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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1142–1144

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hindmarsh, D. Bruce

Titel/Untertitel:

The Evangelical Conversion Narrative. Spiritual Autobiography in Early Modern England.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 2007. XIV, 384 S. gr.8°. Kart. £ 24,00. ISBN 978-0-19-923671-8.

Rezensent:

Christopher Voigt-Goy

Seit Charles Taylors Sources of the Self (1992) wird besonders im angloamerikanischen Raum intensiv die Debatte darüber geführt, wie sich individuelles Selbstempfinden und kollektive Deutungsmuster in der narrativen Konstruktion moderner Identitäten ver­binden. In diesen Diskussionskontext stellt H., Professor für Spiritual Theology (am ehesten als Frömmigkeitstheologie zu übersetzen) am Regent College in Vancouver, die hier an­zu­zeigende Studie. Sie hat in einer weit ausgreifenden, material ge­sättigten Analyse die Konversionserzählungen der englischen Er­we­ckungs­bewegung der 1740er Jahre zum Gegenstand und will »show that the evangelical conversion narrative represents an alternative version of modern self-identity« (6). Gleichwohl verfolgt H. kein verzerrendes apologetisches Interesse. Sein Bestreben geht vielmehr dahin, ein anschauliches Bild der komplexen Genese, Popularisierung und literarischen Vielfalt religiöser Bekehrungsberichte im frühneuzeitlichen England zu zeichnen.
In den ersten beiden Kapiteln stellt H. die theologie- und kommunikationshistorischen Voraussetzungen dar, welche die Konversion zum zentralen Kennzeichen bestimmter Frömmigkeitsmilieus und ihrer jeweiligen Sozialgebilde werden ließen. Auf dem Wurzelgrund der hotter sort of Protestants mit ihrer calvinistisch ge­prägten experimential piety (33 f.) entwickelt sich in England seit dem späten 16. Jh. eine ganz eigene Kultur religiöser Selbstdeutung. H. spannt den ersten Bogen (33–60) von den Frühformen puritanischer Autobiographik (besonders William Perkins) über die Tradition der Gathered Churches, die aus uns noch immer unbekannten Gründen die niedergeschriebene Konversion zur Bedingung der Kirchenmitgliedschaft machten, bis hin zum Nonkonformisten Richard Baxter. In dieser Linie wurde bis zum Ende des 17. Jh.s die legitimatorische Erzählung von der Konversion zur wahren Kirche von der Erzählung der inneren Bekehrung des einzelnen Herzens verdrängt. Das geschieht in England und Neu-England erst einmal ganz eigenständig und strahlt auf die Ent­wick­lung des kontinentalen Pietismus aus. Gleichwohl wirkt der dann in gewisser Weise auf England zurück. In dem dichter werdenden, durch Journale und die neuen Reisemöglichkeiten beförderten Kommunikationsnetz entsteht, wie H. in einem zweiten Bogen schildert (61–87), ein ganz neues Bild einer gesamtgesellschaftlichen Ent­wick­lung internationalen Ausmaßes und eine – wie H. im An­schluss an Habermas festhält – bürgerliche Öf­fent­lichkeit. Die begierig von überall aus der Welt aufgesogenen Nachrichten lokaler Erweckungen sowie die Ausbildung einer publikumsorientierten Subjektivität, die durch eine hohe Bereitschaft zur Auskunft über individuelle Lebenslagen geprägt ist, beleben die englischen religiösen Selbstdeutungstraditionen nachhaltig.
Wie sich diese Dynamik in den 1740er Jahren zur englischen Erweckung ausgestaltet, entfaltet H. in den folgenden vier Kapiteln. Sie quellen vor Material über. H. schildert zuerst die Ausgestaltungen und Funktionalisierungen der Konversionserzählungen bei George Whitfield und John Wesley, die durch das Journal die Konversion nach allen Regeln der literarischen Kunst zum Markenzeichen wahren Glaubens stilisierten (88–129). Daran schließt eine Schilderung der White-Hot Piety früher methodistischer Laien an (130–161). Es folgt ein Blick auf die religiöse Selbstdeutungsalternative, welche die nach England einsickernden Mährischen Brüder bzw. Herrnhuter boten (162–192). Und schließlich geht H. auf die Erweckung im Ort Cambuslang – in der Nähe von Glasgow – im Jahr 1742 und ihre literarische Ausgestaltungen ein (193–225).
