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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1095–1097

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schüßler, Werner u. Erdmann Sturm

Titel/Untertitel:

Paul Tillich. Leben – Werk – Wirkung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. X, 278 S. u. 8 S. m. 12 Abb. 8°. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-534-16509-4.

Rezensent:

Dirk-Martin Grube

Schüßler und Sturm, die zu den angesehensten Experten auf dem Gebiet der Tillich-Forschung gehören, haben mit diesem Buch eine sehr gelungene Einführung in die Theologie und Philosophie Paul Tillichs vorgelegt. Es gibt zentrale Gesichtspunkte von Tillichs Theologie in verständlicher Weise wieder und geht auch auf dessen Wirkungsgeschichte ein.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Der erste Teil, Leben, ist relativ kurz (3–25), der zweite Teil, Werk, ist der umfangreichste (29–211), der dritte Teil, Wirkung, ist wiederum etwas kürzer (215–258). Aus der Feder von Schüßler stammen die §§ 1.2.3.9 und 10 des zweiten Teils, Sturm hat den ersten Teil, die §§ 4.5.6.7.8.11 und 12 des zweiten Teils und den dritten Teil verfasst. Die Übergänge zwischen den Texten der Autoren erfolgen weitgehend bruchlos. Im Anhang findet sich neben einer Bibliographie auch ein Personen- und Sachregister.
Der erste Teil befasst sich in elf Paragraphen mit Tillichs Biographie. Außer § 1 (»Zwischen Schwermut und Lebensfreude«), in dem ganz kurz Tillichs Jahre bis zu seiner Studienzeit beschrieben werden, geben die anderen zehn Paragraphen die wichtigsten Ab­schnitte aus Tillichs Leben unterteilt in Zeitspannen zwischen vier bis zwölf Jahren wieder. Auffällig dabei ist, dass die meisten Zeitabschnitte an bestimmte Inhalte gekoppelt werden, wie schon durch die Überschriften deutlich wird (vgl. z. B. § 6, der überschrieben ist »Gläubiger Realismus [Marburg und Dresden, 1924–1929]«). Be­sonders herauszuheben ist dabei ferner § 8, der auf die Jahre 1933–1945 eingeht: Hier wird Tillichs nicht einfache Beziehung zu Thomas Mann beschrieben (vgl. dazu 19 f.; im Gegensatz zu Tillich hielt Mann es für unangebracht, den USA Ratschläge zu erteilen, wie sie mit dem unterworfenen Deutschland umzugehen haben).
Im zweiten Teil wird in zwölf Paragraphen Tillichs Schaffen dargestellt. Diese Paragraphen beziehen sich unter anderem auf Tillichs (Religions)philosophie (§§ 1 und 2), seine Kulturtheologie (§ 3), Existentialismus, Psychoanalyse, Theologie des Heilens (§ 4), Ethik (§ 7), Tillichs Schriften (§ 10, Religiöse Schriften, § 11, Systematische Theologie) und seine Predigten (§ 12). Hier zeigt sich besonders der souveräne Umgang der beiden Autoren mit dem komplexen Material: Es gelingt ihnen, die Fülle des Materials sinnvoll zu ordnen und dabei verständlich darzustellen. Trotz der notwendigen Be­schränkung der einzelnen thematischen Darstellungen können diese aber auch gewinnbringend für die wissenschaftliche Weiterarbeit verwendet werden. Beispielhaft seien dafür die §§ 8, zum Protestantischen Prinzip (Sturm), und 9, zu Tillichs religionstheologischer Annäherung an den interreligiösen Dialog (Schüßler), genannt. Selbstverständlich enthält die Auswahl und Ordnung der Themen ein subjektives Element. So hätte man zum Beispiel auch Tillichs Erkenntnistheorie angesichts ihres grundlegenden Charakters einen eigenen Paragraphen widmen und noch einmal kritisch nachfragen können, ob diese nicht doch Tillichs Denken mehr prägt, als er selbst wahrhaben will (vgl. dazu 34). Dafür hätte man zum Beispiel die §§ 5, Geschichtsphilosophie, und 6, Religiöser Sozialismus, in einen Paragraphen zusam­menziehen können. Doch im Großen und Ganzen leuchtet die Wahl der Themen ein. Vor allem entsteht durch diese Auswahl ein in sich stimmiger und lehrreicher Gesamtüberblick.
