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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

1001–1010

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Naumann, Kolja

Titel/Untertitel:

Eine religiöse Referenz in einem Europäischen Verfassungsvertrag.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XVII, 281 S. gr.8° = Jus Internationale et Europaeum, 22. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-16-149704-9.

Rezensent:

Helmut Goerlich

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Ottenberg, Daniel: Der Schutz der Religionsfreiheit im internationalen Recht.
Baden-Baden: Nomos 2009. 266 S. gr.8° = Saarbrücker Studien zum Internationalen Recht, 40. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-8329-3833-8.

Ungern-Sternberg, Antje von: Religionsfreiheit in Europa. Die Freiheit individueller Religionsausübung in Großbritannien, Frankreich und Deutschland – ein Vergleich.
Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XXIII, 404 S. gr. 8° = Jus Ecclesiasticum, 86. Lw. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-149682-0.

Wick, Volker: Die Trennung von Staat und Kirche.
Jüngere Entwicklungen in Frankreich im Vergleich zum deutschen Kooperationsmodell. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XVII, 298 S. gr.8° = Jus Ecclesiasticum, 81. Lw. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-149342-3.

Bloss, Lasia: Cuius religio – EU ius regio? Komparative Betrachtung europäischer staatskirchenrechtlicher Systeme, status quo und Perspektiven eines europäischen Religionsverfassungsrechts.
Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XX, 336 S. gr.8° = Jus Ecclesiasticum, 87. Lw. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-149829-9.

Kadelbach, Stefan, u. Parinas Parhisi [Hrsg.]: Die Freiheit der Religion im europäischen Verfassungsrecht.
Baden-Baden: Nomos 2007. 194 S. gr.8° = Schriften zur Europäischen Integration und Internationalen Wirtschaftsordnung, 9. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-8329-2947-3.

Koenig, Matthias, u. Jean-Paul Willaime [Hrsg.]: Religionskontroversen in Frankreich und Deutschland.
Hamburg: Hamburger Edition 2008. 475 S.8°. Geb. EUR 35,00. ISBN 978-3-936096-96-5.

Für einen ersten Zugang zum nationalen Religionsrecht empfiehlt sich neben den Lehrbüchern zum Staatskirchenrecht ein Griff zu einem Kommentar, also etwa zum dritten Band des von Horst Dreier herausgegebenen Standardwerks »Grundgesetz Kommentar«, worin man von Martin Morlok unter Art. 140 des Grundgesetzes (GG) eine ausgezeichnete Kommentierung findet, ebenso vom gleichen Autor für Art. 4 GG – dem Ort der Gewissens-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – im ersten Band dieses Werkes. Das Werk bietet die natio­nale Perspektive, reicht aber auch über sie hinaus. Monographien verengen die Thematik oft auf eine Fragestellung: etwa auf den Gedanken der Trennung von Staat und Religion neben dem der Ko­operation als Vergleichsmaßstab oder demjenigen der Religionsfreiheit als Sonde der Rechtsvergleichung. Zu­gleich spielt der Einstieg eine erhebliche Rolle, etwa von welchem akademischen Lehrer Einflüsse ausgingen, sofern dieser ausdrücklich Position bezogen hat oder aber aus einem bestimmten religionspolitischen Kontext stammt; dabei spielt zudem die Lage im Heimatstaat eine Rolle; bedeutsam ist jedoch auch, ob eine eher die Homogenität der Konzeption in Frage stellende Sicht – etwa aus der Perspektive des Völkerrechts – der Ausgangspunkt ist. Die internationale und europäische Perspektive jedenfalls nehmen die Dissertationen von Bloss, Ungern-Sternberg und Wick ein, aber auch diejenige von Ottenberg. Sie zeichnen sich zudem dadurch aus, dass sie einander ergänzen: Bloss behandelt das Thema – wie schon die Wahl des Titels, der an cuius regio, eius religio erinnert, andeutet – aus der Perspektive dessen, der eine objektive Ordnung sucht. Demgegenüber befasst sich Wick eingegrenzt mit dem jüngeren System der Trennung von Staat und Kirche in Frankreich (1905), das allerdings zunehmend erodierend auf dem Weg zu einer meist verdeckten Kooperation ist. Ungern-Sternberg hingegen bemüht sich, den Raum der freien Religionsausübung bei den unterschiedlichen Mustern des Verhältnisses von Staat und Kirchen auszuloten, wobei nicht zufällig die Europäische Menschenrechtskonvention in der Regel die gemeinsame Perspektive zur Verfügung stellt. Ottenberg orientiert sich dagegen ganz am internationalen Recht; eine Thematik, die dann weithin ohne die staatliche Ebene auskommt.
