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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1149–1153

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Standhartinger, Angela

Titel/Untertitel:

Das Frauenbild im Judentum der hellenistischen Zeit. Ein Beitrag anhand von ´Joseph und Aseneth´

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. VII, 289 S. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums, 26. DM 108,­. ISBN 90-04-10350-3

Rezensent:

Dieter Sänger

Spätestens seit Christoph Burchards "Untersuchungen zu Joseph und Aseneth" (1965) ist weithin anerkannt, daß die Erzählung von der Bekehrung der heidnischen Priestertochter Aseneth und ihrer Heirat mit dem Jakobssohn Joseph (Gen 41,45) eine originalgriechische Schrift ist, die irgendwann zwischen 100 v. und 100 n. Chr. in der jüdischen Diaspora Ägyptens verfaßt wurde. Seitdem hat das Interesse an JosAs stetig zugenommen, in der neutestamentlichen Forschung ebenso wie in der judaistischen und altphilologischen. Jedoch fehlt bis heute eine kritische Ausgabe, die der komplizierten Textgeschichte Rechnung trägt. Da keine der erhaltenen Fassungen dem Original genau entspricht, müssen sein mutmaßlicher Umfang und Wortlaut aus der Masse der Überlieferung erschlossen werden.

Bekannt sind 84 Hss, davon 16 griechische. Die übrigen verteilen sich auf 6 weitere Sprachen. Alle griechischen Hss einschließlich der Übersetzungen lassen sich 4 Textgruppen (a,b,c,d) zuordnen, für die es mit großer Wahrscheinlichkeit einen jeweils gemeinsamen Archetyp gegeben hat. Die beiden letzten Rekonstruktionsversuche von Marc Philonenko(1) (Ph.) und Christoph Burchard(2) (B.) differieren beträchtlich. Ph. hält den von d gebotenen Text, der mit Abstand der kürzeste ist, für den ältesten. Dieser habe dann mehrere Rezensionen durchlaufen: d sei nach b hin erweitert, dann b zu c umgeformt und schließlich c auf a hin bearbeitet worden. Mit seinem Modell einer auf d fußenden sukzessiven Entwicklung der Textgestalt verbindet Ph. zugleich die Autorenfrage. Während d zweifellos jüdisch sei, entstammten die Zusätze in b der Hand eines christlichen Gnostikers oder aber eines der spekulativen Mystik nahestehenden Juden (vgl. bes. 15,8[B]; 17,6[B]), c und a seien insgesamt christlich bearbeitet. Erweiterungen, Eingriffe in die Erzählstruktur und stilistische Glättungen, die ­ wenngleich nicht durchgängig oder gleichgewichtig verteilt ­ in b, c und a zu finden sind, bucht Ph. also auf das Konto einer in Stufen erfolgten planmäßigen Rezensententätigkeit. Im Unterschied zu Ph. basiert B.s Rekonstruktion auf der Gruppe b. Dieser Text ist um etwa die Hälfte länger als der von d, zudem der am frühesten bezeugte, am weitesten verbreitete, leider aber auch der inhomogenste von allen. Mit Ph. stimmt B. darin überein, daß a eine gräzisierende Bearbeitung darstellt. Das gleiche gilt für c (bricht in Kap. 16 ab), wenn auch in anderer Weise; d und b sind literarisch eng miteinander verwandt. Überschüsse von a, c und/oder d über b hinaus gehören für B. in der Regel zum positiven Textbestand, sofern sie nicht offenkundig sekundär sind. Das Mehr an Stoff und Umfang von b führt er darauf zurück, daß d gegenüber b gekürzt habe.

An diesem Punkt setzt die Studie der Vfn. an, mit der sie ihre im SS 1994 vom Fachbereich Evang. Theologie der Universität Frankfurt angenommene und für den Druck überarbeitete Dissertation vorlegt. Ihre These besteht, kurz gesagt, darin: Bei d und b handelt es sich weder um zufälligen Textschwund noch um zufälliges Textwachstum. Vielmehr ist der kürzere Text (K.) planmäßig korrigiert und zum längeren (L.) hin ausgestaltet worden (41.221). Beide Fassungen sind aber antik und bieten die ältesten erreichbaren Textformen (47), wobei K. eine frühere Stufe repräsentiert (220-225). Ihr eigenes Profil gewinnen sie vor allem dadurch, daß sie in der Charakterisierung Aseneths erheblich voneinander abweichen. In diesen Differenzen kommen zwei konträre Positionen zum Vorschein, die jeweils ein anderes Frauenbild propagieren. Indem die Verfasser von K. und L. in dieser Frage deutlich Stellung beziehen (211), gewähren sie uns Einblick in eine Kontroverse um die Auslegung von JosAs in hellenistischer Zeit. M. a. W., K. und L. führen einen "Dialog" miteinander, in dem es wesentlich um die Darstellung Aseneths "und damit um die Rolle von Frauen in der (!) jüdischen Gemeinschaft" geht (4f). Ziel der Vfn. ist es, Motive und Absichten dieses Dialogs zu erhellen.

