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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1057–1059

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fitzmyer, Joseph A.

Titel/Untertitel:

First Corinthians. A New Translation with Introduction and Commentary.

Verlag:

New Haven-London: Yale University Press 2008. 660 S. gr.8° = The Anchor Yale Bible, 32. Geb. US$ 55,00. ISBN 978-0-300-14044-6.

Rezensent:

Dieter Zeller

Der 1976 erschienene Kommentar von W. F. Orr und J. A. Walther in der – inzwischen von Yale University Press übernommenen – An­chor Bible konnte mit den mittlerweile den englischen Sprachraum beherrschenden größeren Kommentaren zu 1Kor (G. D. Fee, R. F. Collins, A. C. Thiselton, D. E. Garland) nicht mehr konkurrieren. Nun legt der für seine philologische Präzision bekannte Je­suit J. A. Fitzmyer, der in dieser Reihe schon Lk, Röm, Apg und Phlm kommentiert hat, eine Neubearbeitung vor, die immer noch dem nicht spezialisierten Leser verständlich sein will (Griechisch deshalb in Umschrift und mit Übersetzung), aber doch in der technischen Durchführung und in der Erfassung der Sekundärliteratur wissenschaftlicherem Standard folgt. M. E. lässt F. hier eher zu viel Umsicht walten, indem er auch noch auf die abstrusesten Vorschläge eingeht. Am Anfang (3–18) steht die sich dem Wortlaut an­schmiegende und zugleich sinngemäß freie Übersetzung, die aber eigentlich überflüssig ist, weil sie noch einmal vor den einzelnen Abschnitten und den zu besprechenden Lemmata wiederholt wird.
Aus der Einführung sei vermerkt, dass F. zu einer relativ späten Datierung des Korinth-Aufenthaltes des Paulus (51–52 n. Chr.) und des Briefes (57 n. Chr.) gelangt. Dadurch rückt er 1Kor in zeitliche Nähe zum Röm, mit dem er natürlich manches gemein hat (44). Das kommt daher, dass F. das Prokonsulat des Gallio erst auf 52/53 ansetzt und den Brief am Ende der ephesinischen Zeit geschrieben sein lässt. Im letzteren Punkt könnte F. m. E. einer durch 1Kor 16,8 verursachten perspektivischen Täuschung erliegen. Das hier in Aussicht genommene Ende der Tätigkeit in Ephesus muss nicht mit dem faktischen Ende nach zweieinhalb oder drei Jahren zusammenfallen.
Der Auslegung vorangestellt ist ferner eine knappe, nach theologischen loci systematisierende Zusammenfassung der paulinischen »Lehre« in 1Kor (69–93). Die Auslegung selbst vollzieht sich – wie in der Reihe üblich – in zwei Schritten: Der »comment« enthält eine Inhaltsangabe, traditions- und religionsgeschichtliche Erläuterungen, am Ende die theologische Quintessenz. Hier unterstreicht F. öfter die Bedeutung des Textes für heute. Es bleibt aber meist bei der Behauptung. Manchmal verteidigt F. Paulus gegen anachronistische Vorwürfe, z. B. von feministischer Seite (274.288. 314.478). Statt Fußnoten folgen groß gedruckte »notes« zu den einzelnen Versen. Sie bieten textkritische Anmerkungen, sprachliche Erläuterungen und sachliche Information zu heute nicht geläufigen Realia. Auch hier kommt gelegentlich die aktuelle Debatte durch, z. B. wenn S. 255–258 ausführlich über Begrifflichkeit und Bewertung der Homosexualität handeln, der theologisch gewichtige V. 6,11 aber nur mit ein paar Zeilen bedacht wird.
Bei den Kapiteln 1 bis 4 geht F. von der apologetischen Zweckbestimmung N. A. Dahls aus: Paulus wolle in erster Linie gegen in­zwischen aus der Gemeinde erwachsene Opposition seine apostolische Autorität wiederherstellen (137 f.). Das Profil der in 1,12 aufgezählten – mindestens drei – Parteien bleibt dagegen unscharf. Die forschungsgeschichtlichen Ausführungen dazu sind eher verwirrend (139.145). F. erklärt die Frage danach als irrelevant, da der Widerstand gegen Paulus von der Gemeinde als Ganzer komme und sich das Gegenargument des Apostels an die Kirche von Korinth als Ganze richte (139). Zwar bringt F. au f S. 151 die Vorliebe mancher Korinther für die menschliche Weisheit mit der Beredsamkeit des Apollos zusammen, aber auf S. 153 bezeichnet er es als vergebliches Unternehmen, die paulinischen Feststellungen zur Weis­heit auf die Apollospartei umlegen zu wollen. Um hier einem Widerspruch zu entgehen, wäre es vielleicht gut gewesen, zwischen der rhetorischen Strategie des Paulus, die jede Personalisierung vermeidet, und der historischen Situation, in der der Stil des Apollos durchaus die Debatte veranlasst haben kann, zu unterscheiden. So kann z. B. der Abschnitt über den auf das paulinische Fundament Bauenden (3,10–17) sehr wohl auf Apollos zielen, ob­wohl er nicht direkt erwähnt wird (zu 197).