Ottenberg behandelt sein Thema nämlich anhand der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und des weltweiten Paktes der UN über bürgerliche und politische Rechte von 1966 sowie der existierenden Regionalpakte, darunter auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Es fehlt bekanntlich noch an einer asiatischen Rechteerklärung, was aber inzwischen offenbar auch dort nicht mehr als unproblematisch empfunden wird. Abgesehen davon ist anzumerken, dass in der islamischen Welt noch immer Einschränkungen der Glaubensfreiheit bestehen, die grundsätzliche Fragen aufwerfen.
Religionsfreiheit ist vorzugsweise, jedenfalls nach westlichem Verständnis, auch mit der Freiheit des Religionswechsels, sicher aber der des Glaubenswechsels im Sinne individueller Glaubensfreiheit verbunden. Das beruht auf dem Konzept des freien Willens des Individuums als Träger von Rechten und Befugnissen, wie es seit dem Nominalismus von William von Ockham Teil der westlichen Kultur ist, worauf Bloss, wie auch sonst historisch-theoretisch gut belegt, hinweist. Diese Basis findet sich auch in der Erklärung von 1948, ist allerdings in Deutschland nicht ausdrücklicher, sondern nur impliziter Bestand der institionellen Texte. Auf internationaler Ebene hat der erwähnte Pakt von 1966 wiederum in Art. 18 daran festgehalten. Die ausdrückliche Garantie des freien Religionswechsels ist für den Islam noch nicht hinnehmbar.
Die Strukturen des internationalen Schutzes der Menschenrechte werden anhand des neu geschaffenen Menschenrechtsrats, der Sonderbeauftragten, der Beschwerdeverfahren sowie der Staaten- und der Länderberichte erläutert. Diese Instrumente sind nicht unbedingt effektiv, sie gestatten aber doch eine gewisse Kontrolle gegenüber den Staaten. Auch schließen sie heute aus, dass der Bock zum Gärtner gemacht wird, also etwa ein Staat den Vorsitz in einem Gremium erhält, der nach seiner Doktrin und Praxis als notorischer Kandidat für intensive Rügen wegen fortgesetzter Rechtsverletzungen gelten muss, wie dies am Ende der Menschenrechtskommission als Teil des Schutzsystems und als Vorgänger des jetzigen Rats geschehen war. Ottenberg bietet aber auch auf dieser Ebene schon knappe Schilderungen von Sachverhalten, die zu Beschwerden Anlass gegeben haben. Das macht die Verfahren und das materielle Recht, soweit es konkretisiert ist, sehr anschaulich.
Die Anschaulichkeit steigert sich dann im nächsten, sehr viel umfassenderen Kapitel durch eine eingehende Darstellung des regionalen Schutzes der Religionsfreiheit unter der EMRK. Es werden nicht nur ältere Fälle aus der Zeit der Europäischen Menschenrechtskommission, sondern auch die heutigen Fälle aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg berichtet. Dies geschieht mit knappen, kursiv hervorgehobenen Abschnitten zu den Sachverhalten, über die jeweils zu entscheiden war. Zudem baut die Untersuchung ihre Gedankenfolge entsprechend der Systematik der Freiheitsgewährleistung, ihrer unterschiedlichen Schutzbereiche sowie der zugehörigen Diskriminierungsverbote und Beschränkungsmöglichkeiten auf. Auch die Dogmatik der Beurteilungsspielräume zu Gunsten der Konventionsstaaten ist auf diesem Wege erfasst. Das gilt auch für die in­zwischen etablierte Anerkennung von Religionsgemeinschaften als rechtlichen Trägern der Religionsfreiheit, für die Verpflichtung des Staates auf Neutralität und zur Friedenssicherung im religiösen Bereich und damit für Fragen, die herkömmlich dem Staatskirchenrecht zugeordnet werden, nun aber Antworten in Schutz- und Verhaltenspflichten finden, die das regionale Konventionsrecht gegenüber den Staaten auslöst. Damit erweist sich die EMRK als eine Art Teilverfassungsrecht einer regionalen Rechtsgemeinschaft, das neben elementare, Freiheit sichernde Regelungen des nationalen Verfassungsrechts tritt und diese allmählich determiniert.
