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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1063–1064

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Holtz, Traugott

Titel/Untertitel:

Die Offenbarung des Johannes. Übers. u. erklärt v. T. Holtz. Hrsg. v. K.-W. Niebuhr.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. X, 158 S. gr.8° = Das Neue Testament Deutsch, Teilbd. 11. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-525-51387-3.

Rezensent:

Martin Karrer

T. Holtz, seit seiner Dissertation (Die Christologie der Apk, 1962) einer der besten Kenner der Apk, konnte diesen kleinen, gehaltreichen Kommentar noch kurz vor seinem Tod entwerfen und in etwa zur Hälfte korrigieren (bis Kapitel 9, die Übersetzung bis Kapitel 22). Dem Herausgeber, K.-W. Niebuhr, ist sehr zu danken, dass er das Fehlende behutsam redigierte (seine wichtigsten Eingriffe sind markiert, z. B. die Einfügung von Titeln) und uns so H.s Deutung der Apk zugänglich macht.
Der Kommentar ersetzt die verdienstvolle, nach wie vor lesenswerte Auslegung von E. Lohse im NTD und muss, der Reihe gemäß, auf wissenschaftliche Argumentationen verzichten (hilfreich ist aber das Literaturverzeichnis durch F. Tóth, 147 f.). H. versagt sich darüber hinaus auch Exkurse. So liegt alles Gewicht auf der knappen Auslegung des Textes. Überschaut man die Apk-Forschung der letzten Jahrzehnte, fällt hier ein Doppeltes auf:
Zum einen misstraut H. der literarischen Kategorisierung »Apokalypse«; »apokalypsis« in Apk 1,1 darf nicht den Eindruck erwe­cken, es habe eine feste apokalyptische Gattung gegeben, sondern signalisiert einen Text der Enthüllung mit Christus als Subjekt (»Autor der Offenbarung«, 16), der religionsgeschichtlich apokalyptische Partien integriert. Zentrale Momente »›apokalyptischer‹ Theologie«, Dualismus und Naherwartung bleiben auf diese Weise in Geltung (1–3). Doch öffnet sich der Blick für die briefliche Strukturierung der Apk (mit vorsichtigen Einschränkungen: 5). H. nennt 1,4–22,21 den »Offenbarungsbrief« (Überschrift: 20; auf S. V findet sich eine Verschreibung der Seitenangaben) und beobachtet die Bezüge des Formulars zum Paulinismus (1,4–8; 22,21). So ist die Apk vorsichtig im Gespräch mit der paulinischen Theologie zu lesen und ihr Gnadenwunsch (»charis« »sei mit allen« 22,21) an der Gemeinde zu konkretisieren, weniger an universaler Weite zu orientieren (146; eine zu diskutierende, aber hochrelevante Position, da Apk 22,21 heute eine Rolle in gesamtbiblischen Studien spielt).
Zum zweiten widerspricht H. einer systematischen Strukturierung der Apokalypse. Die einzelnen Teile hält er für gut erkennbar (Sendschreiben, Siebenerreihen usw.), in der Gesamtanlage indessen verlangt die von Christus eröffnete Schau eine offene Struktur. Das ermöglicht H., reale visionäre Erfahrungen vorsichtig ins Denken einzubeziehen (6 u. ö.), lässt freilich umgekehrt literarisch-rhetorische Aspekte auffällig zurücktreten (etwa die Teilung des Corpus Kapitel 4–22,5 durch Kapitel 12–13).
In vielen derzeitigen Forschungsdebatten bezieht der Kommentar eine vorsichtige mittlere Linie. H. hält gegen die jüngsten Früh- und Spätdatierungen nach wie vor eine Einordnung in die 90er Jahre für plausibel (9 f.). Älteres Material sieht er wiederholt verarbeitet, jedoch in der Regel durch mündliche Tradition, nicht durch literarische Bruchstücke an den Seher überkommen (so 83 f. auch zu 11,1 f.). Vorsicht gegenüber der Literarkritik pflegt er bei 1,1–3; er trennt die Passage nicht von der Apk ab (gegen J.-W. Taeger, Johanneische Perspektiven, 2006, 157–173) und findet dafür in der erst durch 1,3 entstehenden Siebenzahl der Seligpreisungen guten Grund (15).
Die Apk ist also (mit der großen Mehrheit der Forschung) trotz der Probleme bei der Gliederung ein einheitliches Werk. Die religionsgeschichtliche Öffnung auf Momente der hellenistischen Umwelt rundet dies ab. H. wagt immer wieder kurze Hinweise (z. B. 77 f. auf Zentauren und Apollon bei 9,7–9.11), allerdings ohne sie hervorzuheben (in Apk 21 ließe sich ein Vergleich mit dem hellenis­tischen Stadtideal einfügen).
Überschauen wir dies, bietet der Kommentar in aller Kürze so­lide, knappe Informationen. Der notwendigen Kürze fällt manche nicht uninteressante Detailfrage zum Opfer (z. B. bleibt für Details der Nähe und Ferne zu Paulus bis zur Aufnahme des Zwölf-Apos­tel-Kreises ohne Paulus in 21,14 kaum Platz). Doch die Gesamtanlage des Kommentars, die Einfühlung in den Text der Apk und die gut lesbare Darstellung verdienen hohen Respekt. Der Kommentar erfüllt vorzüglich die Aufgabe der Reihe, exegetische Erkenntnisse allgemeinverständlich einem größeren Leserkreis zu vermitteln.