In all diesen Kapiteln gibt H. durch genaue Quellenlektüre, sensible In­terpretation und differenzierte Perspektiven einen zutiefst beeindruckenden Einblick in die Vielfalt der literarischen Form der Konversionserzählung und das eigentümliche Ineinanderfließen und Auseinanderdriften erweckter Frömmigkeitsmilieus. Überzeugend arbeitet H. dabei heraus, dass bei aller Bindung an die je spezifischen Musterdeutungen der Konversion, die in den einzelnen Gruppierungen vorlagen und bisweilen von den Predigern nachgerade eingehämmert wurden, die je eigene Bekehrung des Herzens einen ganz eigenen Charakter hat und sich – über kurz oder lang – auch in der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Gruppierung durchzusetzen vermag. Ein Juwel ist dabei das Kapitel über die White-Hot Piety: Anhand von bislang unedierten Briefen an Charles Wesley, die er in einem Sammelordner in der John Rylands Library in Manchester aufgetan hat, legt H. mit sichtlicher und ansteckender Freude an seinem Quellenmaterial die erste greifbare Schicht religiöser Innerlichkeitserlebnisse frei. Dabei wird deutlich: Zentral für die Wirksamkeit der Erweckungsprediger war es, dass die Hörer sich individuell konkret von deren Schilderung des sündigen, Gnade bedürftigen Lebens betroffen fühlten und sich so zugleich vor der anwesenden Öffentlichkeit bloßgestellt wähnten (was auch zu handgreiflichen Konsequenzen in der Familie führen konnte, fühlte sich der Ehemann etwa von seiner Frau beim Prediger verraten, 144). – Sicher wäre es eine eigene Studie wert, diesem Zusammenhang von religiösem Schuldempfinden und vermeintlicher gesellschaftlicher Ächtung als soziologischem Formierungsmotiv der neuzeitlichen Erweckungsbewegungen nachzugehen.
Doch H.s Studie ist damit noch nicht an ihrem Ende. In den letzten vier Kapiteln widmet H. sich den Folgewirkungen der 1740er Jahre. Die methodistischen Prediger schmiegen ihre autobiographischen Beschreibungen im späteren 18. Jh. deutlicher den Anforderungen eines abstrakten Publikums an (226–260). Anhand der freundschaftlich verbundenen und dennoch sehr verschiedenen Olney Autobiographers John Newton, William Cowper und Thomas Scott zeigt H., wie die Konversionserzählung in der Umformung zur religiösen Autobiographie modernen Stils modellhafte Züge annimmt (261–286). Und er weist im neunten Kapitel auf die bleibende Tradition der Gathered Churches des 17. Jh.s hin, in der die Bekehrungserzählung vornehmlich der Stärkung der Kirchengemeinschaft dient, in die man bereits hineingeboren wurde (287–320). Den Abschluss bildet das Kapitel After Christendom: Evangelical Conversion Narrative and its Alternatives (321–349). Neben drei kurzen Fallstudien aus der Missionsgeschichte findet sich hier noch die Darstellung von James Lackingtons Unconversion Narrative (340 ff.). Sie ist deshalb der Abschluss der gesamten Studie, weil H. hiermit die Anfangsthese wieder aufnimmt, derzufolge die evangelical conversion narrative eine alternative Version moderner Identität darstelle. Denn Lackington spielt bereits sichtlich mit dem Motiv des Religiösen in seiner autobiographischen Reflexion, erhebt sich in seinem ersten Entwurf ironisch über die Religion, um am Ende seines Lebens – in einer zweiten Autobiographie – wieder zu ihr zurückzufinden. Und hier mündet H.s Studie dann doch in eine etwas arg apologetische Sicht der Dinge: »... Lackington, as a pionieer of the modernist identity, shudders back from the brink and reposes in the end in the community of faith and the self-tran­scending word of the gospel« (349).
Doch das sei, wie es ist. H.s Studie stellt jedenfalls durchgängig nicht bloß einen Beitrag zur, sondern eine weit herausragende Be­reicherung für die historische Konversionsforschung und die Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte der Frühen Neuzeit/Neuzeit dar. An den hier gesetzten Interpretationsstandards der Konversionserzählung zwischen individuellem Selbstempfinden und kollektiven Deutungstraditionen wird man wohl ebenso wenig vorbeikommen wie an der höchst einleuchtenden Differenzierung von nationaler Eigenbildung und internationaler Verflechtung der Erweckungsbewegungen – die sich darüber hinaus für weiterführende Überlegungen in der Frühneuzeit- und Neuzeitforschung empfiehlt. Dass sich der Rezensent an einigen Stellen eine kurze Zusammenfassung oder ein Zwischenresümee ge­wünscht hätte und die innere Zerrissenheit des englischen Methodismus mitsamt den dazu gehörenden Flügelkämpfen etwas zu kurz kommt, hat dagegen kein Gewicht. Was ins Gewicht fällt, ist das: Es mag ja eine banale Einsicht sein, dass Konversion nicht überall Konversion und Erweckung nicht überall Erweckung ist. Dies an den Quellen zu zeigen, ist allerdings etwas ganz anderes. Und genau das hat H. am Beispiel Englands getan.