Vervollständigt wird die Darstellung durch eine Präsentation der Gewährleistungen in der Europäischen Union (EU), welche zunächst die fundamentalen Freiheiten als ungeschriebene Rechte– und darunter auch die Religionsfreiheit – anerkannt und dann vor allem Diskriminierungsverbote entwickelt hat. Später erfolgte ein Bezug auf die fundamentalen Freiheiten und Rechte der EMRK im Vertragstext und inzwischen hat die EU ihre eigene Charta der Grundrechte im Jahre 2001 erklärt, die nunmehr als Rechtserkenntnisquelle dient und mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ausdrücklich und alsdann textuell geltendes Recht sein wird. Auf diesen Grundlagen ist ein weiterer Satz von Fallrecht entstanden, den man präsentiert findet. Dies ist insofern zusätzlich von Interesse, als die Marktstruktur der europäischen Integration auch weitere institutionelle Aspekte der Religionsfreiheit berührt, etwa im Dienst- und Arbeitsrecht, im Recht des Datenschutzes und auch in Fragen der Finanzierung und Förderung von Religionsgemeinschaften. Im Falle des Unionsrechts verbindet sich mit diesem Rechtsbestand der Anspruch der Supranationalität dieses Rechts, d. h., es ist vorrangig anzuwenden im Verhältnis zum nationalen Recht. In dieser Normativität macht es zugleich das Konventionsrecht der EMRK für die Staaten, die zugleich Unions- und Konventionsstaaten sind, mit erheblicher Durchschlagskraft verbindlich. Dies erreicht das Unionsrecht, indem es das Schutzniveau der EMRK in den Schlussbestimmungen seiner Grundrechte-Charta zum Standard erklärt, der nicht unterschritten werden darf. Auch das kommt in der Arbeit von Ottenberg zum Ausdruck und macht klar, weshalb die Darstellung auch des Unionsrechts in ihrem Zusammenhang unverzichtbar ist.
Demgegenüber fällt, darauf weist er in den letzten Teilen der Arbeit hin, die Dichte des Schutzes der Religionsfreiheit in anderen Weltregionen deutlich ab: etwa im interamerikanischen Kontext, weil keine obligatorische Jurisdiktion entstanden ist. Daher ist die Fallanschauung auch sehr viel geringer als in Europa, obwohl die Entwicklung hin zu einer Rechteerklärung schon 1938 einsetzte und 1948 vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu einem Abschluss kam. Im asiatischen Raum dagegen fehlt es noch am entscheidenden Schritt, weil es – wie schon angedeutet – noch keine Erklärung zum Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten auf regionaler Ebene gibt. Auf dem Papier steht es in Afrika etwas besser. Aber auch hier entfaltet der universale Anspruch solcher Gewährleistungen nur allmählich eine gewisse nachhal­tige Wirkung. Insgesamt ist der Feststellung Ot­tenbergs beizupflichten, dass der Schutz der Religionsfreiheit auf internationaler Ebene schon sehr deutliche Konturen aufweist – trotz gelegentlich erheblicher Inkonsistenzen in der Rechtsprechung, etwa zum Recht der Eltern, auf die religiöse Kindererziehung maßgeblich einzuwirken, wie Ottenberg zu Recht kritisch notiert. Die in Saarbrücken von Torsten Stein angenommene Ar­beit führt nicht nur solche Schwächen, sondern auch die Generallinie der Entwicklung im Detail vor und ist deshalb von erheblichem Wert.
