Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1138–1140

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Terrin, Aldo Natale [Ed.]

Titel/Untertitel:

Liturgia ed estetica.

Verlag:

Padua: Abbazia di S. Giustina; Edizioni Messaggero 2006. 268 S. 8° = Caro salutis cardo. Contributi, 21. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-88-250-1698-7.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Der anzuzeigende Sammelband aus dem Pastoralliturgischen Institut in Padua zeigt, dass das ästhetische Paradigma in der Liturgiewissenschaft inzwischen internationale und überkonfessionelle Bedeutung gewonnen hat. Der Rahmen des Themas wird am besten von dem Doktoranden Marco Campedelli in seinem Beitrag über Poesie und Prophetie abgesteckt (223–242), denn er zitiert die Lyrikerin Alda Merini mit der Feststellung, dass die Liturgie eine großartige Quelle der Dichtung sein könnte, aber in der Realität eher als Abgesang des Poetischen dastehe (236). Gerade darum aber sei das Gemeinsame an poetischer Sprache neu zu entdecken, denn »lebendige poetische Metaphern erklären nicht die Welt und ihr Ge­heimnis, sondern sie verweisen und akzentuieren, bzw. sie schaf­fen die Bedingungen, unter denen sich die Welt und das Geheimnis offenbaren können« (240). Gleichzeitig erinnert Campedelli mit einem vorangestellten Wort des argentinischen Dichters J. L. Borges an die Gefahren des ästhetischen Diskurses: »Immer wenn ich mich in ästhetische Texte vertiefe, kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, Werke von Astronomen zu lesen, die noch nie einen Stern gesehen haben« (223).
Der Band enthält sowohl theoretische als auch weniger theoretische Überlegungen, die in plausibler Weise in drei Abteilungen mit je drei Beiträgen angeordnet sind. Im ersten Teil (17–67) finden sich philosophisch-ästhetische Überlegungen (S. Petrosini, D. Goldoni, S. Zecchi), im zweiten Teil, dem eigentlichen Zentrum des Bandes (71–220), stehen drei ausführliche und gewichtige Abhandlungen zum Verhältnis von Ästhetik, Ritual und Liturgie (A. N. Terrin, R. Tagliaferri, S. Ubbiali) und im dritten Teil (223–260) wird es anschaulicher mit Beiträgen zu Dichtung, Glasfensterkunst und Architektur (M. Campedelli, F. Corradini, M. Botta).
Der Zugewinn des Ästhetischen für die Theologie, so der Mailänder Ordinarius für Ästhetik Stefano Zecchi, liege darin, dass Gott selbst auf diese Weise dem Menschen nicht nur als der Lehrer des Wahren oder als Erlöser und Garant des Guten gegenübertrete, sondern dass er als derjenige erfahren werde, der die Welt geschaffen hat, »um selbst in sie hinein auszustrahlen und den Glanz seiner ewigen, trinitarischen Liebe zu verströmen« (50). – Im Hauptteil des Buches wird entsprechend die Bedeutung der äußeren Form und Gestalt der Liturgie (neben dem unbestrittenen Sachgehalt) besonders herausgearbeitet, wie das dem Ansatz des Instituts in Padua entspricht. Sprache, Ritus und Performativität sind die entscheidenden Kategorien, um die Liturgie ästhetisch zu erfassen.
Im Gefolge von Heidegger und in Anlehnung an den dekonstruktivistischen Diskurs wird so vom Herausgeber, dem Mailänder Religionsgeschichtler Aldo Natale Terrin, der schon mehrere einschlägige Arbeiten zum Verhältnis von Liturgie und Semiotik vorgelegt hat, in seinem Beitrag über das Ästhetische in der Postmoderne (71–122) das referentielle Sprachverständnis zurückgewiesen: Die Sprache sei nicht die Abbildung der Welt, sondern sie sei vielmehr selbst der Herr im Hause der Welt (»è esso stesso il padrone del mondo«, 85), so dass Wissenschaftlichkeit und Fiktionalität nicht gegensätzlich, sondern komplementär zu verstehen seien (89). Das Performative ist dabei die Form, in der Realität zu­gleich kommuniziert und konstruiert wird (95), denn in der Postmoderne erweise sich die Gestalt als der eigentliche Gehalt (»l’apparenza è l’essenza«, 91). Übersetzte man das mit diesen Begriffen beschriebene Spannungsfeld in pessimistischer Weise, dann würde es heißen, dass der Schein an die Stelle des Seins tritt. Damit wird die Spanne der möglichen Interpretationen für das Beschriebene besonders deutlich. Liturgisch gilt jedoch auf jeden Fall: »Die Wahrheit muss zu etwas Erfahrbarem und mit den Sinnen Aufzunehmendem werden. Das ist das Hauptaxiom des Ritus.« (110)

