Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2009

Spalte:

1011–1013

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mahali , Faustin

Titel/Untertitel:

The Concept of Poverty in Luke in Perspective of a Wanji from Tanzania.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene 2006. 282 S. 8° = Makumira Publications, 14. Kart. EUR 20,00. ISBN 978-3-87214-901-5.

Rezensent:

Matthias Ahrens

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Fihavango, George Mark D.: Jesus and Leadership. Analysis of Rank, Status, Power and Authority as Reflected in the Synoptic Gospels from a Perspective of the Evangelical Lutheran Church in Tanzania (ELCT).
Neuendettelsau: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene 2007. 348 S. 8° = Makumira Publications, 16. Kart. EUR 20,00. ISBN 978-3-87214-903-9.

Die Arbeit von George Mark D. Fihavango »Jesus and Leadership« ist anregend von vorn gelesen: Mehr als 40 Jahre nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten sollte, so führt er ein, nicht mehr das Thema Befreiung die kirchliche Debatte bestimmen, sondern eine »Theology of Reconstruction« (20 ff.). Nur mit entsprechenden Führungskonzeptionen seien die »economic, social, political, moral etc.« (13) Probleme der afrikanischen Gesellschaften angemessen in den Blick zu nehmen. Im Kampf um Unabhängigkeit sei etwa Mose ein wichtiges Vorbild gewesen, »courageous enough to confront the oppressor« (20). Doch in Zeiten der »Reconstruction« seien andere Leitbilder gefragt, wie Esra und Nehemia (21). Fihavango befragt die synoptische Tradition nach Kriterien guter Führung.
Die Arbeit ist auch interessant von hinten gelesen: Wie die lutherische Kirche in Tansania (ELCT) organisiert ist, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielt, was Mitglieder und was der Staat von ihr erwarten, welche Themen sie bewegt und welche Konflikte sie erregt – das schildert Fihavango in der zweiten Hälfte seiner Arbeit (225 ff.). Die Darstellung afrikanischer Kirchlichkeit stiftet zum Vergleich mit dem hierzulande Gewohnten an und hebt die Besonderheiten auf beiden Seiten hervor. Diese Arbeit über die lutherische Kirche in Tansania wurde in Deutschland geschrieben – die engen Verbindungen gründen zwar in der Kolonialzeit, haben sie aber offenbar lebendig überdauert.
Breiten Raum widmet Fihavango dem Bischofsamt. Wie in Deutschland hat es sich auch in Tansania erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s als Führungsmodell durchgesetzt. Kritisch schildert Fihavango die geschichtlichen Abläufe und die theologischen Überlegungen, die zu diesem Ergebnis führten.
Den Entwicklungen der ELCT, die oft weniger theologisch als realpolitisch begründet waren, will Fihavango das Führungsmodell Jesu aus den synoptischen Evangelien entgegenstellen. Die sozialwissenschaftliche Exegese, wie in Deutschland besonders W. Kahl sie vertritt, bezeichnet er als den Ansatz, der besonders gut den Blick auf den Kontext Tansanias ermöglicht. In diesem Kontext will er allerdings mit der Autorität der Bibel operieren (können). So scheint zwischen dem sozialwissenschaftlichen Ansatz, der gerade die Verbindlichkeit der Bibel in Frage stellt, und der Absicht Fihavangos eine gewisse Spannung zu bestehen.
Das Modell von Führung, das Fihavango der lutherischen Kirche in Tansania empfiehlt (u. a. 245), entwickelt er aus den Berichten vom Rangstreit der Jünger (Mt 20,20–28p und Lk 22,24–27). Im Ergebnis skizziert er ein »Dienermodell« (servant model) von Führung. Es ist gekennzeichnet durch die Begriffe Demut, Haushalterschaft, gesteuerte Machtausübung und Versöhnung (315 f.) – genau die Eigenschaften, die – wie Fihavango vorher deutlich gemacht hat – den Führungspersonen der ELCT häufig fehlen.
Nicht alle Teile der Arbeit passen so gut zusammen. So nimmt Fihavango den Gedanken der Theology of Reconstruction vom An­fang später nicht wieder auf. Und einige sozialwissenschaftliche Ansätze zum Thema Führung, die er einführt, stehen etwas un­verbunden neben dem eigentlichen Anliegen, dem Beitrag zur Kirchenreform in Tansania. Insgesamt stellt sich das, was als exege­tische Arbeit angekündigt ist, als theologisch und sozialwissenschaftlich fundierter Interventionsversuch heraus.