Verhängnisvoll ist, dass F. 2,1–5 zum folgenden, bis 3,4 reichenden Abschnitt schlägt, ohne den Zeitsprung in V. 6 (und wieder 3,1.2ab) und das adversative de zu beachten. So erscheint ihm die Lesart mysterion in 2,1 als kontextgemäß (171), obwohl das Stichwort eigentlich verfrüht fällt. Die »nackte« Kreuzesbotschaft der Anfänge wird mit ihrer Entfaltung im Geheimnis gleichgesetzt (176), und das »Vollkommensein« ist nicht mehr die Voraussetzung dafür, dass das Geheimnis mitgeteilt werden kann – wie in einer Zwei-Stufen-Lehre –, sondern »those who hear the revealed word thereby become teleioi« (175).
Wie viele Vorgänger, vor allem J. Murphy-O’Connor, schält F. aus dem Text »Slogans« heraus, aus denen sich die Position der Korinther erschließen lässt: 6,12ac.13ab.18b; 8,1b.4bc.8a; 12,3a (»verflucht sei Jesus«, unklar, ob heidnischer oder christlicher Herkunft: 455). Einzig bei 7,1b, wo man gewöhnlich eine These der korinthischen Asketen vermutet, betont F. mit Recht, dass das Statement genau so gut die Antwort des Paulus auf eine Frage der Korinther sein könnte und auf jeden Fall von Paulus voll geteilt wird (274.278). Meine Skepsis gegenüber den »Slogans« würde darüber hinaus noch 6,13ab.18b; 8,4bc.8a einbeziehen. Wie auch immer, ich finde bei F. keine Rekonstruktion des gemeinsamen Hintergrundes für diese Äußerungen, keine pauschale Diagnose der »korinthischen Krankheit«. Er versichert nur immer wieder, dass sie nicht auf gnos­tische Infektion zurückgehen könne (34.159.263.277.455 f.). Auch das Verhältnis der Auferstehungsleugner von 15,12 zu den Gruppierungen in den Kapiteln 1 bis 4 oder in Kapitel 11 bleibt offen (558). Eine »realisierte Eschatologie« haben sie eher nicht vertreten (560). In einer gewissen Spannung dazu steht S. 568, wo F. dann doch in 15,20 ff. einen Akzent auf der Zukünftigkeit – neben dem auf der Gewissheit – der Totenauferstehung wahrnimmt.
Besonders interessiert natürlich der Kommentar zu 11,2–16, wo für viele das Mann-Frau-Verhältnis auf dem Prüfstand steht. Hier lehnt F. mit Recht die Auslegung ab, nach der es darin um ein Problem der Haartracht geht. Doch seine eigene Exegese erscheint nicht ganz konsequent: Ist »schändet sein bzw. ihr Haupt« in V. 4 f. auf die V. 3 genannten Häupter oder den eigenen Kopf zu beziehen (412 f.)? Die Antwort ist gespalten: In V. 4 sei eher Christus als Haupt des Mannes gemeint, in V. 5a jedoch der physische Kopf der Frau. Am Ende aber heißt es wieder: »Such a woman would bring dis­grace to her husband«. Bei der umstrittenen exousia V. 10 gibt F. seine frühere Erklärung (Übersetzung aus dem Aramäischen) auf und folgt der heute weithin üblichen (m. E. verfehlten) Verbindung von »Vollmacht« mit epi tēs kephalēs (»auf dem bzw. über das Haupt«) im Sinn von »Kontrolle über«, kombiniert aber jetzt zwei schwer verträgliche Deutungen: Einerseits soll die Frau »the glory of man« verdecken (nach M. D. Hooker), andererseits sollen die Engel nichts »Schimpfliches« sehen (419).
Gespannt liest man weiter: Wie ist das hier vorausgesetzte Beten und Prophezeien von Frauen mit dem berüchtigten Schweigegebot 14,34–36 zu vereinbaren? F. weigert sich zunächst, das Stück als In­terpolation auszuscheiden (50). Als Lösung nimmt er – wie englischsprachige Vorgänger – in V. 34 f. wieder das Zitat eines korinthischen Slogans an, dem Paulus in V. 36 seine kritische Doppelfrage entge­genstelle (530–533). Dieser Slogan wäre ungewöhnlich lang und de­tailliert und käme – anders als die bisherige n– nicht aus der liberalen Ecke, sondern von erzkonservativen Männern. Aber dieser Ausweg ist m. E. versperrt, wenn der Vergleichssatz V. 33b »Wie in allen Gemeinden der Heiligen« nicht zum Vorhergehenden gehört (gegen 527 f.), sondern das Verbot des Redens einleitet. Er passt genau zu V. 36. – Wenn mich die Exegese F.s an diesen heiklen Stellen auch nicht überzeugt, so ziehe ich doch meinen Hut vor der erstaunlichen Leistung eines Emeritus (Jahrgang 1920!), der über eine Fülle von Detailwissen, aber auch über ein reifes Urteil verfügt. Er lässt manches in der Schwebe, was man nur um den Preis von Hypothesen genauer behaupten kann. Einige Inkonsistenzen könnten daher rühren, dass der Kommentar schon länger fertig vorlag und immer wieder überarbeitet wurde. Jede Beschäftigung mit 1Kor wird auf dieses Standardwerk zurückgreifen müssen.