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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1126–1128

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Soulen, R. Kendall, and Linda Woodhead [Eds.]

Titel/Untertitel:

God and Hu­m­an Dignity.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2006. XIV, 341 S. gr.8°. Kart. US$ 32,00. ISBN 978-0-8028-3395-2.

Rezensent:

Heinrich Bedford-Strohm

Es gibt wenige ethische Begriffe, die so häufig in öffentlichen Debatten zitiert werden wie der Begriff der »Menschenwürde«. Man kann daraus die Konsequenz ziehen, in der ethischen Debatte zukünftig auf diesen Begriff zu verzichten, da er auf Grund seines inflationären Gebrauchs jede Profilschärfe verloren habe. Man kann aber auch die Schwierigkeit, dem Begriff einen klaren Inhalt zu geben, zum Anlass verstärkter Forschungsbemühungen nehmen, die dann auch die Grundlage für eine schärfere Profilierung in der öffentlichen Debatte bieten können.
Der von Soulen und Woudhead herausgegebene Band mit Aufsätzen über das Verhältnis zwischen der Rede von Gott und der Rede von der Menschenwürde, der aus dem Gesprächszusammenhang des »Center for Theological Inquiry« in Princeton entstanden ist, wählt mit guten Gründen den letzteren Weg. Die Herausgeber machen schon in der Einleitung deutlich, dass sie sich des Problems sehr bewusst sind. Angesichts der gegenwärtigen ethischen Herausforderungen auf den Feldern der Globalisierung, der Biotechnologie, der Konflikte um Rassen- oder Genderfragen oder des Umgangs mit dem Tod und angesichts der Tatsache, dass der Menschenwürdebegriff für die Rechtstraditionen international eine zentrale Rolle spielt, haben sie ein namhaftes internationales Team von Autorinnen und Autoren versammelt, um dem Begriff ein spezifisch theologisches Profil zu geben, das sich sowohl auf der Höhe der Debatten in der außertheologischen Forschung bewegt als auch den spezifisch eigenen Erkenntnisquellen gerecht wird. Michael Welker, Chris­toph Schwöbel und Gerhard Sauter haben neben vielen anderen ebenso zu dem Band beigetragen wie der englische Physiker und Theologe John Polkinghorne, der südafrikanische Theologe und jetzige Rektor der Stellenbosch University Russel Botman, die amerikanischen Theologen Douglas Meeks und Don Browning oder die englische Theologin Elaine Graham.
In den Debatten im Center for Theological Inquiry, die zu diesem Buch führten, entstand die Grundthese, die alle Beiträge des Buches prägt: Wenn, wie das heute häufig der Fall ist, das Konzept der Menschenwürde seines theologischen und kirchlichen Kontextes beraubt wird, erweist es sich als bemerkenswert fragil und unfähig, das ethische und metaphysische Gewicht zu tragen, das die moderne Sprache der Rechte ihm auferlegt. Auch wenn man viele gute Gründe dafür nennen kann, warum die Entkleidung von diesem Kontext historisch notwendig war, war der Preis dafür – so die in der Einleitung formulierte Diagnose – die schrittweise Schwächung des Konzepts und ein Verlust an Diagnose- und Widerstandskraft angesichts aktueller Gefährdungen der Menschenwürde (15). Die Autorinnen und Autoren wollen daher den Gedanken der Menschenwürde unter Verzicht auf irgendwelchen Substantialismus auf der Basis der biblischen Überlieferungen und der altkirchlichen Tradition christlich rekontextualisieren, dabei die neuere Kritik aufnehmen und so einen gut begründeten Beitrag zur Diagnose und Kritik aktueller praktischer und theoretischer Infragestellungen der Menschenwürde leisten.

