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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1066–1068

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Sigurd

Titel/Untertitel:

Krankenheilung.Untersuchungen zu Form, Sprache, traditionsgeschichtlichem Hintergrund und Aussage von Jak 5,13–18.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. X, 310 S. gr. 8°= Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 112. Geb. EUR 44,90. ISBN 978-3-7887-2142-8.

Rezensent:

Oda Wischmeyer

Die Studie ist eine Tübinger Dissertation, die bei Hermann Lichtenberger angefertigt wurde und nun in überarbeiteter Form vorliegt. Das Thema wird in sieben Kapiteln behandelt. Vier Exkurse vertiefen das Krankheitsthema historisch. Ein Literaturregister sowie Register zu Bibelstellen und Sachen sind beigefügt.
Kapitel I (7–24) legt eine plausible Gliederung der literarischen Einheit Jak 5,13–18 vor. K. betont den formalen Neueinsatz der Paraklese in V. 16a und sieht auch die selbständige Stellung von 16d richtig. Allerdings handelt es sich bei den Versen 16d–18c nicht um eine »Digressio« (14), sondern um ein Paradigma, das die Gestalt des Elia als eines erfolgreichen Beters für die Paraklese benutzt.
Kapitel II (25–56) ist der »Terminologie von Leiden und Krankheit in Jak 5,13–18« gewidmet (25) und trägt Wesentliches zur Se­mantik der Krankheit in der Gräzität bei. K. untersucht die einschlägigen Wortgruppen κακοπαθέω, ἀσθενέω und κάμνω. Während κακοπαθέω ein sehr weites und unspezifisches semantisches Profil hat und für allgemeines Leiden verwendet wird, lässt sich ἀσθενέω besonders in den neutestamentlichen Texten deutlich der körperlichen Krankheit zuordnen. Κάμνω schließlich steht in 5,15 für eine ernste körperliche Krankheit. Exkurs 1 (Die Ursache der Krankheit, 51–56) führt differenziert in das Erklärungsfeld von Krankheit ein, das von naturalistischen Erklärungen bis zur Verursachung durch Dämonen (synoptische Evangelien, tannaitisches Judentum) oder den Satan (jüdische Vorstellung, auch bei Paulus belegt) reicht.
Kapitel III (57–100) führt in die »Terminologie der Genesung und Heilung in Jak 5,13–16« (57) ein. Die einschlägigen Verben sind σῴζω, ἐγείρω und ἰάομαι. In einer sorgfältigen Analyse be­sonders antiker Heilungsberichte aus den großen Heilungszentren (vgl. dazu jetzt auch B. L. Wickkiser, Asclepios, Medicine, and the Politics of Healing in Fifth Century Greece, John Hopkins University Press 2008), aber auch der medizinischen Fachliteratur, weist K. nach, dass die Wendung σῴζω τὸν κάμνοντα »in Jak 5,15 entsprechend ihrer außerbiblischen Verwendung für die Heilung einer (physischen) Erkrankung steht« (76), und zwar, wie K. richtig sieht, einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Eine teilweise oder vollständige Spiritualisierung der Wendung lehnt K. ab. In seinem zweiten Exkurs (»Rettung« aus medizinischer und sozialer Perspektive, 61–63) gibt K. einen kurzen Einblick in die soziale Dimension von ernster Erkrankung in der Antike.
Für die Genesung gilt vor diesem Hintergrund: »In der Antike bedeutete körperliche Heilung also nicht nur die Wiedererlangung der Gesundheit, sondern aufgrund der kulturellen Rahmenbedingungen meist physische, psychische und soziale Rehabilitation«, also eine ganzheitliche Wie­derherstellung bzw. »Rettung« des Menschen« (63), ein Ergebnis, das sich allerdings nicht auf die Antike beschränken lässt. ’Εγείρω spielt »im Heilungsgeschehen Jesu und der Urgemeinde eine recht prominente Rolle … das Verb ist fester Bestandteil des ntl. Heilungsvokabulars« (83). K. versteht die Verbindung von σῴζω und ἐγείρω als »Verheißung körperlicher Heilung« in Jak 5 (83).’Iάομαι schließlich stellt »auch für einen ntl. Autor das deutlichste Wort zur Beschreibung göttlicher Heilung dar« (91). K. unterstreicht dies Ergebnis mit dem Exkurs 3 (Das Heilungsgeschehen in Jes 53; 91–95). In der Zusammenfassung von Kapitel III greift K. nochmals die eingangs diskutierte Fragestellung auf, ob die Heilung in Jak 5 als »körperliche, seelische, geistliche (im Sinne von Sündenvergebung) oder eschatologisch-soteriologische Aufrichtung der Kranken in der Gemeinde« zu verstehen sei, und formuliert als Ergebnis der semantischen Analysen das Verständnis des semantischen Feldes im Sinne körperlicher Krankheit und körperlicher Heilung. Und: »Die einheitliche Verwendung des antiken Heilungsvokabulars in Jak 5,14–16 zur Beschreibung physischer Genesung bestätigt damit in eindrücklicher Weise die im ersten Kapitel herausgearbeitete literarische Einheit der Perikope« (99).
Kapitel IV diskutiert »Die Funktion der Ältesten in Jak 5,14« (100–136). Die sorgfältigen Überlegungen K.s zur Herleitung des πρεσβύτερος-Begriffs und der frühchristlichen Ämterterminologie, besonders zu dem Verhältnis von πρεσβύτερος und ἐπίσκο­πος, können hier nicht dargestellt werden (beachte den kurzen, aber informativen Exkurs 4: »Die Essener und Heilung«, 111 f., Lit.). Dem nüchternen Ergebnis wird man aber zustimmen: »Die Verwendung des Begriffs πρεσβύτερος in Jak 5,14 impliziert … weder eine bestimmte Gemeindeordnung noch eine bestimmte Stellung oder Herkunft der Gemeindeältesten« (129). Es handelte sich bei dem Begriff »wie im antiken Judentum primär um einen Sammelbegriff für die unterschiedlichen leitenden Funktionen der Gemeinde und nicht um eine wohldefinierte Aufgabe«, d. h. um ein ›Amt‹ (131 f.). Es geht also weder um die ältesten (männlichen) Ge­mein­deglieder noch um Vertreter bestimmter Ämter. Für Jak 5,14 folgert K. daher: »Wesentlich einheitlicher als bisher angenommen stellen sich die ntl. Ältesten als aktive, persönlich und geistlich reife und daher mit Vorbildcharakter behaftete Gemeindeleiter dar« (134).

