Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1128–1130

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Esterbauer, Reinhold, Ebenbauer, Peter, u. Christian Wessely [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religiöse Appelle und Parolen. Interdisziplinäre Analysen zu einer neuen Sprachform.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2008. 228 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-17-020104-0.

Rezensent:

Matthias Bernstorf

»Ächz! Stöhn! Seufz!« Es gab Zeiten, in denen galt bereits die Comic-Sprache als sicheres Indiz für den Untergang der christlichen Schriftreligion, obgleich sie von einer uralten, ins Unreine gesprochenen Äußerungsform des Glaubens, dem Stoßgebet, gar nicht so weit entfernt ist. Die Kommunikationsmuster des Online-Zeitalters verzichten inzwischen völlig auf zeitfressende Worte und ersetzen sie durch »Emoticons.« Wer spätestens jetzt den Verfall tradierter religiöser Werte und Sprachformen erwartet, den überrascht das Autorenteam um Reinhold Esterbauer, Peter Ebenbauer und Christian Wessely mit gegenteiligen Forschungsresultaten. Die appellativen Sprachformen des Computerzeitalters, z. B. die schriftliche Interaktion im Chat, führen nicht zu einer geringeren, sondern zu einer vermehrten Verwendung religiöser Symbole im Netz, so das Fazit der Autoren. Dazu gehören u. a. Kreuz, der Gottesbegriff in Online-Spielen und die Neudeutungen traditioneller Metaphern, expliziert am Beispiel ›Jerusalem‹ im Kontext der friedlichen Revolution von 1989.
Die Ausgangshypothese des Werks ist: Jede mediale Revolution verändert nicht nur die Strukturen gesellschaftlichen Lebens, sondern auch die damit verbundenen inneren Bilder religiöser Handlungsvollzüge. Beispielsweise nähren Fernsehproduktionen aus Hollywood gegenüber einer kirchlich unverbundenen Generation die Vorstellung, eine Trauung im Garten stelle den liturgischen Normalfall einer christlichen Eheschließung dar.
Nachdem Fernsehen, Radio und Printmedien für heutige Ju­gendliche im weltweiten Netz verschmelzen, richten die Autoren ihren heuristischen Fokus auf die Frage, wie sich die Kommunikationsformen der Gegenwartskultur, namentlich des Internets, auf die Spiritualität spätmoderner Zeitgenossen auswirken. Zwischen den Zeilen ist nichts Geringeres zu erkennen als der Versuch, aus interdisziplinärer Perspektive eine Hermeneutik des Religiösen zu entwickeln.
Hervorgegangen ist der 220 Seiten umfassende Sammelband aus dem Forschungsprojekt »God Talk« der Universität Graz. Experten der Medien- und Literaturwissenschaft, Philosophie, Theologie und Sprachwissenschaft haben über zwei Jahre hinweg mit reli­giösen Appellen und Parolen jenen Forschungsgegenstand in den Blick genommen, den sie als sprachliche Wiege einer sich verändernden Religiosität erkannt haben. Wo werden im Zuge der me­dialen Neukontextualisierung sinnstiftende Strukturen und Me­taphern jenseits der verfassten Kirche generiert, auch, wenn sie nicht sofort als religiös zu identifizieren sind? Dies ist die Leitfrage, die anhand von neun ausgewählten Bereichen der medialen Ge­genwartskultur jeweils in These und Antithese fachübergreifend analysiert wird.
Der kulturelle Aktionsradius ist beträchtlich. Er reicht von re­ligiösen Strukturen in Chatrooms und Werbung über interkon­fessionelle Sprachformen, die der Karikaturenstreit auslöste, liturgische Fragestellungen wie z. B. der appellativen Struktur des Gebets, moderne Literatur bis hin zum Spannungsverhältnis zwischen bildender Kunst und religiösen Sprachformen.
Was das Ergebnis anbelangt, sprechen die Autoren in aller Be­scheidenheit von einem Sammelband. Dies ist der Tatsache ge­schuldet, dass sich ein einheitlicher, interdisziplinär tragfähiger Religionsbegriff im Rahmen des Projekts »God Talk« noch nicht realisieren ließ. Wer damit leben kann, dass der Begriff des Religiösen mal phänomenologisch, mal funktional verwendet wird und nur zwei der beteiligten Autoren empirisch forschen, wird dennoch viele lesenswerte Aspekte religiöser Sprache im Computerzeitalter gewinnen.
Dass religiöse Motive im Chat besonders beliebt sind, bestätigt beispielsweise Erfahrungswerte aus der Werbung. Wer in kürzester Zeit möglichst viel kommunizieren will, bedient sich archetypischer Bilder, die im gedanklichen Fundus einer Gesellschaft vorhanden sind und daher ohne großen Erklärungsaufwand die eigene Botschaft emotional illustrieren.
Eine durch die Gegebenheiten des Mediums erzwungene Re­duktion von Sprache, z. B. im Chat oder im Twittern via Mobiltelefon, führt immer auch zu einer Reduktion der Argumentationskultur, so die Autoren. Es erklärt ihrer Ansicht nach, warum religiöse Motive in Online-Spielen wenig innovative, sondern tendenziell archaische Züge tragen. Wer sich beispielsweise im sog. Gott-Modus bewegt, agiert allmächtig, verfügt über ewiges Leben und sieht alles, ohne gesehen zu werden. Mit dem lebendigen Gott, wie ihn das Alte Testament bezeugt, hat solch ein Gottesbild nur wenige Züge gemein und bedient eher Feuerbachs Projektionsthese, so die Autoren.
Den Mangel an erlebter Gotteserfahrung mit einem Plus an Wissen kompensieren zu wollen, hält namentlich Wolfgang Weirer für einen religionspädagogischen Fehlschluss. Nicht, was Jesus ge­predigt hat, sondern wie er gepredigt hat: situativ, dialogisch, un­ter Einbezug der Lebens- und Vorstellungswelt seiner Gesprächspartner, müsse Maßstab einer korrelativen Didaktik sein. Religiöse Appelle verzichten ihrem Wesen nach auf weitschweifige Begründungen, so Weirer, umso mehr bedürften sie der vernünftigen Erörterung auf dem Hintergrund der je eigenen Lebenssituation.
Zum Schluss ein Trost: Sei es die begrenzte Speicherkapazität des Kurzzeitgedächtnisses im rasend schnellen Chat oder die be­grenzte Anzahl von Zeichen einer SMS: Wer für lange Erklärungen keine Zeit hat, greift auch im Computerzeitalter gerne zum mnemotechnischen Prohibitiv, konstatieren die Autoren, daran hat sich von den Steintafeln des Mose bis zum Zeitalter der Silizium-Chips nicht viel geändert. Nach der Lektüre dieses überaus interessanten Sammelbandes bestätigt sich einmal mehr: Wenn du in kurzer Zeit viele Menschen zu etwas bewegen willst, sag’ es einfach, sag’s wie Gott.