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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1140–1142

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Herms u. Lubomir Žak [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Grund und Gegenstand des Glaubens nach römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre. Theologische Studien.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck; Rom: Lateran University Press 2008. XVI, 610 S. gr.8°. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-149603-5.

Rezensent:

Peter Hünermann

Ich muss gestehen, dass ich seit Langem kein so nüchtern-sachliches und zugleich faszinierendes Buch gelesen habe. Die Faszination wird ausgelöst durch analytische Kraft und bohrendes Denken. Es handelt sich um die Dokumentation einer Arbeitsgruppe von drei katholischen Professoren der Päpstlichen Lateran-Universität, Rom, und drei evangelischen Theologen der Fakultäten Tü­bingen und Heidelberg: Lubomir Žak, Giuseppe Lorizio und Massimo Serretti – Eilert Herms, Wilfried Härle, Christoph Schwöbel. Die behandelten Sachverhalte sind Offenbarung und Glaube in den Lehrtexten der römisch-katholischen Kirche und der evangelisch-lutherischen Kirchen.
Diese grundlegende Thematik (1. Teil) wird entfaltet im Blick auf die Offenbarung als Selbstvergegenwärtigung der »Gnade und Wahrheit« Gottes (2. Teil) und einer anschließenden Reflexion auf das Zustandekommen des Glaubens, und zwar hinsichtlich der Struktur des Menschseins (3. Teil) und der Konstitution und Grundstruktur von Kirche (4. Teil). Die Arbeitsmethode stellt ein Novum dar: Zentrale Lehrtexte werden von einem evangelischen und einem katholischen Gesprächsteilnehmer auf ihre prinzipiellen Strukturen und grundlegenden Perspektiven hin ausgelegt, um so jeweils die katholische und evangelische »forma doctrinae« transparent zu machen, d. h., die grundlegenden Verstehensformen, in denen sich die gemeinsame Sache des Glaubens findet. Aus der von beiden Seiten vorgenommenen »Re­konstruktion« dieser Lehrgestalt ergeben sich dann die Möglichkeiten, das jeweils rechte Verständnis von beiden Seiten zu überprüfen sowie auf eventuell unaufgearbeitete Problemkomplexe oder Fragestellungen in den jeweiligen Traditionen aufmerksam zu machen. Angestrebt ist da­mit eine wesentliche Ergänzung der bisherigen Praxis interkonfessioneller Gespräche, die sich an Bekenntnissätzen orientieren und auf Konsenspapiere zielen. Hier wird die jeweilige fundamentaltheologische Grundlagenreflexion einbezogen und gefragt, wie die angezielte gemeinsame Sache des Glaubens in der jeweiligen Lehrgestalt entfaltet wird. Der Methode entsprechend werden in den einzelnen vier Teilen die Interpretationen der Lehrdokumente katholischer und evangelischer Tradition, und zwar in der jeweiligen doppelten Erarbeitungsform, nebeneinandergestellt. Jedes Ka­pitel wird dann durch ein gemeinsam verantwortetes Protokoll über die abschließende Diskussion abgerundet, in der die beiden »formae doctrinae« miteinander verglichen und noch unerledigte Fragestellungen aufgezeigt werden.
Man muss den Teilnehmern an diesem Projekt hinsichtlich der profunden Kenntnis der einschlägigen Lehrdokumente der jeweils anderen Tradition hohe Anerkennung zollen. Zugleich fällt auf, in welchem Ausmaß auf beiden Seiten gründliche Studien systematisch-theologischer Art vorliegen, die der sachgemäßen heutigen Interpretation der Texte in ökumenischer Absicht vorgearbeitet haben. Hier dokumentiert sich die Frucht ökumenischer Arbeit und Reflexion, die in aller Stille in den letzten Jahrzehnten seit dem Ende des II. Vatikanischen Konzils in den Fakultäten geleistet wurde. Die Konsenspapiere, welche als Arbeitsergebnisse der offiziellen Dialogkommissionen erarbeitet worden sind, haben de facto – dies manifestiert die zitierte Forschungsliteratur katholischer und evangelischer Autoren wie das hier vorzustellende Projekt – eine wesentliche Ergänzung erfahren.
Es ist nicht möglich, die gekennzeichneten vier Teile der Untersuchung im Einzelnen zu präsentieren und zu evaluieren. Es sollen stattdessen drei Sachverhalte herausgegriffen werden, an de­nen Gewicht, offene Fragen und Perspektiven der vorliegenden Publikationen verdeutlicht werden können.

