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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1072–1075

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kaufmann, Thomas,Schubert, Anselm, u. Kaspar von Greyerz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Frühneuzeitliche Konfessionskulturen. I. Nachwuchstagung des VRG Wittenberg 30.09.–02.10.2004.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2008. 384 S. m. Abb. 8° = Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 207. Kart. EUR 49,95. ISBN 978-3-579-05763-7.

Rezensent:

Christopher Voigt-Goy

Dem nach wie vor die historische Frühneuzeitforschung be­herr­schenden Konfessionalisierungsparadigma tritt jüngst immer wieder der Begriff der ›Konfessionskultur‹ zur Seite. Der Klappen­text des hier anzuzeigenden Bandes weist ihn als eine Perspektivenerweiterung aus: Durch ihn soll »die Vielfalt der Formen in den Blick genommen werden, in denen sich Konfession als soziale Realität manifestierte«. In diesem beschreibenden Sinn des Begriffs der ›Konfessionskultur‹ versammelt der Band 15 Beiträge, die auf die erste Nachwuchstagung des Vereins für Reformationsgeschichte aus dem Jahr 2004 zurückgehen. Die Dokumentation konfessioneller Vielfalt gelingt dabei so eindrucksvoll, dass die Gliederung des Bandes in drei Abschnitte etwas künstlich wirkt. Das tut der durchweg hohen Qualität der Einzelbeiträge freilich keinen Abbruch, die dem Charakter ihrer Tagung nach die ganze Bandbreite von Forschungsstadien abdecken, also von der quellengesättigten Rück­schau auf ein gerade abgeschlossenes Projekt bis zum exposéhaften Werkstattbericht reichen.
Der erste Abschnitt des Bandes, ›Nationale und politische Kontexte der Konfessionalisierung‹, umfasst drei Beiträge und eröffnet mit einem der besten des ganzen Bandes: Alexander Schmidt legt dar (»Konfession und nationales Vaterland«, 13–48), wie die Altgläubigen in Reaktion auf die »protestantische Inanspruchnahme des Reichs als Vaterland deutscher Nation« (15) patriotisches Vokabular selbst nur mit vorsichtigem Vorbehalt benutzten und ihren Patriotismus »ex negativo« (45) formulierten. Überzeugend arbeitet Schmidt die katholische Verklammerung von Kaiser und Papst zusammen mit dem Vorwurf der Vaterlandsschädigung durch Luther (und die Calvinisten) als Grundmuster für die bis in das 19. Jh. reichenden nationalkatholischen Diskurse heraus. Nicht die ideologische Konfrontation, sondern die politische Kooperation zwischen Katholiken und Protestanten nimmt Richard Ninnes in den Blick (»Imperial Knights and Confessional Cooperation in the Prince-Bishopric of Bamberg (1555–1648)«, 49–67), an der sich die Fragilität der reichsrechtlichen Friedensordnung konkretisiert. Die stabile Verbindung von Konfession und Familie schildert Julian Kümmerle anhand von sechs protestantischen Theologen- und Juristenfamilien aus dem Alten Reich, der Schweiz und Frankreich (»Konfessionalität und Gelehrtenkultur im Generationenverband«, 69–97). Wie der informative Überblick über die protestantischen Familiendynastien die vehemente Kritik an einer mit »pejorativen Urteilen vom preußischen Kulturprotestantismus« kombinierten »exklusive[n] Meisterdenker-Perspektive« (94) motiviert, bleibt un­klar.
Der zweite Abschnitt ist mit ›Grenzen der Konfessionalität‹ über­schrieben. Nachgerade wörtlich wird die Überschrift bei James Blake­ley genommen (»Confronting the Reformation: Popular Reaction to religious change in the Pays de Vaud«, 101–117), indem er zeigt, wie an der Grenze zwischen dem evangelischen Bern und dem katholischen Fribourg altgläubige Anhänglichkeiten dem reformatorischen Umformungswillen lange Zeit widerstanden. Ein an­spruchsvolles Programm der ›Konfessionskultur‹ verfolgt Regina Toepfer in ihrem höchst aufschlussreichen Beitrag (»Konfessionelle Lektüre«, 119–136). Anhand der volkssprachlichen Rezeption von Basilius von Caesarea zeichnet sie die unterschiedlichen ›Formgebungsprozesse‹ (T. Kaufmann) nach, durch die Basilius den konfessionellen Kontexten eingepasst wurde: Neben eine allgemeine Linie der Rezeption, in welcher der Asketismus von Basilius in gesellschaftsmoralische Ordnungsmaximen diffundierte, stellt Toepfer die lutherische Vereinnahmung des Basilius als Exempel standhaften Glaubens. Dagegen wandte sich die katholische Deutung, die Basilius zur antiprotestantischen Kirchenvaterautorität ausbaute, die – so der Katholik Georg Witzel – den wahren Kirchen glaube lehre: »Ergo non sola fide« (133). Die dazu wohl nötige Eingewöhnung in die katholische Konfessionskultur durch