religionen (vgl. Lumen Gentium 16, Ad Gentes 4, Gaudium et Spes 92). Dieses zweite Kapitel ist eine der großen Stärken des Buches, bleiben die geistesgeschichtlichen Einflüsse auf die Theologie des Dialogs und der Religionen im 20. Jh. doch sonst in vielen Darstellungen zum Thema eher unterbelichtet oder gar völlig ausgeblendet.

Die folgenden drei Kapitel nehmen immer wieder auf das zweite Kapitel Bezug und untersuchen das zu Grunde gelegte Material anhand von drei dogmatischen Themenkomplexen: Verhältnis Gott – Mensch (Kapitel 3), Verhältnis Christus – Heiliger Geist (Kapitel 4), Verhältnis Kirche und Reich Gottes (Kapitel 5). Anthropologischer Grundgedanke der untersuchten Quellen ist die Einheit der Menschheit (vgl. 95), aus der die ethische Forderung nach Anerkennung von Menschenwürde und Menschenrechten (vgl. 98) sowie nach Frieden (vgl. 100) folgt. Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit wiederum erfordern das Gebet zu dem einen Schöpfergott. Zu Recht betont J., dass die vatikanischen Dokumente besonders unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. immer wieder von dem einen Gott sprechen, zu dem Christen und Muslime, wenn auch auf verschiedene Weise, beten (vgl. 115): Der eine Schöpfergott ist der Grund für die Einheit der Menschheit.

Der »Glaube Abrahams« wird in den kirchlichen Äußerungen oft als gemeinsames archetypisches Modell bemüht, der Glaubensbegriff bei Christen und Muslimen allerdings wird kaum reflektiert (vgl. 117). Nach Ansicht J.s könnte bei der Frage, ob Christen und Muslime denselben Glauben haben, die klassische Unterscheidung zwischen fides qua und fides quae hilfreich sein (vgl. 116). Themen wie Naturrecht, Werte, Sünde, Willensfreiheit werden in den Dokumenten offensichtlich nicht oder kaum behandelt.
Die vatikanischen Dokumente lassen jedoch keinen Zweifel, von welcher Basis aus sie den Islam sehen und mit Muslimen in Dialog treten: Jesus Christus (Kapitel 4). Von ihm her ergeben sich die Unterschiede im Offenbarungsverständnis beider Religionen: Das Christentum ist im Vergleich zum Islam keine Buch- oder Schriftreligion (vgl. 160.163). J. ist allerdings zu widersprechen, wenn er die islamische Offenbarung als Gesetzessammlung be­schreibt, mit der Gott sämtliche menschlichen Angelegenheiten regeln wolle (vgl. 165 f.). Nicht einmal zehn Prozent des Korantextes beschäftigen sich mit rechtlichen Fragen, viele Lebensbereiche, auch die staatliche Ordnung, bleiben im Koran ohne Regelung. Erst die Sunna enthält eine Vielzahl rechtlicher Anordnungen, aber eben nicht die Offenbarung. Wie an dieser Stelle fällt es dem Leser immer wieder schwer, zwischen den Aussagen des Untersuchungsobjektes und den eigenen Wertungen von J. klar zu unterscheiden.

J. verweist darauf, dass die kirchlichen Dokumente zwar von der Heilsmöglichkeit der Nichtchristen sprechen, jedoch keine expliziten Aussagen über den soteriologischen Wert der nichtchristlichen Religionen machen (vgl. 185.211). Allerdings wäre zu fragen, wie ein Heilshandeln Gottes an der geschichtlichen Wirklichkeit des Menschen, zu der die religiöse Welt gehört, in der er lebt, vorbei denkbar ist. Immerhin hat etwa Papst Johannes Paul II. wiederholt zentrale religiöse Vollzüge wie das Gebet, das Fasten oder die Ar­mensteuer im Islam gewürdigt.