Die Untersuchung gliedert sich in drei Hauptteile. Im ersten (1-47) folgt nach einleitenden Bemerkungen zum Stellenwert von JosAs im Kontext historischer Frauenforschung (1-5) ein geraffter Überblick über neuere Interpretationsansätze der Schrift (5-14). Anschließend skizziert S. ihre Sicht der Entstehungsverhältnisse (aufgrund äußerer Kriterien allein nicht sicher datierbar; Abfassung in Ägypten ist möglich, aber ungewiß, 14-20), thematisiert das literarische Genus (JosAs will eine bewußt theologische Erzählung sein, die die Gattung des antiken Romans imitiert [20-26]) und begründet anhand exemplarischer Stellen ihre Kritik an Ph.s und B.s Konzeption der Textgeschichte (27-47, vgl. 220 f.). Der zweite Hauptteil (49-204) bildet den eigentlichen Kern der Studie. In ihm gibt die Vfn. zunächst Rechenschaft über das methodische Verfahren, mit Hilfe dessen sie Aseneths Darstellung in K. und L. untersucht (52-59), geht anschließend auf die Diskussion um die Rolle der Frau in hellenistisch-römischer Zeit ein (59-76) und analysiert dann die beiden Textformen von JosAs unter dem Aspekt, ob und inwieweit sie sich in ihnen widerspiegelt (76-204). Der dritte Teil (205-239) wertet die Ergebnisse im Blick auf die verfolgte Fragestellung aus und deutet am Schluß an, welche weiteren Perspektiven sich daraus für die neutestamentliche Frauenforschung ergeben.

Obwohl eine fiktive Erzählung wie JosAs keinen unmittelbaren Rückschluß auf die historische und soziale Situation des realen Verfasser und seiner Adressaten erlaubt, muß sie doch als ein Teil dieser Wirklichkeit begriffen werden (52 f.). Der Text ist daher zunächst darauf zu befragen, was in ihm gelesen werden sollte und konnte (53). Eine erste Antwort liefert die "Figurencharakterisierung" (54). Je nachdem, wie und aus welcher Perspektive der Autor die von ihm geschaffenen literarischen Figuren charakterisiert und als Identifikationsmodelle anbietet, kann er den Rezeptionsprozeß seiner Leser steuern. Erzähltechnisch hat er mehrere Möglichkeiten, diese Charakterisierung vorzunehmen. Sei es, daß sie in direkter Weise erfolgt ­ entweder durch den Autor selbst (Fremdkommentar) oder dadurch, daß die auftretenden Personen explizit ihr Selbstverständnis darlegen (Eigenkommentar) ­, sei es, daß sie indirekt geschieht (Umgebung, Besitz, Name, Gestalt, Eigenschaften, realisierte Handlungsoptionen u. a. [54 f.]). Auch die vom Erzähler gewählte Figurenkonstellation eröffnet einen Zugang zu seiner Aussageabsicht (58). Alle diese Faktoren zusammen genommen lassen ein figurentypisches Bild entstehen, das der Verfasser seinen Lesern vermitteln will. Deren Interpretationsmöglichkeiten können jedoch erst dann historisch eingeordnet werden, wenn die jeweilige Darstellung Aseneths in K. und L. mit anderen literarischen Texten des paganen und jüdischen Umfelds, die sich mit Frauenbildern beschäftigen, konfrontiert und verglichen werden (53.59).