Unterricht und das Vorbild der Ordensschwestern boten auch katho­lische Mädchenschulen an, denen sich Andreas Rutz widmet (»Man wird euch lehren, zu gleicher Zeit für Gott und für die Welt zu leben«, 137–151). Die letzten Beiträge dieses Abschnitt sind dann wieder ›protestantisch‹ orientiert: Heike Bock legt eine Rekonstruktion von Konversionserzählungen vor, die sie aus Bittschriften gewinnt, die zur reformierten Konfession konvertierte Katholiken zwecks Aufnahme in Zürich im 17. und 18. Jh. verfassten (»Konversion: Motive, Argumente und Normen«, 153–174). Bock plädiert für einen ›deskriptiven Konversionsbegriff‹, für den die Traditionen der Konversionserzählungen nicht wesentlich zu sein scheinen. Etwas stärker betont Alexander Schunka die Traditionsbildung protestantischer Exilliteratur durch John Fox, sein Augenmerk gilt allerdings dem von Böhmischen Exulanten verfassten Schrifttum (»Constantia im Martyrium«, 175–200). Haben die beiden zuletzt genannten Beiträge sich ›Ego-Dokumenten‹ verschrieben, tritt mit dem Beitrag von Astrid von Schlachta das ›Netzwerk‹ in den Vordergrund (»Als ob man uns von engeln gottes saget«, 201–222). Internationale Verbindungen und Informationskanäle täuferischer Gruppierungen vor allem durch Briefwechsel werden sorgfältig kartographiert und in ihren Wechselbeziehungen beleuchtet.
Im dritten Abschnitt, ›Gelehrte Konfessionskultur‹ – eigentümlicherweise im Singular gesetzt –, bekommt der Leser dann auch etwas zum Anschauen. Elsa Kammer (»Schnittstelle Bibeldruck«, 225–248) gibt einen schönen Einblick in die ›Lyoner Renaissance‹, in der die Bibelproduktion eine »Neuorientierung der Bibellektüre« (241) durch Zusammenführung von Nürnberger Holzschnittillus­trationen und humanistischen Bibelerklärungen eröffnete. Dies ist ebenso mit Abbildungen versehen wie die Beiträge von Margit Kern (»Perfomative Schriftbilder im konfessionellen Zeitalter: Die Wende der Reformation vom Wort zum Bild«, 263–288) und Ulrich Schöntube (»Transkonfessionalität und Konfessionskonformität am Beispiel literarischer Quellen von Emporenbilderzyklen der Region des Kurfürstentums Brandenburg«, 347–374). Kern geht vor allem auf die Funktionsweisen von beschrifteten Bildern ein und lenkt den Blick des Lesers gekonnt durch die Abbildungen. Schöntube hebt hervor, dass in den Kirchen die Erklärung theologischer Sinnbilder an die jeweilige Konfession angelehnt ist, die Erklärung biblischer Bilderzyklen hingegen nicht konfessionell eindeutig zuzuordnen ist. Weitere ›Hingucker‹ bietet der Sammelband nicht. Greta Grace Kroeker legt Beispiele für Erasmus’ sich verändernde Exegese des Römerbriefes dar (»Erasmus and the Freedom of Will«, 249–261). Matthias Pohlig nimmt sich die lutherischen Apokalypsenkommentare als Geschichtsschreibung vor (»Exegese und His­toriographie«, 289–317). Die Exegese kommt dabei über mehr als die »(wenn auch vage) Herstellung einer historischen Linie von Chris­tus bis zur lutherischen Gegenwart« als Grundmuster lutherischer Identitätsbildung (317) kaum hinaus; dennoch entwickelt Pohlig am Gesamtdiskurs die These einer »starken Naherwartung ... re­lativ unabhängig von unmittelbaren Ereignissen« (316). Maciej Ptaszynski schließlich geht am Beispiel Pommerns dem offenbar beträchtlichen Einfluss von Pfarrwitwen auf die Wiederbesetzung der Pfarrstellen ihrer verstorbenen Männer sozialgeschichtlich aufschlussreich nach (»›... was für große sorge und mühe ein heiliger ehestandt wehre‹ (1599). Zur Lebenssituation der Pfarrwitwen am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts in Pommern«, 319–345). Der Band wird mit einem Orts- und Namenregister be­schlossen.
Es ist also alles in allem ein sehr bunter Blumenstrauß, den dieser Band bindet, und das hier vorgelegte Florilegium kann natürlich nur oberflächlich die, das sei noch einmal betont, für sich immer aufschlussreichen Beiträge charakterisieren. Doch wer einen Einblick gewinnen möchte, worüber mit welchem Spezialisierungsgrad derzeit im Rahmen der Konfessionalisierungsdebatte diskutiert wird, kann gewinnbringend zu diesem Sammelband greifen. Über die auffällige Randständigkeit explizit theologischer Debatten und kirchlich-institutioneller Fragen in diesem Band mag man ebenso stolpern wie über die eigentümlich unangebundene Schilderung vieler der hier versammelten Phänomene an die Kultur mittelalterlicher kirchlicher Katholizität. In dieser Hinsicht folgt der Begriff der ›Konfessionskultur‹ jedenfalls (noch) weitgehend dem Konfessionalisierungsparadigma, zu dessen ergänzender Erweiterung er auftritt.