Sachlich ist diese Charakteristik plausibel, sprachlich allerdings unglücklich. K. schließt dies Kapitel mit der Feststellung: »D. h. die Ältesten der Gemeinde sind gewöhnlich die engagiertesten und daher wohl auch die effektivsten Beter der Gemeinde« (136), eine Überlegung, die sich wohl nur für den Jakobusbrief plausibel ma­chen lässt. Ich füge hinzu, dass der Jakobusbrief eine äußerst flache Gemeindeleitungshierarchie zeigt und dass hier gerade die eher diffuse Presbyterfunktion als einzige Leitungsfunktion erscheint, die Paulus selbst niemals benutzt, die aber in der Apostelgeschichte eine wichtige Rolle spielt. Diese – von K. ausführlich dargestellten – Sachverhalte könnten sich stärker, als bei ihm geschehen, für die Datierung und Lokalisierung des Jakobusbriefes auswerten lassen.

In Kapitel V kommt K. zur »Salbung mit Öl im Namen des Herrn« (137–199). Auf S. 137 zählt er die zahlreichen Herleitungsmöglichkeiten (einzige neutestamentliche Parallele Mk 6,13!) auf. Im Folgenden gibt er einen profunden Einblick in die Ölsalbung in der Antike, besonders im Alten Testament und im frühen Judentum. Für die neutestamentlichen Texte fügt er einen materialreichen Abschnitt über Heilmittel hinzu (174–182, Parallele zwischen Speichelverwendung bei Jesus und Salbung).

Zu Mk 6 bemerkt K.: »Unabhängig von der Frage, ob es sich hier um eine nachösterliche Tradition handelt, belegt die Attestierung der Ölsalbung im Krankheitsfall in Mk 6,13 neben Jak 5,14 die frühe Verbreitung der Praxis in der Urgemeinde (sic!) über den Kreis der Gemeinde(n) des Jak hinaus« (182). Der Jakobustext enthält anders als Mk 6 die Klausel »im Namen des Herrn«, die sich doch wohl eher auf die Salbung als auf das Gebet bezieht (K. bezieht auf S. 186 f. die Wendung auf beides). Richtig stellt K. fest, dass sich κύριος nicht eindeutig Gott selbst (LXX) oder Jesus zuordnen lässt. Allerdings scheint mir im Sinne der Differenzierungsleistung von Sprache Letzteres wahrscheinlicher (wäre ein Ritus »im Namen Gottes« selbst eigentlich notwendig?). Religionsgeschichtlich ordnet K. die Salbung im Umkreis Jesu ein: »Entsprechend ist eine traditionsgeschichtliche Verbindung zwischen der Heilungs- und Salbungspraxis Jesu und seiner Jünger und den Anweisungen in Jak 5,14 als wahrscheinlich anzusehen« (198). Sehr nützlich ist der Abschnitt über die Salbung in der Alten Kirche (192–195), der u. a. deutlich macht, dass Jak 5 bei der altkirchlichen Ölsalbung erst im 5. Jh. eine Rolle spielt (193).

Kapitel VI weist auf die Verbindung von »Glaube und Heilung« im Alten Testament und den Evangelien hin, um Jak 5,15 den notwendigen Kontext zu geben. Die Nähe zur synoptischen Tradition ist hier sehr deutlich: Die πίστις ist Vertrauen.
Kapitel VII stellt abschließend den Zusammenhang zwischen Gebet und Heilung dar. K. arbeitet sehr schön die semantisch und stilistisch intensive Darstellung des Gebets und seiner Wirkung in Jak insgesamt, besonders aber in Kapitel 5, heraus. Man hätte sich allerdings eine traditionsgeschichtliche Erörterung des Beispiels von Elia als eines großen Beters gewünscht (vgl. Lk 4,25).
In der Zusammenfassung der Ergebnisse (275–279) weist K. nochmals darauf hin, dass es sich in Jak 5 um körperliche Krankheit und um »die Verantwortung der gesamten Gemeinde für die Kranken« handelt. »Die Heilungsperikope Jak 5,13–18 (vereint) wesentliche Elemente atl.-jüdischer Frömmigkeit und urchristliche Heilungspraxis« (279).
K. hat eine grundsolide und hilfreiche Studie zum Jakobusbrief vorgelegt, die Jak 5,13–18 als einen Text exegesiert, der für verschiedene Bereiche des frühen Christentums – Krankheit, Heilung, Ge­meindefunktionen, Ölsalbung, Heilungsglaube und Gebet – von Bedeutung ist.