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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1106–1107

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Frettlöh, Magdalene L.

Titel/Untertitel:

Gott Gewicht geben. Bausteine einer ge­schlechtergerechten Gotteslehre.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. XV, 368 S. 8°. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-7887-2072-8.

Rezensent:

Katrin Gelder

Die Studie von Magdalene Frettlöh stellt die überarbeitete Fassung ihrer Habilitationsschrift im Fach Systematische Theologie dar, die im Wintersemester 2003/2004 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum angenommen wurde.
Der Titel ist zugleich Programm. Auf dem Hintergrund dessen, dass in der evangelischen Theologie der zurückliegenden Jahrzehnte die Liebe Gottes im Sinne eines »lieben Gottes« im Vordergrund stand, ist das Ziel dieser Studie, die kavod Gottes, verstanden als Gottes Schwere, zur Geltung zu bringen – und zwar zur Ehre Gottes und des Menschen. In Barthianischer Tradition versteht F. ihr kavodologisches Reden von Gott als Antwort auf das Wort Gottes. Aus erkenntnistheoretischen Gründen spricht sie bescheidener als von einer Gotteslehre von Bausteinen für eine solche. Zu diesen Bausteinen gehören eine kritische Re-Vision der Rede von der Herrlichkeit Gottes als Beitrag zur Lehre von Gottes Eigenschaften, die Entfaltung des Bilderverbotes sowie Überlegungen zu einem ge­schlechtergerechten und geschlechtsspezifischen Reden von Gott.
F. verortet ihren Denkweg in der Tradition der das Subjekt ganz neu gewichtenden erkenntnistheoretischen Wende der 20er Jahre des 20. Jh.s. Auf dieser Linie setzt sie unter der Überschrift »Verwunde[r]nde Begegnung – nachhinkende Erkenntnis« mit einer Relektüre der Geschichte von Jakobs Kampf am Jabbok im Gespräch mit Karl Barths Wahrnehmung theologischer Existenz ein. Sie entwi­ckelt dabei das »GotteslehrerIn sein« als Zusammenspiel von Profession und Konfession, letztere verstanden als »Bekenntnis der eigenen Lebensverbindlichkeiten« (8).
Daran schließen sich unter dem Titel »Göttlichkeit von Gewicht« Untersuchungen zur kavod Gottes an. Sie beginnen mit einer Problematisierung der Rede von der Herrlichkeit Gottes, insofern im Wort »Herr« – als Übersetzung von adonai – Gott und Mann un­unterscheidbar werden und damit diese Gottesbenennung mit dem Bilderverbot in Konflikt gerate. In kritischer Auseinandersetzung mit feministischer Sprachkritik und deren theologischer Rezeption kommt F. zu dem Ergebnis, dass einseitig weibliche genauso wie einseitig männliche Rede von Gott zu Pro­jektionen verleite, die gegen das Bilderverbot verstoßen. Deshalb schlägt sie in Anlehnung an Luise Pusch vor, sowohl »die Gott« als auch »der Gott« zu sagen. Im Gespräch mit dogmatischen Entwürfen, die dem Attribut der Herrlichkeit eine hervorgehobene Bedeutung für die Rede von Gott zusprechen, stellt sie ein Festhalten an der Herrschaftsterminologie ebenso in Frage wie einen völligen Verzicht auf deren intendierten Inhalt. Dabei nimmt F. die hermeneutischen Überlegungen von Albrecht Grözinger auf, denen zufolge die Begegnung mit der Tradition in unserer nachtraditionalen Gesellschaft zur Begegnung mit dem Fremden, Un-gehörten und Un-erhörten wird. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die biblischen Phänomene, die als kavod bezeichnet werden, nicht angemessen auf einen Begriff zu bringen sind; vielmehr stellen insbesondere der Glanz, die Schönheit und die Freude Gottes wesentliche Konnotationen dar. In kritischer Auseinandersetzung mit W. Krötkes Lehre von den Klarheiten Gottes plädiert sie »für einen Rest an Verborgenheit im Vorletzten« (148).
In einem dritten Teil entfaltet F., dass ein kavodologisches Re­den von Gott eine geschlechtergerechte Sprache erfordere. Dabei wird ihre Auslegung von Gen 2,21 f. wegweisend, derzufolge Frau und Mann »gleichzeitig« aus dem einen Menschen geschaffen« werden (165). Um im Sinne des Bilderverbotes irreführende Projektionen auf Gott zu vermeiden, sei es erforderlich, die Vielfalt der alttestamentlichen Rede von Gott in männlichen und weiblichen Bildern aufzugreifen und dabei die Metapher nicht zu vergessen: Vater und Mutter müssen »Fremdworte« für Gott bleiben (231). Es sei metaphorisch konkret und menschlich ohne duale Geschlechtertypologien von Gott zu reden. F. entwickelt dieses Er­gebnis in kritischer Auseinandersetzung mit Positionen und Argumenten gegenwärtiger Dogmatik, namentlich mit K. Berger, W. Härle, D. Korsch und W. Pannenberg sowie im Gespräch mit Elias Canetti: »Zum Gegenbildcharakter angemessener Gottesbilder gehört nicht zuletzt, dass es Bilder sind, die nicht nur in uns existieren, die uns vielmehr gegenüber- und entgegenstehen können müssen« (241). Auf dieser Linie entfaltet F. unter Relektüre von Jes 46,3 f. die »Mutterschößigkeit« Gottes als »menschliches Gottesbild unter göttlichem Vorbehalt« (321). Von der Überzeugung geleitet, dass die kritische und befreiende Kraft des Bilderverbots »in den Bilddiskursen außerhalb der Kirchenmauern« gegenwärtig viel heller aufleuchte als innerhalb von ihnen (154), schließt sie mit einem Rekurs auf die Bilder von Mark Rothko als »›ausgemalte[m]‹ Bilderverbot« (329).
F.s Kavodologie stellt einen überzeugenden Beitrag zu einer zeitgemäßen Gotteslehre dar, die das Defizit einer »theologia light« erkannt hat. Aus lutherischer Perspektive aber ist ihre Auslegung des Bilderverbots ebenso gewöhnungsbedürftig wie ihre Rede von der Mutterschößigkeit Gottes als möglicher Unmöglichkeit, von Gott zu reden.