Die bei Stefan Kadelbach entstandene Münsteraner Dissertation von Ungern-Sternberg geht ebenfalls von der internationalen, insbesondere von der für sie allein maßgeblichen europäischen Ebene aus. Sie macht die Religionsausübung zum zentralen Gegenstand. Rechtlich gesehen hat sie das Ziel zu zeigen, wie die Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK eine gewisse Ausstrahlung auf die nationalen Rechtsordnungen der Konventionsstaaten auch dann hat, wenn diese keine entsprechende Garantie im nationalen Verfassungsrecht besitzen, sei es, weil eine Rechteerklärung überhaupt lange fehlte, wie in Großbritannien, das erst seit dem Jahre 2000 mit der Human Rights Act (1998) die EMRK nach innen umgesetzt hat, sei es, wie in Frankreich, dass die Religionsfreiheit mit gewissen negativen Konnotationen aus dem objektiven Prinzip der Laizität der Republik abgeleitet wurde. Das führt zu einem gemeinsamen Standard, der in Deutschland durch die weite Auslegung des Art. 4 GG etwas früher erreicht war, weil das Grundgesetz hier einen eigenen Schub in der Rechtsentwicklung mit sich brachte, der allerdings nicht dazu führte, den Religionswechsel ausdrücklich zu garantieren, wie dies die internationalen Texte oft tun – wohl ein Relikt der Rücksicht auf die territoriale Religionsherrschaft im alten Reich. Das historische Interesse wird in dieser Arbeit allerdings gepflegt wie auch die Entfaltung der Toleranztradition der Aufklärung. Aber auch dort geht es Ungern-Sternberg nicht um einen gemeinsamen Standard auf europäischer Ebene, sondern darum, wie sich dieser Standard im jeweiligen nationalen Recht ausgewirkt hat. Sie schreibt schließlich nicht über das Religionsrecht der EU, sondern über die Religionsausübung in Europa. Dabei spielt natürlich die europäische Ebene eine Rolle, indem sie in das nationale Recht einwirkt, wie dies eben mit Art. 9 EMRK der Fall ist. Die europäische Ebene ist aber nicht selbst kraft ihrer Supranationalität oder auf Grund der Qualität der EMRK als europäisches Instrument eines im Entstehen befindlichen Verfassungsrechts von Interesse, sondern kraft ihrer heuristischen Funktion für die Rechtsfortbildung im jeweiligen nationalen Recht selbst.
Die Darstellung des Schutzes der Religionsausübung nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch privat – wie z. B. in der Wirtschaft –, ist umfassend gehalten. Sie reicht für Frankreich bis in die Verästelungen der Rechtsprechung, die die Trennungsperspektive der Gesetzeslage in eine religionsfreundliche Praxis des Staates überführt hat, der neuerdings – schon unter Präsident Chirac­ und nun auch unter Präsident Sarkozy – eine politische Linie der Öffentlichkeitsarbeit entspricht. In Großbritannien ist die Entwicklung durch der Human Rights Act an einen Punkt gelangt, der den Anschluss an die inzwischen etablierten Standards des Art. 9 EMRK gestattet und stabilisierend wirkt. Auch die deutsche Rechtslage findet man eingehend dargestellt. Darauf folgt ein Vergleich der Entwicklungslinien und des erreichten Stands, der gründlich ausgefallen und ebenso systematisch angelegt ist wie die Länderstudien. Dabei wird auch die Rechtssprechung zur EMRK mit den Erträgen aus den drei Ländern verglichen, so dass sich das Bild abrundet. Auffällig ist, dass in der deutschen Tradition der Bezug auf die Menschenwürde die Religionsfreiheit hervorhebt, während die westlichen Rechtsordnungen eher auf die Bedeutung dieser Freiheit für die demokratische Ordnung, ihre Identität stiftende Wirkung und multikulturellen Aspekte der Lebensgestaltung dank dieser Freiheit abheben. Der Unterschied manifestiert sich auch darin, dass nur in der deutschen Tradition die Kriegsdienstverweigerung in den Zusammenhang der Religionsfreiheit gestellt ist — wie auch international die Kriegsdienstverweigerung allenfalls nach den Umständen, nicht aber als eigenes Recht ermöglicht wird (etwa im Falle von unerlaubtem Zwang, auch dem Zwang zur Teilnahme an rechtswidrigen Aktionen, von an Folter grenzender Behandlung oder anderen untragbaren Sanktionen).
