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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1156–1158

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klumbies, Paul-Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Rede von Gott bei Paulus in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992. 289 S. gr.8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 155. Lw. DM 98,­. ISBN 3-525-53836-7

Rezensent:

Traugott Holtz

Das Buch, dessen erst so späte Besprechung mein Verschulden ist, geht auf eine Dissertation zurück, die von Andreas Lindemann angeregt und begleitet und die Ende 1988 von der Kirchlichen Hochschule Bethel angenommen wurde. Sie behandelt ein eminent wichtiges Thema ­ der Vf. weist im ersten Satz seiner Arbeit darauf hin, daß das Wort theos das meistgebrauchte Substantiv des Neuen Testaments und auch der von ihm als echt anerkannten sieben Paulusbriefe sei ­, das gleichwohl merkwürdig geringe thematische Behandlung erfahren hat. Zweifellos ist dies Letzte darin begründet, daß die ntl. und mit ihr die paulinische Theologie weitgehend als in sachlicher Kontinuität mit der atl. und frühjüdischen gesehen wird.

Das Ergebnis, zu dem K. in seiner Monographie, deren Anlage zunächst auch von solcher Annahme bestimmt zu sein scheint, hinsichtlich der paulinischen Theologie gelangt, steht dem indessen scharf entgegen: "Zwar gibt es traditionsgeschichtliche Abhängigkeiten und Kontinuitäten" (dem Judentum gegenüber); "grundsätzlich jedoch grenzt er (sc. Paulus) sich... von der jüdischen Gottesvorstellung ab. Für ihn ist sein Gottesverständnis mit dem des Judentums unvereinbar" (251). Mit Recht wehrt K. sich allerdings angesichts dieser Summe gegen den Vorwurf des Antijudaismus. Er verweist darauf, daß Paulus sich nach seinem Urteil auch von der frühchristlichen Theologie vor und neben sich in markanter Weise unterscheidet.

Das bedeutet nun freilich, daß Paulus im Kern seines theologischen Denkens ganz einsam dasteht; er ist der einzige Theologe, der die Wahrheit Gottes verkündigt ­ jedenfalls soweit K. das Neue Testament in den Blick faßt. Dazu gehört etwa das JohEv freilich nicht, Jesus wird in einem kurzen "Exkurs" (106-110) gleichsam als Anhang zum Judentum behandelt, wobei indessen nur das Vaterunser und Mk 15,34 näher betrachtet werden (die Gleichnisse werden mit einer merkwürdigen Begründung "bewußt beiseite gelassen, da ihr Bezug zur Predigt vom Reich Gottes bereits in Zweifel gezogen worden ist" [107; mit Verweis auf F. Vouga]).

Solchem Ergebnis korrespondiert ­ sachlich notwendig ­ die Beurteilung des paulinischen Umgangs mit Überlieferungsgut, das sich der frühen Gemeinde vor und neben ihm verdankt. K. analysiert unter der Frage nach dem Gottesverständnis die Texte, in denen er solche Traditionen erkennt, in Kap. 4 (111-135) mit dem Ergebnis, daß "durchweg... dabei von einem verobjektivierten Gottesbegriff ausgegangen (wird), der die Vorstellung eines für sich existierenden Gottes voraussetzt" (133); insgesamt gilt: "Die Beziehung des glaubenden Menschen zu Gott ist noch nicht reflektiert. Auch der vereinzelt auftretende soteriologische Aspekt bleibt letztlich formal", er ist nur eine sekundäre Ergänzung (134). Paulus nimmt alle diese Traditionsstücke nur auf, indem er sich von ihnen an theologisch zentraler Stelle abgrenzt, und kommt dabei "zu einer prinzipiellen Neuformulierung des theologischen Gedankens" (252). Hinsichtlich des Christus-Hymnus Phil 2,6-11, der in der ursprünglichen Form nach K. in seiner zweiten Strophe (Vv 9-11) "die Frage, wer Gott ist," beantwortet (nämlich von seinem Handeln an Jesus Christus her) (132), soll die paulinische Neuinterpretation durch die Hinzufügung von V 8c "ja zum Tode am Kreuz" erfolgen, durch die "die objektivierende Sichtweise des Hymnus" aufgebrochen wurde. Abgesehen davon, daß die Wendung V 8c durchaus nicht erst ein paulinischer Zusatz sein muß, trägt sie die Last, die K. ihr aufbürdet, nicht; daß der Tod, bis zu dem der Gehorsam Christi reichte, ein solcher am Kreuz war, wußte jeder, der mit dem Hymnus bekannte, auch wenn die besondere Betonung dessen, wie sie ­ von wem auch immer artikuliert ­ in V 8c vorliegt, einen eigenen Akzent setzt.

Gleichfalls schwer nachzuvollziehen ist, daß Paulus die ­ auch nach der Ansicht von K. unverändert aus der frühen Tradition übernommene ­ Bekenntnisformel 1Kor 8,6 durch die zwei einführenden Wort all´ hemin mit Blick auf die Theologie grundlegend neu interpretiert hätte: "Gott wird dadurch nicht lediglich als der durch Jesus Christus Wirkende, als dessen Vater und Schöpfer begriffen, wie es die traditionelle Formel zusammenstellte. Er ist nach paulinischem Verständnis der in Relation zu den Glaubenden stehende deus pro nobis" (151). K. sieht selbst, daß "der soteriologische Aspekt... auch innerhalb der Formel nicht (fehlt)", ausgedrückt in dem (doppelten!) hemeis, versucht das aber geradezu zu eleminieren durch den dekretierenden Satz: "Gleichwohl bleibt er dort eher formaler Art" (151; s. auch 251 f.). Die einleitenden zwei Wörter, mit denen Paulus das Zitat in seinen Text integriert, sind überhaupt schwerlich im soteriologischen Sinne des pro nobis zu interpretieren, sondern bezeichnen die Relation zu den Glaubenden (Schrage).