Als Vergleichsmaterial zieht S. exemplarisch das am Vorbild von Xenophons Oikonomikos orientierte ökonomische Schrifttum heran. In ihm ­ bes. in den neupythagoreischen Frauenspiegeln ­ wird den Frauen auf breiter Front ein geschlechtsspezifisch begründeter Katalog ethischer Normen auferlegt. Zu deren Eckpunkten gehören die Subordination unter den Mann, Keuschheit, Schmuckverzicht sowie der Verzicht auf außerhäusliche Aktivitäten (60-63). Stimmen, die eine differenzierte Wahrnehmung von Frauen erkennen lassen, gibt es zwar, sind aber literarisch weniger häufig anzutreffen (63-65.69-72). Eine ähnliche Bandbreite findet sich im hellenistisch-jüdischen Bereich. Während z. B. Philo, Josephus und Sir eine Affinität zum Frauenbild des ökonomischen Schrifttums verraten, beziehen andere Vertreter (LibAnt, Est, Jdt, TestHiob) eine partiell kritische Position (72-75). K. und L. fügen sich in diese Diskussion ein und nehmen je auf ihre Weise an ihr teil (75 f.). Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Aseneths Darstellung im L. weist eine große Nähe zu dem in der Oikonomia-Lehre propagierten Frauenideal auf, K. hingegen zeichnet das Bild einer ökonomisch selbständigen, autonomen Frau, die sich der Welt zuwendet und sie verändert. Von den nahezu 50 Textpassagen, die S. eingehender analysiert, greife ich 3 heraus:

a) 2,1 schildert Aseneth als eine Frau, die sich von allen Männern fernhält. Nur L. charakterisiert sie zusätzlich als prahlerisch (vgl. 21,12.16[B]) und hochmütig. Beide Eigenschaften sind im Umkreis des ökonomischen Schrifttums geschlechtsspezifisch konnotiert. Frauen, die sich den (sexuellen) Wünschen des Mannes verweigern, werden häufig als hochmütig bezeichnet, tragen sie Schmuck, müssen sie mit dem Vorwurf der Prahlerei rechnen (80 f). Indem L. Aseneths Haltung auf diese Weise kommentiert, bewertet er ­ im Unterschied zu K. ­ ihre "Abgrenzung gegenüber allem Männlichen negativ" (80).

b) Nachdem Aseneth den Wunsch ihres Vaters, sie mit Joseph zu verheiraten (4,8[B]/4,10[Ph]), schroff abgewiesen hat (4,10[B]/4,13-15[Ph]), scheut er sich, sie nochmals darauf anzusprechen, da sie frech geantwortet hat (4,12[B]). Diese Bemerkung fehlt im K. (4,16[Ph]). Als frech gilt im ökonomischen Schrifttum eine Frau, die Männern gegenüber ihre Meinung durchzusetzen versucht (83 f.). Doch während Aseneths Streben nach Unabhängigkeit von L. als Frechheit eingestuft wird, benutzt er später das gleiche Wort, um Simeon zu charakterisieren, nun aber positiv (23,7). L. bewegt sich damit im Rahmen einer auch bei Plutarch und Arist zu belegenden "Geschlechtermoral" (95), die K. offensichtlich nicht teilt.

c) In 16,1 bittet der Engel Aseneth, ihm eine Wabe zu bringen. Nach L. will sie einen Knaben mit dieser Aufgabe betrauen, der zum Acker "unseres Erbteils" gehen soll (16,4[B]). Hingegen liest K.: "Ich will, Herr, zum Acker meines Erbteils senden und (ich) werde dir... bringen" (16,2[Ph]). L. betont also, daß Aseneth das Haus ihres Vaters nicht verlassen wird und sie lediglich am (familieneigenen?) Erbteil partizipiert. Demgegenüber scheint K. vorauszusetzen, daß Aseneths Bewegungsraum nicht eingeschränkt ist und sie ein eigenes Erbteil besitzt (vgl. 28,9[B]/28,8[Ph]). Auch an diesem Punkt ist L., anders als K., "dem in der Oikonomia-Lehre Vertretenen verpflichtet" (102). Wie sehr er deren Normvorstellungen übernimmt, zeigt sich daran, daß Aseneth im L. durchweg im Hintergrund bleibt und nur auf Anweisungen anderer hin (Engel, Vater, Joseph) tätig wird (97-102.103-108).