Insgesamt ist diese Untersuchung ein Ausweis für eine vertiefte wissenschaftliche Durchdringung des Gegenstandes. Sie trägt zu einer allmählichen Harmonisierung der Standards bei und zeigt – gerade gegenüber der deutschen Tradition – die Funktion der Religionsfreiheit für die demokratische Ordnung und für die rechtliche Strukturierung der Verhältnisse auf nach nicht mehr rück­hol­ba­ren Veränderungen auf dem Weg zu einer Vielfalt religiöser und weltanschaulicher Kulturen in den früher auf den ersten Blick so homogenen Nationalstaaten. Insofern ist diese grundsolide Arbeit zwar eine durch und durch innereuropäische Leistung, führt aber über den bisherigen rechtsdogmatischen Tellerrand der Juristen deutlich hinaus und ist deshalb schon einem weiteren Leserkreis nachhaltig zu empfehlen (in diesem Sinne schrieb dieser Tage geradezu liebevoll E.-W. Böckenförde, FAZ Nr. 72 vom 26.03.2009, 34).
Die Arbeit von Wick, eine vor allem von Stefan Muckel betreute Dissertation, ist demgegenüber eine Untersuchung, die sich den engeren Gegenstand der Trennung von Staat und Kirchen in Frankreich im Vergleich zum deutschen Kooperationsmodell wählt. Er wird auf der Basis der französischen Entwicklung seit der Trennungsgesetzgebung, die zu Beginn des letzten Jh.s einen Abschluss fand, eingegrenzt. Das hat den Nachteil, dass die weiteren Hintergründe seit der französischen Revolution, dem Konsulat und darüber hinaus sozusagen aus dem Sichtfeld dieser Bochumer Dissertation herausfallen. Dafür müsste die eben vorgestellte Untersuchung von Ungern-Sternberg zumindest herangezogen werden, die auch zeigt, dass in Frankreich in Wahrheit eine Vielfalt der Regelungsmuster anzutreffen ist: von einem quasi-staatskirchlichen Muster bis hin zur Trennung über die Besonderheiten in den östlichen Departements, die Anfang des vorigen Jh.s deutsch waren und dann nach Frankreich zurückkehrten.
Auch fehlt der Untersuchung von Wick die transatlantische Perspektive ganz. Auf der Basis historischer klassischer Formulierungen findet man die Metapher von der »wall of separation« zwischen Staat und Kirchen ja immer wieder herangezogen, um volle Religionsfreiheit mit Trennungskonzepten zu verbinden. Inzwischen zeigen allerdings auch jüngere amerikanische Untersuchungen, dass das so nicht richtig ist, dass vielmehr der Staat, wenn er alle Religionen und Weltanschauungen gleich behandelt, durchaus religionsfreundlich agieren kann. Das heißt, das Problem ist die strikte Gleichbehandlung; es geht also keineswegs um irgendeine schematische Trennung von Religionen, Weltanschauungen und Staat. Besonders deutlich arbeitet das Martha C. Nussbaum heraus in ihrer im letzten Jahr in New York veröffentlichten Schrift zur Freiheit des Gewissens als Teil der amerikanischen Tradition religiöser Gleichbehandlung. Das erklärt im Übrigen auch, weshalb die amerikanische Tradition mit dem auf den ersten Blick deistischen Gott, der in der Unabhängigkeitserklärung, im allgemeinen Treueid, auf kleinen Münzen und in feierlichen Reden erscheint, keinerlei Schwierigkeit hat, bis hin zu den Schlachtgesängen des Bürgerkriegs, die das Ziel der Sklavenbefreiung religiös fassten. Heute wird diese Sorglosigkeit von kleinen intellektuellen, ausdrücklich atheistischen oder agnostischen Segmenten der Gesellschaft allerdings zunehmend in Frage gestellt.
