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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1133–1134

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kumher, Ulrich

Titel/Untertitel:

Schulpastoral und religiöse Pluralität. Ein Konzeptentwurf für die Auseinandersetzung mit religiöser Pluralität.

Verlag:

Würzburg: Echter 2008. 419 S. m. Tab. 8° = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 74. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-429-03032 -2.

Rezensent:

Bernd Schröder

Diese Doktorarbeit wurde von der Katholisch-Theologischen Fa­kultät der Universität Würzburg angenommen und von dem dortigen Pastoraltheologen Erich Garhammer im Rahmen eines Graduiertenkollegs begleitet. Sie adressiert ein Thema, das für die Weiterentwicklung von Schulseelsorge in Theorie wie Praxis fraglos von großer Bedeutung ist. Durch die Fokussierung auf Berufsbildende Schulen, an denen religiöse Pluralität den Religionsunterricht wie die Schulpastoral in besonderem Maße beeinflusst, ›packt‹ Kumher, derzeit Studienreferendar an Gymnasien, ›den Stier bei den Hörnern‹.
Doch ehe K. Berufsbildende Schulen als »Einsatzort für eine interreligiös engagierte Schulpastoral« (170) beschreibt, wendet er sich ausführlich dem Diskussionsstand um »Schulpastoral« und »religiöse Pluralität« zu. Auf etwa 150 Seiten werden, verteilt auf zwei Kapitel, Beitrag um Beitrag kirchliche Stellungnahmen römisch-katholischer Provenienz, pastoraltheologische Bestimmungsversuche und Praxisreflexionen vorgestellt – auch evange­lische Publikationen kommen zur Sprache, vermögen indes die Gedankenführung kaum zu prägen. In der Regel verfährt K. dabei deskriptiv; hie und da markiert er kontroverse Einschätzungen, etwa was die (pastoral-)theologische Legitimation von Schulpastoral (57 ff.) oder die Spannung zwischen diakonischen und missio­narischen Zielsetzungen (49) angeht. Kritische, kriteriengeleitete Rückfragen an die für Schulpastoral relevanten Diskurse formuliert er indes nicht. Recht unvermittelt mündet die Sichtung des Forschungsstandes in einen Katalog von acht »Anforderungen an eine interreligiös engagierte Schulpastoral« (15 4–158), darunter »multiperspektivische Wahrnehmung« und »Geschlechtersensibilität«.
In ihrem dritten Kapitel sucht die Studie sodann die »Wirklichkeit an ... Berufsschulen« zu erfassen (170–207). Dies geschieht mittels einer knappen Durchsicht der Literatur, vor allem aber mit Hilfe einer nicht-repräsentativen quantitativen Befragung unter Berufsschülern in vier bayerischen Großstädten. Der zu Grunde liegende Fragebogen zielt darauf, die eigene religiöse Praxis und die Affinität der Probanden zu ausgewählten Typen des Umgangs mit religiöser Pluralität zu erheben. In aller Kürze (201–207) referiert K. die Ergebnisse (nicht ohne im Anhang die Auszählungen und Berechnungsergebnisse mitzuteilen). U. a. hebt er die geringe Zu­stimmung zu empathischem Verhalten angesichts religiöser Pluralität (202), die »Angst« der Befragten »vor Arbeitslosigkeit und sinkendem Lebensstandard« (203) sowie Differenzen zwischen Schülerinnen und Schülern (204 f.) als wesentlich hervor.
Die Relevanz dieses empirischen Arbeitsschrittes für die folgenden konzeptionellen Reflexionen bleibt indes undeutlich: Denn inspiriert von der Religionstheologie Raimund Panikkars und der interkulturellen Poimenik Christoph Schneider-Harpprechts entwickelt K. im vierten Kapitel, dem Schlüsselkapitel seines Buches, »Leitideen« eines »Konzeptentwurf[s] für eine interreligiös engagierte Schulpastoral« (208–311), die weitgehend unabhängig von jener Erhebung sind. Zu diesen Leitideen zählt K., kurz zusammengefasst, »die Berücksichtigung des Zusammenhangs von Kultur und Religion, die Ermöglichung von Vielfalt und Verschiedenheit, die Berücksichtigung eines multidimensionalen Menschenbildes, Begegnungen als Dialogermöglichung, Sensibilität für Natur und soziale Beziehungen sowie eine ähnliche Ausrichtung interkultureller Kommunikation« (318). In einigen Pas­sagen wird dieses abstrakte Gefüge von Leitideen konkretisiert: K. steht »eine gegenüber Orthodoxie mit Zurückhaltung rechnende«, »eine für Pluralität einstehende und ihre Bewältigung ge­staltende«, »eine die Angst vor Arbeitslosigkeit und sinkendem Lebensstandard bändigende«, »geschlechtersensible Schulpastoral« vor Augen (272–292), die sich in ihren Arbeitsformen an den kirchlichen Grundvollzügen orientiert: »einander und anderen dienen«, »Glauben gegen­seitig vorleben«, »gemeinsam beten«, »Gemeinschaft üben« (293– 311). Es sind »Rituale« wie z. B. »regelmäßige (Fest-)Essen bzw. Gastmähler«, die K. als die Praxisform ansieht, die im Raum der Schule (!?) in besonders fruchtbarer Weise »Begegnungschancen« eröffnet (312–319).
Bezogen auf die eingangs referierten pastoraltheologischen Reflexionen ist dies ein stimmiges Ideal von Schulpastoral – doch ob es geeignet ist, schulpastorales Handeln zu orientieren oder gar funktional erfolgversprechend anzuleiten, kann mit gewichtigen Gründen bezweifelt werden: Zu blass bleiben die tatsächlichen Rah­menbedingungen »Berufsbildender Schulen«, insbesondere der hohe Legitimationsdruck auf konfessionell verfassten »Religionsunterricht« und »Schulseelsorge« in dieser Schulform, zu undeutlich die religiösen, aber eben auch sozialen und kommunikativen Herausforderungen, die der Schulpastoral aus der Lebensführung und -deutung der überaus heterogenen Schülerschaft erwachsen, zu harmonisch werden konkurrierende pastoraltheologische Zielsetzungen zusammengebunden.
K. bleibt den verschiedenen Konzeptionen wie den Anforderungen seitens der Schülerschaft gegenüber konsequent irenisch; er versäumt es allerdings auf diese Weise, anstößig-irritierende Einsichten etwa aus der Vielzahl empirischer Untersuchungen zur Religiosität junger Erwachsener (z. B. von Andreas Feige und Heinz-Georg Ziebertz, deren Arbeiten keine Erwähnung finden) konstruktiv geltend zu machen und pastoraltheologisch-konzeptionelle wie praktische Entscheidungsfelder zu markieren.
Diese Schwierigkeiten hängen wesentlich mit dem methodischen Zugriff der Studie zusammen: Es handelt sich um eine »theo­logisch basierte Abstimmung der kirchlichen Grundvollzüge auf die religiös plurale Situation« (152), nicht um eine Arbeit, die vom Problemdruck des BRU getrieben bisherige pastoraltheologische Konzepte kritisch prüfen und umformen möchte.
Auch wenn die Frage nach angemessenen Formen des schulseelsorglichen Umgangs mit religiöser Pluralität nicht als beantwortet gelten kann, dokumentiert die Studie unbeschadet dessen eindrücklich die – in den letzten Jahren erheblich gestiegene – Be­deutung der Schulseelsorge als Spielbein von »Religion im Schulleben«.