Faustin Mahali hat für seine Arbeit einen ganz ähnlichen Aufbau gewählt: Einer Einführung folgt der exegetische Teil, dann die umfangreiche Darstellung der »Perspective of a Wanji of Tansania« und zum Abschluss die Zusammenschau. Allerdings möchte Mahali »the Concept of Poverty in Luke« aus der «Perspektive eines Wanji« weniger verstehen als vielmehr korrigieren. Er wirft dem Evangelis­ten Lukas vor, sich von der Verkündigung Jesu entfernt zu haben. Es ginge ihm, der für reiche Gemeinden schreibe, nicht (mehr) um die Selbstorganisation der Armen, sondern um ihre Versorgung im antiken Klientensystem. Zugleich wirft Mahali seiner Kirche vor, ihren Umgang mit Armut an dem Konzept des Lukas zu orientieren. Dieses Verständnis habe die ELCT von den deutschen Missionaren übernommen. In der Einführung spricht er noch davon, die Untersuchung (indigener) kultureller Formen könne die »interpretation of theological themes in the Bible« bereichern. Er bedauert, dass »using socio-anthropological methods in most of the Churches in Tanzania has been a taboo« (11). Spätestens im Abschnitt »Wanji Family Life and Poverty« wird aber deutlich, dass Mahali allein die kulturellen Formen der Wanji als Norm gelten lässt.
Gerade der zentrale Abschnitt »Wanji Family Life and Poverty« genügt wissenschaftlichen Anforderungen nicht. So führt Mahali zwar ein: »the Wanji ethnic group is an accumulation of several clans from various ethnic groups« (137 f.). Von einer Vielfalt der Lebensformen, von Konflikten derer, die da zusammenkamen, oder von Anpassungsprozessen ist aber im Folgenden keine Rede mehr. Im Singular behandelt Mahali »Wanji Family Patterns«, »Religious Thought of a Wanji Family« und »Socio-economic Structures of a Family«. Dabei beabsichtigt er »to reconstruct socio-cultural patterns before the coming of missionaries and colonialists« (14). Auf welche Quellen er sich dabei bezieht, bleibt offen. Mahali zeichnet eine zeitlose ländliche Welt, die von Sippen geprägt ist und in der ein gegenseitiges Geben und Nehmen (»reciprocity«) die Beziehungen bestimmt. Alleiniger Lebenszweck ist die Fortpflanzung der Sippe.
Ganz selbstverständlich haben Hexen, Zauberer und Regenmacher ihren Platz in dieser Welt. Weder hier noch an anderer Stelle problematisiert Mahali entsprechende Auffassungen. Umgekehrt nimmt er externe Kritik am »Wanji Family Life« sofort auf, um sie zu widerlegen, wie beim Thema Polygamie (154 f.). Die Argumentation ist einfach: Diejenigen (Missionare), die »Wanji Family Life« kritisch sehen, haben dessen Strukturen einfach nicht verstanden.
Einerseits ist die Wertung klar: »Wanji Family Patterns«, »Religious Thought of a Wanji Family« und »Socio-economic Structures of a Family« an sich bilden geradezu ideale Strukturen für das (Wanji-)Leben – genauer: Sie täten das, wenn ... Und hier kommen dann wenig systematisch Missionare und deutsche ebenso wie britische Kolonialisten ins Spiel, die Rolle des Islam, die Frage der Verkehrssprache für Tansania, usw.
So versteckt sich hinter dem klaren Aufbau eine verquere Argumentation: Mahali wirft Lukas vor, anders als Jesus auf Armut zu reagieren, und wirft zugleich der Kirche in Tansania vor, sich eher an Lukas als an den Wanji zu orientieren. So arbeitet er sich an wirklichen oder vermeintlichen Problemen ab, ohne zu einer konstruktiven Fragestellung vorzudringen, z. B. Jesu Umgang mit Armut mit dem der Wanji zu vergleichen oder gar den Umgang der Wanji an der Jesus-Überlieferung zu messen – und damit zu relativieren.
Zwei Arbeiten wurden vorgelegt, die im Titel ausdrücklich auf den gesellschaftlichen Hintergrund der Autoren hinweisen, zwei Arbeiten, die Möglichkeiten und Grenzen des ausdrücklichen Kontextbezugs deutlich machen: Fihavango will in die Gestaltung seiner Kirche eingreifen. Dazu beschreibt er deren Geschichte, Struktur und sehr kritisch auch ihr Leben. Mahali dagegen konstruiert sich einen Kontext, das Leben der Wanji, wie es ohne Missionare und Kolonialisten, wie es ohne die moderne Welt sein könnte. Dass er auf dieser Grundlage zur Gestaltung seiner Kirche oder seiner Gesellschaft beitragen kann, erscheint fraglich.