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Ausgabe:

Oktober/2009

Spalte:

1042–1044

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Rodgers, Zuleika [Ed.]

Titel/Untertitel:

Making History. Josephus and Historical Method.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. XIV, 471 S. m. 11 Abb. gr.8° = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 110. Lw. EUR 146,00. ISBN 978-90-04-15008-9.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Dass die Werke des Flavius Josephus für mehr als nur eine einzige althistorische Disziplin von eminenter Bedeutung sind, muss nicht mehr betont werden. Inwiefern seine Werke aber auch nach dem »literary turn« der 1990er Jahre noch als »Quellen« für Historiker, Archäologen, Religions- und Literaturwissenschaftler dienen können, bewegt die Forschung bis heute. Die Beiträge des Bandes – eine Frucht des International Josephus Colloquium, das im September 2004 in Dublin abgehalten wurde – widmen sich darum zu Recht der entscheidenden Frage nach dem »methodical encounter between interpretation and history«: »While the ultimate goal for most scholars of Josephus remains historical reconstruction, how does the shift in perspective affect the way in which Josephus may now be used for that purpose?« (2) Der Band geht das Thema aus verschiedenen Richtungen an.
Nach Z. Rodgers’ Einleitung (1–22) folgen 17 Beiträge in vier Gruppen, ein weiterer Essay zur Wirkungsgeschichte findet sich in einem Appendix (G. Hata, »Robert Traill: The First Irish Critic of William Whiston’s Translation of Josephus«, 415–435). Die fünf Essays des ersten Teils »Conceptual Frameworks: Ancient and Modern« befassen sich mit der »historischen Methode« des Josephus und der seiner modernen Leser. Doch was ist »Methode« überhaupt, was ein »Faktum«, was »historische Wahrheit«? F. Siegerts auch über die Josephus-Forschung hinaus sehr lesenswerter Beitrag (»On Referring to Something, Meaning Something, and Truth: A Terminological Proposal«, 25–48) stellt sich diesen fundamentalen Problemen. Siegert unterscheidet zwischen »fact« und »representation«; als »Wahrheit« kann akzeptiert werden, was im Diskurs konsensfähig und referentiell und inhaltlich verifizierbar ist. J. S. McLaren (»Delving into the Dark: Josephus’ Foresight as Hindsight«, 49–67) fragt konkreter nach Josephus’ historischer Methode. Wie sehr hat die Tatsache, dass Josephus aus der Rückschau schreibt, die Strukturierung der erzählten Ereignisabläufe und die kommentierenden »Vorverweise« beeinflusst? Nach McLaren gewann Josephus durch den geschickten Einsatz von »hindsight« and »foresight« die Möglichkeit, sein eigenes Verhalten als konsistent darzustellen. U. Rappaport (»Josephus’ Personality and the Credibility of his Narrative«, 68–81) untersucht das Verhältnis zwischen berichteten Ereignissen und den darin sichtbaren Motiven. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Josephus’ Selbstdarstellung und Erfolgsmeldungen durch die Tatsachen nicht gedeckt sind – wie auch Siegerts Beitrag ein Plädoyer dafür, Josephus eben als Text wahrzunehmen und Inkonsistenzen als literarische Signale ernst zu nehmen. H. H. Chapman (»Masada in the 1st and 21st Centuries«, 82–102) zeigt, wie sehr unsere Wahrnehmung der archäologischen Reste durch die Darstellung des Josephus geprägt ist und wie locker »fact« zuweilen mit »representation« verbunden ist (vgl. dazu auch die Beiträge von J. W. van Henten und K. Atkinson). E. Nodet (»Josephus’ Attempt to Reorganize Judaism from Rome«, 103–122) sieht den Wunsch, das Judentum von Rom aus zu reorganisieren, als allumfassendes Strukturprinzip hinter der literarischen Darstellung.
Inwiefern Josephus als »Quelle« zu gebrauchen ist, muss auch auf der Grundlage dessen diskutiert werden, wie Josephus selbst Quellen verarbeitet hat. Die drei Beiträge des zweiten Teils widmen sich dieser Frage. D. R. Schwartz (»Composition and Sources in Antiquities 18: The Case of Pontius Pilate«, 125–146) hält es trotz aller literarischer Gestaltung durch den Autor für möglich, verarbeitete Quellen entdecken zu können, und diskutiert ein besonders instruktives Beispiel. A. Galimberti (»Josephus and Strabo: The Reasons for a Choice«, 147–167) und N. Foerster (»Geschichtsforschung als Apologie: Josephus und die nichtgriechischen Historiker in Contra Apionem«, 168–191) zeigen, wie sehr Josephus Teil eines breiten litera­rischen Diskurses über die Rolle Roms und die Stellung des Judentums war. Josephus’ Quellenverarbeitung ist durch Interessen ge­leitet und trifft – wie Galimberti und Foerster gezeigt haben – bei der Rezeption von Quellen bewusste Entscheidungen, die nicht unbedingt an den »Ereignissen« selbst ausgerichtet sind.
