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Ausgabe:

Dezember/1996

Spalte:

1138 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Risse, Siegfried

Titel/Untertitel:

"Gut ist es, unserem Gott zu singen". Untersuchungen zu Psalm 147

Verlag:

Altenberge: Oros Verlag 1995. 367 S. gr. 8° = Münsteraner Theologische Abhandlungen, 37. Kart. DM 66,­. ISBN 3-89375-112-2

Rezensent:

Manfred Oeming

Die von Erich Zenger betreute, 1995 von der kath.-theol. Fakultät Münster angenommene Diss., die der 1929 geborene Priester Siegfried Risse (= R.) nach seiner Pensionierung erstellt hat, bietet eine ausführliche Exegese des Ps 147. Sie gliedert sich in drei Teile: Teil I (18-195) analysiert Ps 147 synchron, traditionsgeschichtlich und diachron; Teil II (196-243) betrachtet die Vernetzungen des Psalms mit dem Schluß-Hallel Ps (145)146-150; Teil III (244-356) bietet Streifzüge durch die jüdische und christliche Rezeptionsgeschichte von Ps 147 von der Antike bis in die Gegenwart. Durch zahlreiche Zwischenbilanzen und Zusammenfassungen ist der Gang der ohnehin vorbildlich klaren Untersuchung jederzeit leicht nachvollziehbar. Ein Literaturverzeichnis schließt die Arbeit ab (357-367, allerdings fehlen einige im Text genannte Kurztitel, z. B. Eco [16] und Mathys [186 f.]).

Für die Details, über die man bisweilen streiten könnte, muß auf die schulmäßig durchgeführte Exegese selbst verwiesen werden. Hier nur einige Hinweise auf Grundsätzliches:

R. versteht Ps 147 als Produkt eines Autors, der ihn vermutlich in zwei Phasen niedergeschrieben hat. Der Verfasser entstammt weisheitlichen Kreisen der nachexilischen Zeit, die eine Wort-Gottes-Theologie als Schriftgelehrsamkeit sowie eine prophetisch beeinflußte Armenfrömmigkeit mit den drei klassischen Hymnusmotiven Gotteslob, geschichtliches Heilshandeln Jahwes (besonders an Jerusalem) und Walten Jahwes in der Natur verbinden. Es handelt sich somit um eine späte Kombination aller wesentlichen Traditionsströme des Alten Testaments. Hervorzuheben sind R.s ausführliche Überlegungen zur Intertextualität im Anschluß an rezente Arbeiten von Manfred Pfister und Ziva Ben-Porat (55-97).

Gegenüber dem Großteil der älteren Forschung führt die ausführliche Analyse der zahlreichen Anspielungen auf dem Psalmisten vorgegebene biblische, quasi kanonische Literatur zu einer neuen Bewertung: Die häufigen Zitationen gelten R. nicht mehr als Indiz epigonaler Blässe und Schwäche, sondern als Zeichen bewundernswerter, meditativer Verinnerlichung der Tradition. Das Bedenken der patchworkartigen Zusammenstellung älterer Traditionen (bes. aus Deuterojesaja) läßt den Psalm nicht mehr despektierlich als "Hymnus gewöhnlicher Art" (Gunkel) oder als "harmlose doxologische Komposition" (Duhm) erscheinen, sondern umgekehrt heißt es jetzt bei R.: "Solche Anspielungen auf die Heiligen Schriften, auf Gottes Wort, geben dem Psalm eine besondere Würde und Autorität" (97, ähnlich urteilten allerdings schon Delitzsch und bes. Kittel in ihren Kommentaren).

Das Schluß-Hallel wird als thematisch eng verbundene Psalmengruppe, ja gar als planvolle "Komposition" verstanden: "Den fünf Büchern der göttlichen Weisung entspricht eine fünffache Abfolge von Psalmen mit rahmendem Hallelu-Jah. Die fünf Hallel-Psalmen entsprechen aber auch den fünf Büchern des Psalters." (217) Hier darf man allerdings kritisch fragen, ob nicht "dem intertextuellen Verfahren ein Element des Selbstzweckhaften, Spielerischen und der intellektuellen Brillanz jenseits ,seriöserŒ Funktionszuweisungen innewohnt" (63, Zitat von Bernd Schulte-Middelich), eine Frage, die sich bei manchen allzu tiefsinnigen "Kontextanalysen" über viele Psalmen hinweg, die gegenwärtig in der Psalmenforschung immer beliebter werden, stellt.

Die Ausführungen über die jüdischen und die christlichen Rezeptionen im 3. Teil sind m.E. besonders gewinnbringend; sie machen deutlich, wie sehr sich die historisch-kritische Auslegung und die faktische Rezeption eines Textes unterscheiden können. Dies gilt für die jüdische Tradition (die den Psalm durch tägliche Rezitation der Ps 145-150 im Morgengebet besonders schätzt) vom Midrasch bis zum mystischen Chassidismus, aber auch für die divergierenden christlichen Verwendungen. R. bietet eine Übersicht über die allegorischen Deutungen des Psalms in der Alten Kirche in Konkurrenz zu den mehr am Literalsinn orientierten Auslegungen, zwischen eher antijüdischen, exklusiv christologischen (oder ekklesiologischen) Erklärungen und stärker projüdischen Interpretationen des Textes.

Ein Exkurs "Die Exegese der Kirchenväter zu Psalm 147 und unser heutiges Verständnis" (305-312) wägt das Für und Wider der patristischen Auslegungen kritisch ab. Erfreulich ist die breite Berücksichtigung auch des reformatorischen Verständnisses bei Luther und Calvin. Was man schmerzlich vermißt, ist eine umfangreichere Darstellung der Geschichte der historisch-kritischen Erforschung von Ps 147; vieles wird nur am Rande gestreift. Die auf die Gegenwart bezogenen Überlegungen (13-17; 354-356) aktualisieren die Botschaft des Psalms im Blick auf die politischen Weltereignisse der letzten Jahre.

Insgesamt hat R. gezeigt, daß es sich lohnt, auch über diesen prima vista wenig originellen Psalm eine Monographie zu schreiben.