Der dritte Teil enthält eine systematische Übersicht der Wirkungsgeschichte Tillichs. Nach einer allgemeinen Reflexion über die Gründe für Tillichs Breitenwirkung (§ 1, »Paul Tillich als charismatischer Lehrer«) und seine Schwierigkeiten, in der deutschen Vorkriegstheologie Fuß zu fassen (§ 2, »ein produktiver Geist, aber kein eigentlich wissenschaftlicher Kopf«), wird in § 3 auf seine Spätwirkung in Deutschland eingegangen. Bemerkenswert ist dabei die Aussage, dass sich Tillichs Wirkung in der evangelischen Theologie »vor allem in der Praktischen Theologie und in der Religionspädagogik, in der Sozialethik und gelegentlich auch in der Systematischen und Ökumenischen Theologie« (223, meine Betonung) manifestiert hat. Die Analyse von Tillichs Einfluss auf die katholische Theologie (§ 10) wird denn auch mit der Bewertung abgeschlossen, dass Tillich größeren Einfluss auf die katholische als auf die protestantische Theologie ausgeübt hat (vgl. 252).
Nach einer Beschreibung von Tillichs Einfluss auf die katholische und evangelische Religionspädagogik in Deutschland (§ 4) folgt die Wiedergabe einem geographischen Einteilungsprinzip: Zunächst wird Tillichs Wirkung in den USA in § 5 relativ kurz beschrieben (235–238), danach sein Einfluss in den frankophonen Ländern und Italien (§ 6), in Lateinamerika (§ 7), in Russland (§ 8) und in Afrika und Asien (§ 9). Zum Abschluss wird das geographische Einteilungsprinzip wieder verlassen, um auf Tillichs (zum Teil sehr kritische) Rezeption in der feministischen Theologie (§ 11) und (kurz) auf seine Bedeutung für die Weiterführung des interreligiösen Dialogs (§ 12) einzugehen. Diese systematische Übersicht über die Wirkungsgeschichte Tillichs stellt meines Wissens Neuland dar und ist außerordentlich hilfreich für die Weiterarbeit an Tillich.
Die Autoren haben sich drei Ziele gestellt: Sie wollen erstens eine in verständlicher Sprache geschriebene Einführung in das philosophisch-theologische Denken Tillichs bieten, zweitens wollen sie sich auf das Wesentliche beschränken, drittens den neuesten Stand der Tillich-Forschung wiedergeben (vgl. Vorwort). Alle drei Ziele sind mit diesem Buch erreicht worden: Hier werden auf 230 Seiten die wesentlichsten Aspekte von Tillichs Ansatz und dessen Wirkung auf dem neuesten Stand der Forschung verständlich dargestellt. Dass dabei immer Lücken bleiben (vgl. die Bemerkung der Autoren im Vorwort) ist angesichts der Fülle der Sekundärliteratur zu Tillich und deren weltweiter Verbreitung nicht weiter verwunderlich.
Alles in allem ist dieses Buch sehr empfehlenswert. Es fasst auf übersichtliche Weise die Kernpunkte von Tillichs Werk zusammen und eignet sich damit auch als Nachschlagewerk (hilfreich ist dabei auch die Bibliographie, 261–271). Auf Grund seines verständlichen Stils eignet es sich auch zur Lektüre für Laien, sofern sie über gewisse philosophische und theologische Grundkenntnisse verfügen. Für die Forschung besteht sein Wert darin, dass es für Orientierungszwecke über den neuesten Stand der Forschung verwendet werden kann und Anregungen für die Weiterarbeit liefert (insbesondere in Teil 3). Vor allem in Teil 2 finden sich auch eigene, profilierte Standpunkte, die sich zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung anbieten.
Auch für die Lehre eignet sich dieses Buch sehr gut: Für Studierende, die anfangen, sich mit Tillich zu beschäftigen, kann es als Textgrundlage dienen, die einen guten Gesamtüberblick über Tillich verschafft. Für Studierende, die sich vertieft mit Tillich auseinandersetzen, kann es als Begleitmaterial fungieren, wobei auch hier manche Paragraphen aus Teil 2 und 3 als eigentliche Textgrundlage verwendet werden können. – Wünschenswert wären außerdem möglichst baldige Übersetzungen des Buches.