Die sechs Beiträge des dritten Hauptteils befassen sich mit »Josephus as a Source« und kommen insofern zum Kern des Problems. J. W. van Henten (»Noble Death in Josephus: Just Rhetoric?«, 195–218), S. Mason (»Essenes and Lurking Spartans in Josephus Judaean War: From Story to History«, 219–261), G. Haaland (»What Difference Does Philosophy Make? The Three Schools as a Rhetorical Device in Josephus«, 262–288), M. H. Jensen (»Josephus and Antipas: A Case Study on Josephus’ Narratives on Herod Antipas«, 289–312), S. Rocca (»Josephus and the Psalms of Solomon on Herod’s Messianic Aspirations: An Interpretation«, 313–333) und J. Pastor (»Josephus as a Source for Economic History: Problems and Approaches«, 334–346) greifen da­bei Themen auf, die in letzter Zeit nicht nur in der Josephusforschung besonders kontrovers diskutiert wurden, sondern auch in der Historiographie eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie können so die unmittelbare Relevanz vertiefter methodischer Reflexion zum »Gebrauch« des Josephus für den Diskurs über enge Fachgrenzen hinaus eindrucksvoll vor Augen führen.
Der letzte Hauptteil behandelt ein Thema, das in der Josephusforschung oft zu den letzten Bastionen des Positivismus gezählt wurde: »Josephus and Archaeology«. K. Atkinson (»Noble Deaths at Gamla and Masada? A Critical Assessment of Josephus’ Accounts of Jewish Resistance in Light of Archaeological Discoveries«, 349–371) zeigt jedoch anhand einer fast schon klassischen Debatte, dass so­wohl die archäologischen als auch die literarischen Daten kritisch geprüft werden müssen (besonders was die Massenselbstmorde anbetrifft; dazu vgl. auch den Beitrag von van Henten), und plädiert für »a greater degree of scepticism than we have become accustomed« (367). M. Aviam (»The Archaeological Illumination of Josephus Narrative of the Battles at Yodefat and Gamla«, 372–384) hingegen kommt auf Grund der Ergebnisse der Ausgrabungen in Yodefat und Gamla fast zur gegenteiligen Sicht: Nicht nur sieht er archäologische Befunde als »illumination« der Berichte des Josephus, die den Autor trotz dessen literarischer Ambitionen als »eye-witness« erweisen, sie bestätigten auch, »that he was there, and probably commanded that battle« (384). Während Josephus noch mit einigen Details zum urbanen Charakter von Tiberias aufwarten kann, sind die Informationen zu Sepphoris vergleichsweise dürftig. Z. Weiss bleibt in seinem Beitrag »Josephus and Archaeology on the Cities of the Galilee« (385-414) daher weitgehend auf die Archäologie angewiesen. Erfreulich ist, dass besonders in den beiden letzten Beiträgen zahlreiche Details aus rezenten Grabungen mitgeteilt werden, die anders nur schwer zu greifen sind. Besonders wichtig ist Weiss’ Hinweis auf das neu gefundene Hippodrom von Tiberias und das sich immer weiter verdichtende Bild von Sepphoris im 1. Jh. Die inhaltliche Spannbreite zwischen Atkinson und Aviam und die zurückhaltende Benutzung des Josephus durch Weiss verdanken sich nicht nur unterschiedlichen Ansätzen, sondern zeigen auch, wie sehr Josephus’ Beurteilung als Historiker davon abhängig ist, welche Texte man der Prüfung zu Grunde legt. Auf Siegerts Betonung der Referentialität nicht nur von antiken Texten, sondern auch von modernen »Beweisgängen« ist darum noch einmal nachdrücklich hinzuweisen.
Register zu antiken Quellen, allgemeinen Stichworten und mo­dernen Autoren runden den nicht nur für die Josephusforschung wichtigen Band ab. Den Organisatoren des Dubliner Josephus-Kongresses und der Herausgeberin der Beiträge ist für die kluge Auswahl der Themen und die sorgfältige Zusammenstellung der Sprecher bzw. Autoren sehr zu danken. Der Band ist ein unerlässliches und dabei gut zu lesendes Buch für jeden, der sich mit Josephus und der von ihm beschriebenen und kommentierten Epoche befassen will.