Wick geht es aber im Gegensatz zu diesen Grundsatzfragen um einen pragmatischen Vergleich, um die Entwicklung in Frankreich und in Deutschland aus einer praktischen Sicht. Das führt dazu, dass die Laizität des späten 19. Jh.s heute eingefangen ist von den älteren, menschenrechtlich geprägten Rechtsschichten der französischen Tradition, also gar nicht mehr den tragenden Grundsatz schlechthin abgibt. Das ist vor allem ein Verdienst der Rechtsprechung, wie auch andere gezeigt haben, zunächst des Conseil d’Etat, des höchsten Verwaltungsgerichts in Frankreich, dann aber auch des Conseil constitutionnel, der Funktionen eines Verfassungsgerichts wahrnimmt. Letzterer hat in etwa parallel zur Entfaltung der Rechtsprechung zu Art. 9 EMRK die Maßstäblichkeit der Religionsfreiheit für seine Tätigkeit über die Brücken der Präambeln der Verfassungen von 1958 und 1946 hin zur Erklärung der Menschenrechte von 1789 hergestellt, und zwar auch in dem Sinne, dass der Staat religiös neutral zu sein hat. Das mündet in Maximen der Gleichbehandlung. Es erreicht wohl nicht die Rigidität wie im amerikanischen Falle. Aber die Probleme und ihre Abarbeitung ähneln sich nach dieser Entwicklung in erstaunlicher Weise. Zwar sind die Lösungen nicht immer dieselben, aber das normative Gerüst, das angelegt wird, ist vergleichbar. Das macht alsdann auch den europäischen »Ausblick« der Arbeit möglich, der zum gescheiterten europäischen Verfassungsvertrag, im Rahmen dessen aber auch zur Europäischen Grundrechte-Charta führt. Zwar ist der Vertrag von Lissabon, der diese Verfassung abgelöst hat, noch immer nicht in trockenen Tüchern, seine Aussichten bessern sich aber. Er enthält alles, was hier unter Aspekten der Religionsfreiheit von Interesse ist; und auf jeden Fall wird die Grundrechte-Charta der Europäischen Union weiter als Rechtserkenntnisquelle dienen. Sie enthält in Verbindung mit der älteren, religionsrechtlich be­deutsamen Protokollerklärung zum Amsterdamer Vertrag wiederum alle bedeutsamen Gewährleistungen, auch diejenigen, die für eine Fortentwicklung des Kooperationsverhältnisses zwischen öffentlicher Gewalt und Religions- wie Weltanschauungsgemeinschaften erforderlich sind. Selbst wenn die Respektierungs-, Ko­operations- und Dialogklauseln nun im Vertrag über die Ar­beits­weisen der Union, der im Vertrag von Lissabon enthalten ist, mit diesem Vertragswerk noch einmal scheitern sollten, gibt es keinen Weg zurück, zumal die Rechtsprechung zur EMRK auch korpora­tive und kollektive Formen der Religionsausübung unter Art. 9 EMRK verbracht hat, eine Zurücksetzung insoweit also auch von dieser Seite her nicht mehr möglich ist, da die Europäische Union den Stand dieser Rechtsprechung anerkennt.
Das Verdienst der Arbeit von Wick liegt mithin darin, die französische Entwicklung und die dortige Debatte wirklich in aktueller Weise wieder präsent gemacht zu haben – wie vor längerer Zeit etwa A. von Campenhausen. Dabei zeigt sich auch ein wenig, wie provinziell unsere Aufregung manchmal ist, vor allem, wenn es einerseits um das Kopftuch oder andererseits um staatliche Aufwendungen für religiöse Zwecke geht. Die wirklichen Fragen liegen in der Tat auf der Ebene einer Neutralität und Säkularität des Staates wahrenden Gleichbehandlung auch derer, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg hinzugekommen sind und nun dazuge­hören, also vor allem des Islams, asiatischer Religionen, atheis­tischer Weltanschauungen und herkömmlich als sektiererisch diskriminierter Gruppen. Kooperationsstrukturen erhalten zugleich allerdings auch Elemente des Staatskirchenrechts, das bisher historische Kirchen be­vorzugte, heute aber in diesen Rahmen einer egalitär gesehenen Religionsfreiheit eingefügt ist. Damit wird der Staat jedoch nicht entlassen in eine kirchenpolitische Beliebigkeit, sondern eben in Strukturen der Gleichbehandlung und der Rück­sicht. Dass das der richtige Weg ist, das zeigen gerade auch die französischen Entwick­lungen, die diese Schrift zudem auch durch einen ausgezeichneten Anhang belegt, der viele Rechtstexte enthält, die in der Regel nicht leicht zugänglich sind.
