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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1081–1083

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Aronson, Torbjörn

Titel/Untertitel:

Den unge Manfred Björkquist. Hur en vision av kristendomens möte med kultur och samhälle växer fram.

Verlag:

Uppsala: Uppsala Universitet 2008. 342 S. gr.8° = Acta Universitatis Upsaliensis, 44. Kart. ISBN 978-91-554-7299-3.

Rezensent:

Martin Friedrich

Über Manfred Björkquist (1884–1985), Gründer der kirchlichen Akademie in Sigtuna und erster Bischof des Bistums Stockholm, gibt es (erstaunlicherweise) einen Artikel in der TRE, aber es gab bis zum vorigen Jahr praktisch keine Forschungsliteratur. Erst 2008 erschienen fast zeitgleich ein umfangreicher Sammelband zu seinem Leben und Werk (Manfred Björkquist – visionär och kyrkoledare, red. Vivi-Ann Grönqvist) sowie die zu besprechende kirchenhistorische Dissertation. Die Veröffentlichungen ergänzen sich, denn auch A., der schon zum Sammelband beitrug, würdigt Björkquist als Visionär und Kirchenführer, als »die vielleicht wichtigste Führergestalt« (12) der Jungkirchenbewegung, die in der ersten Hälfte des 20. Jh.s einen enormen Einfluss in der Kirche Schwedens ausübte.
A. konzentriert sich jedoch auf die Jahre bis 1910, als Björkquist seine erste berufliche Stelle als Leiter einer kirchlichen Volkshochschule in seiner nordschwedischen Heimat antrat. So kann er nur die ersten seiner weitgespannten Initiativen nachzeichnen, die Björkquist noch als Student ergriff. A.s These ist aber, dass die den Projekten zu Grunde liegende Vision einer Begegnung des Chris­tentums mit Gesellschaft und Kultur bereits 1908 im Wesentlichen formuliert war, und seine Fragestellung ist daher, wie diese Vision entstand und wie sie zu beschreiben und zu bewerten ist. Er kombiniert also biographische und ideengeschichtliche Ansätze und hat eine ansprechende und in weiten Teilen überzeugende Arbeit vorgelegt.
Ausführlich beschäftigt sich A. zuerst mit Björkquists Vater, der als Pfarrer fest im lutherischen Konfessionalismus verankert war, aber auch für die Missionsgesellschaft und den Gemeindeaufbau eintrat. Björkquist war in all diese Aktivitäten eingespannt, leitete als Kind schon eine Missionsgruppe und war auf dem Gymnasium in weiteren Gruppen engagiert. A., der hier den Nachlass bis hin zu Schulaufsätzen intensiv auswertet, kann so den Wurzelboden zeigen, der auch, so die These, in Björkquists Denken bedeutend blieb. Im Studium traten weitere Einflüsse hinzu: nach A. vor allem die idealistische Philosophie seiner Lehrer aus Uppsala sowie Rudolf Euckens, den er in Jena ein Semester lang hörte und dessen Olaus-Petri-Vorlesungen er übersetzte, dazu Axel Hägerström, der ihn mit sozialistischem Denken bekannt machte, und Vertreter der angelsächsischen Erweckungsbewegung wie John R. Mott und Ruth Rouse. Da Björkquist nicht Theologie studierte (erst nach seiner Wahl zum Bischof wurde er ordiniert!), möchte A. die Einflüsse der Uppsalatheologen Nathan Söderblom, Einar Billing und J. A. Eklund geringer ansetzen. Aber natürlich war er in den christlichen Studentenvereinigungen aktiv, und so gab es auch dauernde Berührungen mit diesem großen Triumvirat und seinen theologischen Gedanken etwa zur religiösen Persönlichkeit, zur Versöhnung und zur Volkskirche. In einer Analyse der Examensarbeiten (über das Ziel des Religionsunterrichts sowie über Euckens Lehre vom Geistesleben), vor allem aber einer programmatischen Rede vom Herbst 1908 und einer Broschüre von 1909, arbeitet A. die Vision heraus, der Björkquist von nun an verpflichtet blieb. Sie führte ihn gleich dazu, mit der Organisation von »Kreuzzügen« (Evangelisationsreisen von Studenten) und kirchlichen Jugendcamps sowie der Gründung einer Zeitschrift und einer Volkshochschule die ersten Projekte zu beginnen, in denen sich die Jungkirchenbewegung als bedeutende Erneuerungsbewegung manifestierte.