1. Eine interpretatorische Erschließung von besonderem Ge­wicht betrifft die Streitschrift Luthers gegen Erasmus »De servo arbitrio«. Es ist für jeden ökumenisch engagierten Theologen eine Freude zu sehen, wie von den evangelischen und katholischen Autoren die fundamentale theologische Bedeutung dieser Schrift sowohl für das Verständnis der Offenbarung, den Deus revelatus und absconditus als auch für den Glauben, die damit verknüpfte Anthropologie und die Ekklesiologie dargestellt wird. Die auf den ersten Blick so sperrigen und polemisch zugespitzten Äußerungen Luthers erweisen sich beim zweiten Blick als treffende Artikulationen des heilsgeschichtlichen Verständnisses Gottes und der rationalen und freiheitlichen Kreatur im Blick auf die Ontologie der Person wie der Kirche, der Gemeinschaft der Glaubenden (vgl. insbesondere Lubomir Žak, 51 ff., und Ch. Schwöbel, 217 ff., W. Härle, 345 ff.). Ein in Prägnanz und theologischer Scharfsichtigkeit vergleichbares Kabinettstück legt Eilert Herms in seiner Interpretation der theologischen Anthropologie von Gaudium et spes und der theologischen Vertiefung und Weiterführung dieser Theologie des Menschseins in der Antrittsenzyklika Johannes Pauls II. »Redemptor hominis« sowie einigen anderen seiner Lehrtexte vor. Die Weise, wie hier Strukturlinien transparent und Äquivalenzen ansichtig werden, ist beispielhaft.
2. Ein missing link, auf das der Rezensent sich erlaubt hinzuweisen: Im ersten Kapitel des ersten Teils legt Eilert Herms das Verständnis von Glaubensgewissheit nach römisch-katholischer Lehre unter Rückgriff auf Thomas und sein Verständnis von Wahrheit als adaequatio intellectus ad rem aus. Hinsichtlich der Implikationen wird das objectum formale des Glaubens, nämlich Gott, die prima veritas – und die entsprechende Deutung, die Thomas der prima veritas in seinem Kommentar zum Johannesprolog gibt –, nicht systematisch ausgewertet. Dies ist insofern bedauerlich, als Thomas von hierher die infallibilitas fidei und die damit gegebene Gewissheit des Glaubens erläutert. Dies sind Momente, die im I. und II. Vatikanum vorausgesetzt, aber nicht thematisiert werden.
3. Im Anschluss an die Schlussreflexionen des vierten Teiles, der vom Zu­standekommen des Glaubens durch die Konstitution der Kirche und ihrer Grundstrukturen handelt, möchte der Rezensent einen perspektivischen Hinweis auf die anstehenden und zu klärenden Fragen geben: Die Autoren haben sich in allen vier genannten Teilen in kluger Weise der ontologischen Phänomenologie und ihrer begrifflichen Bestimmungen bedient. In Bezug auf das Verständnis von Kirche als compago visibilis, deren Gefährdung und den gläubigen Realvollzug dürften die Analysen des »alltäglichen Selbstseins« und das »Man« im vierten Kapitel von Heideggers »Sein und Zeit« von erschließender Kraft sein. Damit würde zu­gleich auch das Niveau charakterisiert, auf dem in allen Bereichen dieser Untersuchung zu denken ist, jene Ebene, auf der Theologie allein Theologie zu sein vermag.


Die beiden zuletzt genannten Sachverhalte mögen veranschaulichen, wie sehr dieses Werk verlockt, sich in den dokumentierten Dialog lebendig einzubringen. Sie bezeugen – dies die Intention des Rezensenten – das wahrhaft Bewegende dieses Werkes.