Die Relationalität des Menschenwürdebegriffs steht im Zentrum des Beitrags von Christoph Schwöbel (44–58). Er beschreibt das Beziehungsgeschehen zwischen Gott und den Menschen in der Spannung zwischen Gottebenbildlichkeit, der Sünde als Entwurzelung (dislocation) und der Gnade als Wiederbeheimatung (relocation). Nicht der Mensch und seine Qualitäten – so wird deutlich– können die Grundlage für die Zuerkennung der Menschenwürde sein, sondern allein Gott. Das aber hat klare Konsequenzen für den Auftrag der Kirche: Sie ist verpflichtet, sich in die öffentlichen Debatten einzumischen und an all den Orten in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, wo der Wert des Menschseins allein an be­stimmten vorhandenen Qualitäten gemessen wird, kritisch Einspruch zu erheben.
Der politische Kampf um die Verletzung der Menschenwürde durch das Apartheid Regime in Südafrika in der Vergangenheit und die Erfahrung von Armut und Ungerechtigkeit in bestimmten Erscheinungsformen der Globalisierung in der Gegenwart bilden den Hintergrund zu dem Beitrag von Russel Botman (72–86). Botman schaut auf die Menschenwürde durch drei Linsen: die Gleichheit, die den Marginalisierten Teilhabe verschafft, die Versöhnung, die Wege aus den destruktiven Konsequenzen der verfestigten Verletzung der Menschenwürde aufzeigt, und schließlich die von Botman selbst neu ins Spiel gebrachte Logik des oikos, die gerade unter den Bedingungen der Globalisierung eine am Gemeinwesen orientierte Wirtschaft ins Auge fasst. Die theologische Metapher, die diese drei Blickwinkel zu­sammenbindet, ist für ihn die Bundes-Metapher. Dass Gott jedem Menschen den Status seines Bundespartners zuerkennt, ist für Botman der tiefste Grund für die Menschenwürde.
Dass eine solche Sichtweise ganz konkrete Konsequenzen für bestimmte technologische Entwicklungen von heute und die dabei zur Debatte stehenden Menschenbilder hat, zeigt Kendall Soulen (104–120). Er fragt nach den Grenzen unserer Versuche, mit den Mitteln der modernen Technologie Leiden zu mindern oder unsere körperlichen Möglichkeiten zu erweitern. Am Beispiel der Präimplantationsdiagnostik, bei der künstlich erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung auf ihre genetische Qualität untersucht werden, be­schreibt er die Gefahr einer »neuen Eugenik«, die mittels der Verbindung von Genetik und Reproduktionstechnologie unwertes Leben ausscheidet. Während die »alte Eugenik« staatlich organisiert wurde, ist die »neue Eugenik« gerade darin besonders wirkkräftig, dass sie ihre Dynamik aus der Summe vieler im Raum des Privaten getroffener Einzelentscheidungen bezieht. Soulen sieht in dieser kulturellen Entwicklung aber keinen Automatismus. So wie in den 20er Jahren des 20. Jh.s bestimmte (vor allem katholisch geprägte) Länder sich eugenischen Ideologien widersetzt haben, so kann auch heute – nicht zuletzt auf der Basis der christlichen Ethik – der schleichenden Durchsetzung einer neuen Eugenik Widerstand entgeg­engebracht werden.
Elaine Graham unterstreicht die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit durch neue Technologien propagierten Menschenbildern in ihrem Beitrag (263–281) nachdrücklich. Sie setzt sich mit der Bewegung des »Transhumanismus« auseinander, die die technologische Perfektionierung des Menschen zum Programm gemacht hat. Gegen die mit religiösen Untertönen propagierte Entwicklung des Menschen vom homo sapiens zum homo cyberneticus setzt Graham die theologische Sicht des Menschen, die gemäß dem Bild der kenosis Christi eine von bedingungsloser Liebe geprägte Demut an die Stelle von Grandiosität und Machtstreben setzt.


Diese exemplarisch für viele andere Beiträge des Buches be­schrie­benen Einzelbeiträge – zeigen eindrucksvoll die Gefahr des an­thropologischen Reduktionismus – auch der Beitrag von Douglas Meeks, der sich kritisch mit der Marktideologie als alles be­stim­mendem Prinzip der Wirtschaft auseinandersetzt (196–214), ist dafür ein gutes Beispiel. Mit solchem anthropologischem Reduktionismus setzt sich Michael Welker in seinem den Band abschließenden und verschiedene Stränge zusammenführenden Beitrag (317–330) nun auch noch einmal explizit auseinander. Anthropolo­gischer Reduktionismus – so Welker – ist in bestimmter Hinsicht in der Wissenschaft unvermeidlich. Er wird indessen zur Gefahr, wenn er so machtvoll wird, dass Such- und Einsichtsprozesse, die quer zu seinen Grundannahmen liegen, systematisch blockiert werden. Welker schlägt daher eine theologische Anthropologie vor, die solche Blockaden verhindert, indem sie menschliche Aktivität von Gottes Aktivität her versteht und Gottes erhaltendes ( sustaining), rettendes (rescuing/saving), und erhöhendes (elevating) bzw. »adelndes« (ennobling) Handeln seiner Schöpfung gegenüber zum hermeneutischen Schlüssel macht.
Der Band ist ein hervorragendes Beispiel für das Zusammenführen unterschiedlicher Perspektiven und verschiedener Problemkonstellationen hin zu einem gemeinsamen theologischen Be­zugspunkt, dessen Kern sich am ehesten mit bundestheologischen Kategorien beschreiben lässt. Die Beiträge bewegen sich inhaltlich durchweg auf hohem Niveau und sind gleichzeitig gut verständlich geschrieben. Auch wer die Lektüre in englischer Sprache zu­nächst als Last empfinden mag, wird am Ende nicht enttäuscht sein. Nach der Lektüre dieses Buches wird jede Versuchung, den Menschenwürdebegriff wegen mangelnden inhaltlichen Profils ad acta zu legen, überwunden sein.