Die Dissertation von Bloss ist eine hervorgehobene europäisch-internationale Arbeit, die als gemeinsame Promotion der Universität Trier und der Hebrew University, Jerusalem, angenommen wurde. Sie weist mit ihrem Titel auf den Zusammenhang zwischen Recht und Religion hin, ohne eine bestimmte Verbindung zwischen beiden oder zwischen einer bestimmten Religion und der europäischen Rechtsregion zu behaupten. Dennoch: Die Beziehung scheint zu bestehen und hier zeigt sich vielleicht der Einfluss, den Joseph H. H. Weiler während ihrer Zeit in Cambridge, Mass., auf Bloss gehabt haben mag. Weiler sieht Europa auch sozusagen nahezu immer zugleich als Religions-, nicht nur als Rechtsgemeinschaft, wobei sie nur Letzteres wirklich auch ist. Das hat ganz unabhängig von der Betreuung durch Gerhard Robbers in Trier, dem Erstgutachter in Deutschland, erhebliche Bedeutung für die Arbeit. Verstärkt wurde diese Orientierung möglicherweise durch den Zweitgutachter des Verfahrens, Izhak Englard in Jerusalem, dem Bloss im Vorwort ebenfalls überschwänglich dankt. Im Gang der Untersuchung befasst sich auch diese Arbeit mit mehreren nationalen religionsrechtlichen Ordnungen, nämlich in Großbritannien, Frankreich, Spanien und Deutschland, und dies unter dem Dach vor allem des Rechts der Europäischen Union und des Europarats, denen der vierte und letzte Teil der Untersuchung gewidmet ist. Das zielt auf ein europäisches Religionsverfassungsrecht ab, sofern es das geben kann. Zweifel daran können bestehen, sofern eine Verfassung eines Gemeinwesens sich schwerlich in eine Fülle von Subverfassungen auflösen kann, wenn allgemeine und vor allem gleiche Rechte von dieser Verfassung durchgesetzt werden sollen. Der Zugang der Arbeit ist jedenfalls eher ein objektiv-rechtlicher, von Ordnungen als solchen her, nicht von der Religionsfreiheit oder der freien Religionsausübung ausgehend. Ob sich ein solches Verfassungsrecht wirklich ausbilden soll und kann, ob es sich nicht nur um Elemente religionsrechtlicher Strukturen handeln darf angesichts der geringen Befugnisse der europäischen Ebene im Bereich des Rechtstitels »Kultur«, bleibt dabei offen.
Die Untersuchung führt in ihr Thema ein durch eine breite historisch-systematische Einleitung. Diese mündet in einen Überblick über den gegenwärtigen Stand des Staatskirchenrechts in Europa. Er setzt kennzeichnenderweise ein mit der Verfassung Maltas, führt dann zu der Griechenlands und anderer Staaten, die sämtlich dieses Rechtsgebiet nicht vom Freiheitsrecht, sondern von einer institutionellen Zuordnung einer dominanten Kirche als Staatskirche aus strukturieren. Dass dies in den großen Staaten ge­rade anders, nämlich allmählich umgekehrt verläuft, verliert sich dabei. Das führt sodann vor dem Hintergrund des »christlichen Europas«, das J. H. H. Weiler vor einigen Jahren im Rahmen seiner Spurensuche nach einem »christlichen Europa« auf »Erkundungsgängen« entdeckte, die er 2004 veröffentlichte, zu dem Versuch, auch der Europäischen Union einen solchen Rahmen überzustülpen. Das kann indes aus den schon angedeuteten Gründen nicht gelingen, nämlich mangels Kompetenz – ganz abgesehen von dem Umstand, dass jede theokratische Tendenz mit einer demokratischen Ordnung, der die Union sich zu nähern sucht, unvereinbar ist –, jedenfalls wenn man der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 9 EMRK folgt. Daher be­stehen ganz erhebliche Zweifel, ob die wissenschaftliche Perspektive, in der die Arbeit entstanden ist, in Europa tragfähig ist. Sie ist es sicher nicht jenseits des Atlantiks, wo man – wie schon erwähnt – in der dort maßgeblichen Tradition von der Religionsfreiheit und insbesondere von der Variante des religiösen Gewissens und seiner Freiheit her denkt und wo das Verfassungsrecht von daher seine prägende Gestalt gefunden hat. Sie ist es aber auch nicht, wo das Pendel zwischen Freiheit und Institution mehr und mehr zu Guns­ten gleicher Freiheit ausschlägt, wie gegenwärtig in Europa im Bereich von Kultur und Religion – zunächst in den großen Mitgliedstaaten der Union, aber zugleich im Europarat, dem auch die kleinen Staaten sämtlich angehören, die mit einem gewissen Traditionsbewusstsein, vielleicht auch in Abgrenzung zur früheren osmanischen und heute vor allem islamischen Nachbarschaft an ihrem Staatskirchenrecht festzuhalten suchen. Neben diesen skeptischen Anmerkungen ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Bloss’ Arbeit vielleicht nicht zufällig durch eine enorme historisch-philosophische Bildung hervortritt, was sich in vielen Einzelheiten zeigen ließe; indes fehlt dafür hier der Raum.