Roberto Tagliaferri, der außer in Padua auch an der Päpstlichen Lateran-Uni­versität in Rom lehrt und sich vor allem mit fundamentalliturgischen Fragestellungen beschäftigt, erläutert die Ähnlichkeiten und die Differenzen des ästhe­tischen und des liturgischen Diskurses (123–172). Auch er folgt einem drei­stelligen semiotischen Zeichenbegriff: »Die Feststellung, dass das Signifikat deswegen untrennbar mit dem Signifikanten verbunden ist, weil dieses an einen Benutzer gebunden ist, bringt mit sich, dass der Signifikant auch untrennbar mit dem Referenten verbunden ist« (136). Bedeutung gibt es demnach, durchdenkt man dieses Modell konsequent, weder in konstruktivistischer noch in szientistisch-abbildhafter Art und Weise. Bedeutung wird vielmehr von Personen gestalthaft und bezogen auf die gegebene Realität in ihrer Widerständigkeit rekonstruiert. – In diesem Zusammenhang wird von Tagliaferri vor allem das kreative Potential der rituellen Wiederholung hervorgehoben: »Die rituelle Wiederholung erlaubt die ständige Neuschöpfung von Sinn durch die Gebundenheit des Ritus an die Heilige Schrift.« (142) Dies wird besonders in den Gestalten von Rhythmus, Tanz, Musik und Gesang (145–149) und auch in der Malerei deutlich (149–156). Das Schöne der Kunst sei eben kein Duplizieren im Sinne des naturwissenschaftlich Genauen, sondern immer »ein Abenteuer der Freiheit und der Phantasie« (151).
Der Mailänder Systematische Theologe Sergio Ubbiali entfaltet das Verhältnis von Theologie und Ästhetik in drei Schritten (und greift dabei u. a. auch auf Karl Barth und Eberhard Jüngel zurück): Ihm geht es um die ästhetische Erfahrung, um das reflexive Einholen dieser Erfahrung und um die theologische Reflexion von beidem (173–220). Das ästhetische Potential liegt nach Ubbiali in der Überwindung des traditionellen Sprechens und der konventionalisierten Kommunikation zu Gunsten einer Vielgestaltigkeit der Darstellungen (185). Die Theologie seit dem Ende des 20. Jh.s sei damit auf das Kon­krete, Historische und jeweils Wirkende gerichtet – und nicht auf das In­stitutionelle wie das 18. Jh. oder das Kausale wie das 19. und frühe 20. Jh. (190). Die wichtigsten theologischen Fragen richten sich damit nach Ubbiali auf das Verhältnis von Geschichte und Dogma, Jesus und Kirche, von menschlicher Lebensgeschichte und Heilsgeschichte (191). Das Sinnliche, Ge­schicht­liche und Konkrete erschließt auch systematisch den Horizont der göttlichen Offenbarung (215). Göttliche Wahrheit und menschliche Rekonstruktion von Subjektivität sind untrennbar aneinander gebunden (220).
Der Beitrag mit den stärksten poetischen Formulierungen ist vielleicht der des Künstlers Franco Corradini (243–251). Der Zugewinn der ästhetischen Betrachtung kommt in seiner Be­schreibung der Glaskunst zum Ausdruck: »Sie ist mehrstimmiger Gesang und aufsteigende Energie, etwas Erhebendes, das die Schwerkraft überwindet und ein Licht, das die Verletzungen durch das Fins­tere lindert. Sie existiert nur in ihrem spirituellen Wert, als eine göttliche Schrift, die das Leuchten der göttlichen Sonne widerspiegelt – Gottes leuchtende Wahrheit inmitten seiner Kirche und im Herzen der Gemeinde.« (251)


Der Band zeigt, dass in der Liturgiewissenschaft konfessions- und sprachübergreifend an ähnlichen Fragestellungen gearbeitet wird und dass der semiotische Zeichenbegriff für die ästhetische Theorie des Gottesdienstes eine große Hilfe ist.