Was für den ersten Teil von JosAs (Kap. 1-21) gilt, gilt auch für den zweiten (Kap. 22-29). Ist es im K. Aseneth, die durch ihr Eingreifen ihre Schwäger vor der Rache der Leasöhne bewahrt (28,12-16[Ph]), werden sie im L. von Levi gerettet (28,12-17[B]). Wie in ethischer, so differieren beide Textfassungen auch in theologischer und anthropologischer Hinsicht. L. betont ungleich stärker die sündige Existenz der vorkonversionellen Aseneth, zu deren Verfehlungen er nicht zuletzt ihr Beharren auf Eigenständigkeit und ihren Männerhaß zählt (93-95). Zudem steht nur bei ihm ihr großes Sündenbekenntnis (21,10-21[B]) (87-95). In der "Epiphanieerzählung" (Kap. 14-17) setzen sie ebenfalls ganz eigene Akzente was die Charakterisierung Aseneths betrifft. Im K. wird sie in eine himmlische Gestalt verwandelt (116 f.), zur Prophetin berufen (112.119-122.208) und wie andere auserwählte Gerechte vor ihr gewürdigt, die himmlische Welt zu schauen (121.124.209). Gott und Metanoia/Sophia bereiten ihr und Joseph ein himmlisches Brautgemach, in dem sich Aseneth, die durch die Himmelsspeise mit Weisheit begabt worden ist (16,8[Ph]), und der Weisheitsträger Joseph (6,2.6; 13,11[Ph]) mit Sophia vermählen (189-203). Als Erlöste (211) und Prophetin kehrt Aseneth in die Welt zurück und lehrt sie, daß Menschen einander vergeben sollen (28,4.14[Ph]) (173-180.207 f.). Demgegenüber schildert L. keine Berufungsvision, sondern das Erscheinen eines Engels, der Aseneth eine Botschaft bringt. Zwar werden ihr die Geheimnisse Gottes offenbart (16,14[B]), doch sie versteht sie nicht (121. 130). Mehrfach wird sie als ängstlich, hilflos und verschreckt vorgestellt (125-130). Ihr in 16,16[B] verheißenes neues Aussehen erhält sie erst nach dem Weggang des Engels, wobei ihre Schönheit in erster Linie dazu dient, Joseph zu gefallen (18,7[B]) und seine Braut zu werden (134.137). Von einem himmlischen Brautgemach spricht L. nicht, sondern nur vom "Ort der Ruhe" (15,7[B]), der Aseneth und allen, die wie sie umkehren, im Himmel bereitet ist (189.195 f.). Den "Geist des Lebens", d.h. das Weisheitspneuma, bekommt sie durch Joseph vermittelt (19,11[B], vgl. 16,14[B]), der die Stelle der Weisheit einnimmt (203 f.219).

Auch die Gottesbilder sind in L. und K. verschieden. L. beschreibt Gott als den strafenden und schützenden allmächtigen Herrn und Vater (11,18; 12,7 f.14 f.[B]), bei dem Aseneth wie ein unmündiges Kind Zuflucht sucht (12,8[B], vgl. 12,13[B), während ihn K. in Anlehnung an die Psalmensprache auch mit mütterlichen Zügen versieht (12,7 f.[Ph]) (181-185.188 f.). Bei ihm nimmt Metanoia/Sophia den Platz neben Gott ein (192-194), im L. ist ihre Beziehung hierarchisch strukturiert (195). Insgesamt erscheint "die himmlische Wirklichkeit... als Verlängerung der irdischen Verhältnisse, wie sie in den der Oikonomia-Philosophie verpflichteten Schriften prospektiv beschrieben werden" (204). Aufs Ganze gesehen läßt ein Vergleich zwischen K. und L. nur den Schluß zu: L. charakterisiert bereits die heidnische, mehr aber noch die bekehrte Aseneth als eine Frau, die in allem dem entspricht, was von einer "musterhaften Ehefrau" im Sinn dieser Philosophie erwartet wird (216). Dahinter steckt, so die Vfn, eine apologetische Absicht. Am Beispiel Aseneths will L. deutlich machen, daß Proselytinnen sich diesen Forderungen gegenüber vorbildlich verhalten, weil gerade sie "die ihnen... durch ihr Geschlecht zugewiesene Rolle besonders gut erfüllen, wenn sie in die Familie Israels aufgenommen sind" (216).

