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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1048–1050

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Japhet, Sara

Titel/Untertitel:

From the Rivers of Babylon to the Highlands of Judah. Collected Studies on the Restoration Period.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2006. X, 469 S. gr.8°. Geb. US$ 59,50. ISBN 978-1-57506-121-4.

Rezensent:

Ina Willi-Plein

Endlich liegen die in vier Jahrzehnten entstandenen grundlegenden Studien der Jerusalemer Bibelwissenschaftlerin Sara Japhet zur exilisch-nachexilischen Zeit in einem Sammelband in englischer Sprache vor, und es ist zu hoffen, dass ihnen nun auch in der europäischen und vor allem der deutschen Exegese die Aufmerksamkeit zuteil wird, die im englischsprachigen Raum längst selbstverständlich ist. J. hat ihre wissenschaftliche Arbeit zur Bibel – ihre umfangreichen Arbeiten zur jüdischen Traditionsliteratur stehen hier nicht zur Debatte – mit einem Aufsatz eröffnet, der 1968 mit der Überprüfung der bislang üblichen Argumente zur Annahme eines gemeinsamen Autors von Chr und Esra-Neh oder gar der Zusammengehörigkeit dieser Bücher im Sinne eines einzigen literarischen Werkes, eben der »Supposed Common Authorship of Chronicles and Ezra-Nehemiah …« (1–37) deren Unhaltbarkeit aufwies. Dies geschah in der auch alle folgenden Arbeiten prägenden vorurteilslosen und genauen philologischen Analyse der Texte bzw. Revision von Forschungsmeinungen, die im Lichte dieser kritischen Retractatio seltsam unbegründet erscheinen mögen.
J. erklärt die Schwäche der bis 1968 wissenschaftlich unangefochtenen Hypothese der »common authorship« einleuchtend mit dem mangelnden Interesse für die Differenz beider Werke (3). Umgekehrt hat ihre Untersuchung, die nicht bei allgemeinen Thesen zum Sprachgebrauch einsetzt, sondern vielmehr von Anfang an nach möglichen Gründen offenbarer Unterschiede sucht, neue Zu­gänge zur nachexilischen Historiographie Israels eröffnet. Be­sonders wichtig scheinen mir die Beobachtungen zu שׁארה ןהכ und לודג ןהכ (13) zu sein: לודג ןהכ ist die übliche Rangbezeichnung in den Büchern Hag und Sach sowie im Esra-Nehemia-Werk (im Fol­genden ENW), wird aber in den Chronikbüchern, die vielmehr שׁארה ןהכ(ה) verwenden, unterdrückt. Letzteres ist zwar in der Form שׁארה ןהכה in Esr 7,5 belegt, bezeichnet dort aber in der genealogischen Reihe Aaron als den »ersten Priester«, was »nothing to do with the priest’s rank« habe. In Chr (sowie 2Kön 25,18/Jer 52,24) ist gerade dies aber die (später allgemein übliche) Bezeichnung des Hohenpriesters geworden. – Dieses eine Beispiel aus einer Fülle von genau beobachteten weiteren Fällen mag genügen, um die Gewichtigkeit bereits der ersten Studie und ihrer Ergebnisse zu belegen. Demnach ist Chr nicht vom gleichen Verfasser und deutlich später als das ENW, »later even than the latest stratum of Ezra-Nehemiah« (37).
Da die Einzelstudien in dieser Sammlung nach dem Datum ihrer Entstehung angeordnet sind, lässt sich deutlich der Fortgang sowohl des allgemeinen Forschungsdiskurses als auch der von J. am Schluss der ersten Studie als weitere Desiderate genannten Un­tersuchungen verfolgen. Sie sind einerseits wichtigen Einzelfragen zum ENW gewidmet – vor allem »Sheshbazzar and Zerubbabel against the Background of the Historical and Religious Tendencies of Ezra-Nehemiah« (1983), »Law and ›The Law‹« in dem eigenstän­digen ENW (1988), dessen Komposition und Chronologie (1994) und 1989 noch einmal der »Relationship between Chronicles and Ezra-Nehemiah«. Andererseits wird der Chronist als Historiker vorgestellt, die Verlässlichkeit seiner Angaben in Auseinandersetzung mit der (1985) vorliegenden Forschung überprüft, jedoch keine ge­nerelle Antwort gegeben: »We are still looking forward to a broad­ening of our knowledge …«, die nach weiteren Untersuchungen »may enlighten our use of the book of Chronicles as a source for the history of Israel« (136). Solche Vorsicht der gründlichen Kommentatorin der Chronikbücher (OTL, 1993/in Ü. HThKAT, 2002–3) ist ebenso besonnen wie nachahmenswert.