Die christologische und pneumatologische Begründung des Heilsoptimismus aber verknüpfen Kirche, Reich Gottes und nichtchristliche Religionen auf geheimnisvolle Weise miteinander: Wie der Geist Christi in der Kirche wirkt, so wirkt er – wenn auch in analoger Weise – in den anderen Religionen (vgl. 195). Kennzeichnend dabei ist jedoch eine Erfüllungstheologie, die nach An­sicht J.s auf das aristotelische Akt-Potenz-Schema zurückgeht: Die göttliche Selbstoffenbarung in trinitarischer Form ist in den anderen Religionen vorbereitet und angedeutet und muss noch zur vollen Entfaltung gelangen (vgl. 212 f.). Das christliche Zeugnis und die kirchliche Sendung spielen hierbei eine wichtige Rolle. Die Kirche ist nicht identisch mit dem Reich Gottes, sie ist aber auch nicht davon zu trennen, vielmehr dient sie dem Kommen des Reiches Gottes, das über die sichtbare Kirche hinausgeht (Kapitel 5): Das Reich Gottes ist gegenwärtig, wo die Werte des Evangeliums gelebt werden (vgl. 221 f.). In diesem Sinne können auch Nichtchristen durch den Heiligen Geist am Aufbau des Reiches Gottes mitwirken.
Die »dialektische Beziehung« zwischen dem Reich Gottes und dem Menschsein spiegelt sich in der Spannung von Dialog und Verkündigung wider: Die Kirche ist nach den kirchlichen Dokumenten aus theologischen wie aus anthropologischen Gründen zum Dialog verpflichtet (Kapitel 6). Die Einheit des Menschengeschlechts und die Suche nach Wahrheit machen den Dialog zu einer Notwendigkeit. Interreligiöser Dialog aber ohne Zeugnis ist nicht möglich. Christliches Glaubenszeugnis wiederum ist trinitarisch geprägt.


Der dreieinige Gott, so das Fazit J.s zu den kirchlichen Dialogdokumenten, ist das gemeinsame Ziel und die Erfüllung des Menschen. Die Verbindung der stoisch-patristischen Logostheologie mit der aristotelisch-thomanischen Finalitätstheorie schließt jeden Menschen in Gottes Heilsplan und als Objekt von Gottes Gnade ein (vgl. 279 f.). Unbeantwortet bleibt nach J. in den kirchlichen Aussagen die Frage nach der Unterscheidung zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes von anderen Phänomenen in den religiösen Traditionen, und zwar weil in seiner Sicht letztlich die Zuordnung von Natur und Gnade nicht geklärt wird (vgl. 281). Dasselbe Defizit stellte J. bereits in seiner Analyse der Aussagen des Sekretariats für die Beziehungen mit dem Islam der katholischen Kirche in Frankreich (SRI) fest.

Damit macht J. tatsächlich auf ein Problem in der lehramtlichen katholischen Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s aufmerksam. Meines Erachtens ist dieses der ungenügenden Vermittlung der neueren gnadentheologischen Ansätze mit der traditionellen (neu-)scholastischen Gnadenlehre geschuldet. Das Feld des interreligiösen und speziell katholisch-islamischen Dialogs ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Zweite Vatikanische Konzil kein Endpunkt war, sondern »der Anfang eines neuen Projekts« (23).
J. vermisst außerdem eine stärkere Berücksichtigung der Korruption der menschlichen Natur (vgl. 283). Hier kommt die reformatorische Brille von J. zum Tragen. Dies verweist auf die ökumenische Relevanz der Thematik und der vorliegenden Studie. So wäre die Analyse der Rezeption der katholischen Dokumente bei anderen christlichen Kirchen und vor allem in der muslimischen Welt ein Desiderat.

Problematisch aus Sicht des Rezensenten ist, dass J. in seiner Analyse meist nicht den unterschiedlichen Stellenwert seiner Quellen berücksichtigt: So werden etwa Fachartikel von Mitgliedern des PCID gleichgewichtig neben offizielle lehramtliche Texte gestellt. Die Arbeit von J. ist dennoch ein wichtiger Beitrag für die christliche Reflexion des Verhältnisses zum Islam und damit für die christliche Religionstheologie überhaupt. Zum einen werden theologisch-philosophische Grundlinien katholischer Theologie des 20. Jh.s herausgearbeitet, zum anderen offene Fragen und Probleme markiert, die nicht nur die katholische Lehre und Theologie, sondern die christliche Theologie insgesamt betreffen.