Für Paulus gibt es ­ nach K. ­ keinen anderen Gott als den in Christus heilvoll den Menschen mit sich in Beziehung setzenden. Alle Rede von Gott, die davon absieht, ist Ausdruck für "eine objektivierende, weltanschauliche Ansicht, die weder etwas über den, der sie äußert, noch konkret etwas von der inhaltlichen Substanz des Begriffs ´Gott´ verlauten läßt" (153). K. interpretiert Paulus mit radikaler Konsequenz in dieser Weise; das bedeutet, daß es keine vorlaufende relevante Geschichte dieses Gottes, insbesondere mit dem Volk Israel gibt. In der ausführlichen Erörterung von Röm 9-11 (210-237) tritt das besonders scharf hervor. Die Gaben, von denen Röm 9,4 spricht, sind nach K. solche, die Israel tatsächlich als Besitz erhalten hat; Heilsgaben aber oder Vorzüge sind sie nur nach dem Selbstverständnis Israels, "dieses Selbstverständnis teilt Paulus jedoch nicht" (212 A.11); sie "besitzen... für Paulus keinerlei soteriologische Relevanz" (212). Das bedeutet für das Gottesverständnis: "Gott ist für Paulus nicht über sein Handeln in der Geschichte Israels zu definieren" (213). Konsequent folgt daraus weiter: "Sie (sc. die Juden) reden nicht von Gott" (kursiv bei K., 222; fast gleichlautend 236, s. ferner 243-247). Und das gilt dann auch vom Alten Testament; in ihm begegnet der jüdisch interpretierte Gott; Paulus aber zieht das Alte Testament (konkret Dt 29,3 in Rm 11,8) "entgegen dessen eigentlichem Gottesverständnis für seine eigene theologische Begründung heran" (228).

Damit dürfte die paulinische Theologie fundamental mißdeutet, dem Abschnit Röm 9-11 geradezu das Genick gebrochen sein. Es ist gewiß kein Zufall, daß 1Kor 10,1-11, bes. V 4, von K. nicht einmal erwähnt, geschweige denn diskutiert wird. Aber auch der paulinische Bezug auf Abraham Röm 4 und Gal 3,15-18 kommt kaum in den Blick; Röm 4,17 nur im Zusammenhang mit der vor- bzw. nebenpaulinischen Tradition (für Paulus kann sich Abrahams Glauben "schon aus chronologischen Gründen nicht auf den Gott beziehen..., der Jesus von den Toten auferweckte", 133); hinsichtlich Gal 3,15-18 räumt K. freilich ein, "daß die Verheißungen Abraham und Christus gelten", doch geschieht das ganz beiläufig und ohne weitere Reflexion darauf.

Obwohl, wie im Vorangehenden herausgestellt, K. nach meinem Urteil die Theologie des Paulus grundlegend verfehlt, ist das Buch durchaus lesenswert und enthält wichtige Einsichten. Das gilt freilich kaum für den dritten Teil, der "das Gottesverständnis in jüdischen Schriften der hellenistisch-römischen Zeit" behandelt und diesem Gegenstand denn doch wohl nicht zureichend gerecht wird. Wohl aber ist der zum Thema hinführende zweite Teil "Der Stand der Forschung und die Fragestellung" informativ und anregend. Bei der Analyse aller ntl. Texte, die in den Teilen 4 ("Das Gottesverständnis in den vorpaulinischen Traditionen") und 5 ("Die Rede von Gott bei Paulus") behandelt werden, wird überzeugend die durchgehende christologische Erschließung der Wirklichkeit Gottes durch die frühe Gemeinde und Paulus sichtbar gemacht. Die Herauslösung dieser Wirklichkeit Gottes aus jeder Kontinuität der Gottesgeschichte und die Auflösung des Gottesbegriffs in eine Funktion ("Gott ist für Paulus die durch Christus Gestalt und Inhalt gewinnende Gottesbeziehung", 244), das ist freilich eine Fehlinterpretation solcher Einsicht, die das Denken des Paulus bestimmten modernen Kategorien unterwirft, die ihm ganz fremd sein mußten. Gewiß kann man das jüdisch-frühchristliche Gottesverständnis ­ was K. so freilich nicht tut ­ in dieser Weise zusammenfassen; Gott ist als Handelnder. Aber dieser Handelnde ist deshalb Gott, weil er als Schöpfer handelt. Daß er in der Christus-Geschichte ­ und allein in ihr ­ eschatologisch, d. h. endgültig gehandelt hat, hebt das nicht auf, auch wenn es alles vorlaufende Handeln endgültig definiert. Der Schöpfergott und der Erlösergott sind miteinander identisch; gerade auch das ist Inhalt des Bekenntnisses zu dem Einen Gott.

Der Vf. hat auf ein wichtiges, vernachlässigtes Thema aufmerksam gemacht. Es hat besondere Bedeutung für die gegenwärtige Diskussion um eine Biblische Theologie des Neuen Testaments.