A.s genauere Beschreibung von Björkquists Vision, vor dem Hintergrund der kirchlich-gesellschaftlichen Situation und unter Verwendung des Schemas von Richard Niebuhr über das Verhältnis von Christentum und Kultur, muss ich hier nicht referieren, denn sie ist in der englischen Zusammenfassung (vgl. besonders 295–299) gut zugänglich. Stattdessen sei doch noch auf einige Probleme hingewiesen. Zweifellos hat A. eine gründlich gearbeitete Untersuchung vorgelegt, die unsere Kenntnis in vielen Stücken erweitert. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Herangehensweise wirklich die dem Gegenstand angemessenste war. Da es über die Jungkirchenbewegung schon eine umfangreiche Literatur gibt, zeigt A. zwar an einigen Beispielen, wie Björkquist auch ihre Formierung vorantrieb, aber er präsentiert doch eigentlich kein neues Bild dieser Bewegung. Ihm ging es um Björkquist als Visionär. Aber die entscheidende Frage ist doch: War dieser wirklich ein eigenständiger Denker und somit an der Seite der drei anderen der »Inspirator« (207) der Jungkirchenbewegung oder war er doch nur ihr großer Organisator, der die Gedanken anderer popularisierte? A. unterstreicht, dass er kein Epigone von Söderblom, Billing und Eklund gewesen sei (286), und ist bemüht, seine theologische Eigenständigkeit nachzuweisen. Aber hier ist sicher noch einmal eine gründliche Vergleichsarbeit zu leisten, die A. nur ansatzweise bietet. Die Veröffentlichungen von 1908/09 sind doch nur knappe Skizzen eines Programms, das in ähnlicher Weise auch in den größeren Werken wie den Vorträgen der drei Erneuerer der schwedischen Theologie erscheint. Was A. an weiteren Einflüssen aufweisen will, hat sicher seine Bedeutung, wird aber von Björkquist entweder (soweit es um die Philosophie geht, in der er gewiss kein durchdringender Denker war) nicht wirklich mit den anderen Ansätzen verschmolzen oder ist (soweit es um die schon vor der Studienzeit wirksamen Impulse geht) auch bei den anderen Denkern untergründig vorhanden.
Ein nächstes Problem ergibt sich paradoxerweise aus der sehr quellennahen Arbeitsweise. A. führt seine Analysen an einzelnen Texten durch und belegt sie zum Teil mit ausführlichen Zitaten. Das macht seine Argumentation gut nachvollziehbar, aber es führt gewissermaßen zur Atomisierung von Björkquists Konzept. So stellt er bei der Analyse der Schrift von 1909 fest, dass der »Nationalismus dem christlichen Universalismus untergeordnet« werde (225). Aber kann man aus dem Fehlen eines deutlichen nationalistischen Akzents in dieser kleinen Schrift folgern, dass er für Björkquist nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe? Ist es plausibel, dass er als Hauptinitiator einer Sammlung für die Stärkung der Landesverteidigung »gegen seinen Willen« (226) mit dem politischen Nationalismus eine gemeinsame Front machte? Erst in der Zusammenfassung hebt A. die nationale Komponente deutlicher hervor (281.283).
Ein weiteres Manko ergibt sich daraus, dass A. praktisch keine deutschsprachige Literatur benutzt. Björkquist war, wie das schwedische Geistesleben seiner Zeit insgesamt, sehr stark von deutscher Theologie und Philosophie geprägt. Hier haben die letzten Jahrzehnte jedoch einen Traditionsabbruch gebracht. A. ist nicht mehr in der Lage, deutschsprachige Aufzeichnungen von Björkquist richtig zu transskribieren (107, Anm. 2), und kann daher auch von den ihn bestimmenden Kräften kein klares Bild zeichnen. Für das Neuluthertum und Ritschl etwa führt er nur veraltete schwedische Literatur an, für Eucken hat er nicht einmal die gefunden und gibt daher nur eine sehr oberflächliche Darstellung. Das ist zu bedauern – aber es gibt zugleich Gelegenheit zu Anschluss­untersuchungen von deutscher Seite.