J. selbst ist allerdings durchaus zu einem begründeten vorläufigen Schlusswort zu »Chronicles: A History« (Kapitel 20, 2005) ge­kommen (415): »Our concluding summary may be phrased very simply: The chronicler was a historian in the modern sense of the term, and the book of Chronicles is a ›work of history‹, no more and no less.« Dieses Fazit stützt sich auf die Methode der Chr in Bezug auf Aufbau, Quellen, historische Wahrscheinlichkeit und deren Darstellung, die nicht die eines Midrasch, sondern Auslegung im engeren Sinne ist. Chr sieht Gott als die treibende Kraft der Ge­schichte, kennt aber – eine auch heute nicht überflüssige Feststellung – kein »Vergeltungsdogma« (407).
Weitere wichtige Aufsätze befassen sich mit Einzelfragen zu Verhältnissen in der Zeit des Zweiten Tempels, so etwa »The Concept of the ›Remnant‹ in the Restoration Period« (2004). Auch wenn man in Einzelheiten anderer Meinung sein kann, sollte das differenzierte Gesamtergebnis unbedingt Beachtung finden: Bei Haggai bezeichnet der »Rest« nach dem Selbstverständnis der Gemeinschaft die im Land Gebliebenen, ebenso wendet sich Sacharja an den »Rest« des Volkes, und dieser Ausdruck »means those who survived and live in the Land« (437), unabhängig davon, ob sie zwi­schenzeitlich exiliert waren oder nicht. Das Gleiche gilt für Nehemia, während im Gebet Esr 9 eine Transformation des »Rest«-Be­griffs stattgefunden hat und dieser sich auf die zurückgekehrten Exulanten bezieht, die als »Rest« die »root of Israel’s future exist­ence and hope« seien. Am Ende der Bedeutungsgeschichte stehe Chr, die unter dem »Rest« nur die noch Übriggebliebenen des Nordreichs versteht, die zu Juda hinzukommen und mit ihm zu »ganz Israel« gehören sollen; »for Chronicles ›Israel‹ is anything but a remnant« (449), sondern als »ganz Israel« eine zukunftsbezo­gene Größe.
Zumindest im Hintergrund aller Studien steht immer die Un­ter­suchung der nachexilischen Historiographie und ihrer Ge­schichts­konzepte. Diese erschließen sich nicht zuletzt über »Periodization between History and Ideology« (Kapitel 18, 2003, und 21, 2006). Da­nach sei Chr, insofern sie »more future orientated than any other piece of biblical historiography« sei (361), ein eschatologisches Buch, womit die Debatte um Theokratie und Eschatologie sich erübrigt hätte. Das ENW aber, dessen Chronologie, Komposition und Periodisierung harte Knacknüsse für die Exegese darstellen, konstruiere mit seiner besonderen literarischen Methode, die in das Erzählwerk integrierten Quellen als solche weitgehend unverändert zu lassen, die Geschichte nach einem Konzept der Analogie von Exodus und Rückkehr aus dem Exil. Eine bemerkenswerte Nebenfrucht dieser Untersuchungen ist die Beobachtung, dass nach der bib­lischen Historiographie die neubabylonische Zeit keine eigene Pe­riode der Geschichte Israels darstelle – der Sabbat des verlassenen Landes in Chr (2Chr 36,20 f.) ein theologisches Konzept der Leere sei.
In seiner Eigenständigkeit innerhalb der gegenwärtigen Forschung bietet der Sammelband vielfältige, immer wohlbegründete Anregungen für weitere Arbeit an der nachexilischen Geschichte und Literatur Israels. Die zahlreichen Druckfehler insbesondere bei deutschen Zitaten gefährden zwar nicht das Verständnis, dennoch hätte der Satz besser überwacht werden sollen. Das Vorwort von J. und die Bibliographie der ursprünglichen Publikationsorte der Aufsätze mussten nachträglich als loses Doppelblatt eingelegt werden; bibliographische Verweise (zumeist auf J. selbst) durch »idem« irritieren wahrscheinlich nicht nur die Rezensentin. Doch trotz dieser Schönheitsfehler verdient der Band nachhaltige Beachtung auch in der deutschsprachigen Exegese.