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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1135–1136

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Loretan-Saladin, Franziska

Titel/Untertitel:

Dass die Sprache stimmt. Eine homiletische Rezeption der dichtungstheoretischen Reflexionen von Hilde Domin.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg 2008. 336 S. gr.8° = Praktische Theologie im Dialog, 32. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-7278-1617-8.

Rezensent:

Frank M. Lütze

Hilde Domin ist – wovon etwa Predigtmeditationen zeugen – im homiletischen Zusammenhang durchaus keine Unbekannte. Ihre dichtungstheoretischen Überlegungen zu Funktion und Sprache der Lyrik in der Gegenwart fanden hingegen bislang kaum Beachtung in der Theologie. Sie für die Homiletik fruchtbar zu machen, ist das Anliegen dieser Studie, mit der die Vfn. an der (Katholisch-) Theologischen Fakultät in Luzern promoviert wurde. Der Aufbau spiegelt das Interesse an einem möglichst umfassenden Horizont: In den ersten drei Hauptteilen werden das Gespräch zwischen Theo­logie und Literatur bzw. Literaturwissenschaft (Teil I, 22–74), die Biographie und das dichtungstheoretische Werk der Hilde Domin (Teil II, 75–184) sowie sprachbezogene Ansätze in der neueren Homiletik (Teil III, 185–276) ausführlich vorgestellt. Erst im ab­schließenden vierten Hauptteil (277–323) werden Domins Impulse auf die Homiletik bezogen diskutiert. Der Ertrag für Theorie und Praxis der Predigt wird dabei in 17 Thesen zusammengefasst. Wiederholt nimmt die Vfn. Bezug auf genderspezifische As­pekte (vgl. etwa 106–108.175 f.; ausführlich zur Rolle von Predigerinnen vgl. 241–273.304 f.).
Mangelnden Fleiß wird man der Studie nicht vorwerfen können: Sowohl zum Dialog zwischen Theologie und Lite­ra­tur(-wis­senschaft) als auch zur Reflexion der Sprache in der jüngeren Homiletik bleibt (konfessionsübergreifend!) kaum ein Ansatz un­berücksichtigt, und auch die Einführung in Hilde Domins Leben und Werk ist ebenso detailliert wie kenntnisreich geschrieben. Die enzyklopädische Weite des Zugriffs geht freilich zu Lasten der argumentativen Stringenz der Studie. Mag der einleitende Teil zu Theologie und Literaturwissenschaft dazu dienen, das »Bühnenbild« zu skizzieren, so findet das angekündigte »Gespräch zwischen Dichterin und Theologin über die Möglichkeiten und Grenzen der Sprache« (22) auch nicht im zweiten oder dritten, sondern erst im letzten Hauptteil der Studie statt. Bis dahin treten – um das Bild aufzunehmen – die verschiedenen Protagonisten nacheinander auf die Bühne und sprechen je ihren Text, der von der Vfn. zwar sorgsam rekonstruiert, aber nur bedingt kriteriengeleitet reorganisiert wird. So geht der systematisierenden Zusammenfassung der dichtungstheoretischen Hauptschriften Domins (170–184) eine kapitelweise Textwiedergabe voraus, die auf 50 Seiten die ganze »Breite der von der Dichterin angesprochenen Themen« (122) spiegelt. Ebenso werden in der ausführlichen Darstellung zu »Homiletik und Sprache« (185–276) zwar zahlreiche jüngere Ansätze (u. a. aus dem Gespräch mit der Rhetorik, der Semiotik, der Sprachpragmatik oder der Poetik) nacheinander versiert dargestellt; Abgrenzungen, Widersprüche oder offen gebliebene Fragen kommen dabei jedoch kaum in den Blick. Insofern fällt es auch am Ende des dritten Hauptteils noch schwer auszumachen, welche homiletischen Desiderate mit Hilfe einer Rezeption von Domins Schriften eingelöst werden können. Explizit wird diese Frage auch von den Thesen und ihren Begründungen im abschließenden Teil nicht beantwortet.
Das ist schade, weil damit der homiletische Gewinn von Do­mins Œuvre nur eingeschränkt sichtbar wird. Dazu gehört nicht nur die exzellente Sprachschulung, die eine Lektüre ihrer Gedichte mit sich bringt (einmal abgesehen von ihrer potentiellen Verwendbarkeit in der Predigt). Auch die poetologischen Überlegungen Domins vermögen, den aktuellen homiletischen Diskurs in mehrfacher Hinsicht zu präzisieren. Exemplarisch möchte ich im Anschluss an diese Studie drei Punkte hervorheben: (a) Domins Forderung einer »unspezifischen Genauigkeit« bei der Wahl der Worte erweist sich als gute Leitlinie, um die semiotische Einsicht in die Notwendigkeit rezeptionsoffener Texte nicht mit Vagheit oder Unverbindlichkeit zu verwechseln (vgl. 309, These 10). (b) Dass »die richtigen Namen nennend / furchtlos / mit der kleinen Stimme« wir Freiheit nicht nur vollziehen, sondern schaffen, weist auf die – sprachpragmatisch lange übersehene – performative Po­tenz hin, die in einfachen Feststellungen liegen kann (vg. 304, These 4). (c) Dass schließlich die Sprache der Predigt zuerst und zuletzt keine Frage rhetorischer Schulung ist, sondern substanziell mit dem Mut des Pre­digers bzw. der Predigerin zur Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen und Grenzen zu tun hat, kann man eindrücklich von einer Dichterin lernen, deren Wirkung wesentlich auf der Authentizität ihrer Gedichte beruhen dürfte.
Die Ausführungen dazu (299–302) gehören zu den wichtigsten Passagen des Buches. Welche Herausforderung diese Einsicht für die homiletische Ausbildung mit sich bringt, dürfte der Vfn., die seit Jahren einen homiletischen Lehrauftrag innehat, aus eigenen Erfahrungen bewusst sein.