Im K. begegnet den Lesern eine andere Aseneth. Hier ist sie eine selbstbewußte, über ein Haus und sonstigen Besitz verfügende Frau, die die Rettung der ihr Leben bedrohenden Schwäger durchsetzt und als die mit Weisheit begabte "Tochter Gottes" gleichberechtigt neben Joseph, den "Sohn Gottes", tritt. Damit entwirft K. ein Portrait Aseneths, das dem konventionell angelegten des L. in zentralen Punkten widerspricht. Die Dominanz weisheitlicher Motive, die, wenngleich inhaltlich völlig unterschiedlich akzentuiert, in K. und L. verarbeitet sind, liefert für S. den Schlüssel zum Verständnis beider Fassungen. Sie "decken... eine Diskussion um die Rolle von Frauen innerhalb der Weisheitsbewegung auf" (219). Da die Lebenswirklichkeit von Frauen im K. wie im L. wahrgenommen und dargestellt wird und beide das Geschlechterverhältnis thematisieren (24,7; 25,7 [B]/25,8[Ph]), sind Frauen als Autorinnen denkbar (225-231), bes. was K. betrifft (236). Sollte K. noch ein eigenständiges Ägypten voraussetzen (4,8; 26,3[Ph]), ist eine Abfassung im 1.Jh. v.Chr. oder etwas früher wahrscheinlich. Aufgrund seiner Parteinahme für die augusteische Familien- und Frauenpolitik und seiner "Begeisterung" für die im ökonomischen Schrifttum sich niederschlagende Aristotelesrenaissance gehört L. am ehesten ins 1. Jh. n. Ch. (225). Mit dieser Datierung ist auch die Frage beantwortet, welcher Text vom anderen literarisch abhängt. K. ist kein Auszug von L., sondern L. eine in sich konsistente, planvolle Bearbeitung von K. (220-224), mit der ihr Verfasser versucht, das aus seiner Sicht unbotmäßige Frauenbild der Vorlage "in die von ihm favorisierten Bahnen" zurückzulenken (236).

Mit ihrer Studie hat S. zweifellos einen weiterführenden Beitrag zum Verständnis von JosAs vorgelegt. Mich hat vor allem ihr Nachweis überzeugt, daß die Schrift stärker noch, als ich bisher geglaubt habe, weisheitlichem Denken verpflichtet ist, wahrscheinlich sogar eine bestimmte Form frühjüdischer Sophia-Theologie erzählerisch umsetzt. Skepsis erscheint mir freilich gegenüber ihrer Rekonstruktion der Textgeschichte angebracht. Daß die Gruppe d (K.) weder b (L.) gekürzt hat noch mit a verwandt ist, halte ich nicht für erwiesen (37-41.220-224). Es fällt auch auf, daß die Vfn. in dieser Frage sehr vorsichtig formuliert. Nach wie vor sprechen gute Gründe für Burchards These, daß K. im Verhältnis zu L. sekundär ist. In diesem Fall wäre aber der ganzen historischen Rückführung, die es S. erst ermöglicht, die beiden Textfassungen zu parallelisieren und sie gleichsam redaktionsgeschichtlich zu untersuchen, der Boden entzogen. Doch auch innerhalb ihres Interpretationsrahmens wirkt die Deutung mancher Textpassage gezwungen. So läßt sich die vermeintlich unterschiedliche Charakterisierung Aseneths in 16,4[B]/16,2[Ph]) nur behaupten, wenn man übersieht, daß auch der Wortlaut von 16,2[Ph] gedanklich ein Objekt erfordert, Aseneth also im K. ebenfalls einen Boten benötigt, der ihr die Wabe holt. Daß 16,4[B] diese Leerstelle ausfüllt, ist noch kein Indiz für ein von L. propagiertes Frauenbild, nach dem die Frau nicht eigenständig das Haus verlassen soll (102). Man könnte geradezu umgekehrt argumentieren: K. hat hier gekürzt, weil auch ohne ein direktes Objekt klar ist, daß Aseneth einen Mittler braucht. Ähnlich problematisch erscheinen mir die Ausführungen zu 8,1; 22,3; 22,10f. [B]/22,7[Ph] (103 f.140) und anderen Stellen.

Es bleibt zu hoffen, daß eine kritische Ausgabe von JosAs auf der Grundlage aller bisher bekannten Hss in nicht allzu ferner Zukunft vorliegen wird. Ch. Burchard bereitet sie z. Zt. vor. Ob sich dann die textgeschichtliche Sicht der Vfn. halten kann, wage ich zu bezweifeln. Daß JosAs aber eine lohnende und höchst ergiebige Quelle für die historische Frauenforschung ist, hat sie mit ihrer Arbeit eindrücklich gezeigt.

Fussnoten:

(1) Joseph et Aséneth. Introduction, texte critique, traduction et notes (StPB 13), Leiden 1968.
(2) Ein vorläufiger Text von Joseph und Aseneth, DBAT 14 (1979) 2-53; ders., Verbesserungen zum vorläufigen Text von Joseph und Aseneth, DBAT 16 (1982) 37-39. Auf diesem "vorläufigen Text" basieren auch Burchards deutsche und englische Übersetzungen, Joseph und Aseneth (JSHRZ II/2), Gütersloh 1983, 631-720; Joseph and Aseneth, in: J. H. Charlesworth (Hrsg.), The Old Testament Pseudepigrapha II, New York 1985, 202-247