In einem stärker eurozentrischen Licht, das vom Staat her strahlt, stehen auch weitere Arbeiten, die es hier anzuzeigen gilt. Sie teilen in der Regel den Ansatz einer politischen Theologie, wie sie gegenwärtig vor allem von E.-W. Böckenförde vertreten wird, wonach das Verhältnis zwischen Staat und Kirche noch immer vom Investiturstreit geprägt scheint, also von dem Rangverhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Ordnung. Dabei ist von vorneherein anzumerken, dass in dieser Sicht die amerikanische Erfahrung des Wegs nach Westen, die ohne Staat auskommen musste und als kulturelles Gut vor allem eine freikirchlich-sektiererische Grundausstattung sozusagen mit sich führte, gänzlich ausgeklammert bleibt. Die amerikanische Erfahrung sieht Kirche nicht in der europäischen Weise als Institution, sondern als ein selbsttragendes Heilsgeschehen in der jeweiligen Gemeinde. Einen Staat, der religiös orientiert wäre, benötigt sie nicht; im Gegenteil: Sie sucht einen solchen Staat um der gleichen Freiheit für alle Denominationen, Lehren, Sekten, Weltanschauungen und was immer willen auszuschließen. Nicht anders verhält es sich übrigens auf der europäischen Ebene: Die Union und der Europarat haben um der Freiheit und der letztlich vor allem durch sie ermöglichten Vielfalt willen keine Zuständigkeiten in Religionsangelegenheiten, zu schweigen von einer Identifikation mit einer Religion, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung. Anders mag das historisch bedingt in den Mitgliedstaaten der Union und des Europarats liegen. Sie haben historisch an jener Verknüpfung von Staat und Religion Anteil, welche die Thesen von der bloß scheinbaren religionspolitischen Neutralität des Staates, von seiner letztlich religiösen Fundierung und jenen Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann, sinnfällig zu machen scheinen. Da Europarat und Europäische Union Staaten weder werden können noch sollen, sind Versuche, diese Denkmuster europäischer Staatlichkeit auf sie zu übertragen, nicht von Erfolg gekrönt.
In einem ähnlichen Zusammenhang, aber wiederum auf europäischer Ebene, stößt man auf die Arbeit von Kolja Naumann – eine Kölner Dissertation zum europäischen Verfassungsvertrag, die bei Bernhard Kempen entstanden ist. Was die durch den Titel angedeutete Thematik angeht, ist der Rezensent nicht ganz unbefangen, da er – trotz aller historischen Bezüge europäischer Staatlichkeit und europäischer öffentlicher Gewalt zu Religion, Kirche und Glaubenshaltungen – deutlich ab­geraten hat, die Aufnahme eines Gottesbezuges in europäische Vertragstexte oder Verfassungen zu verfolgen (vgl. in: I. U. Dalferth [Hrsg.], Verfassungen ohne Gottesbezug?, Leipzig 2004, 9 ff.). Dieser Rat erfolgte auch gerade im In­teresse einer richtig verstandenen Wirkung der Traditionen. Die Historie vermittelt die Erfahrung, dass es richtig ist, darauf zu verzichten, wie dort dargelegt wurde. Viel wichtiger ist es, dass der öffentliche Dialog fortgeführt wird, den der Europäische Verfassungsvertrag absichern sollte. Dies ist gegenwärtig textgleich im Vertrag über die Arbeitsweisen der Europäischen Union vorgesehen, wie oben schon angedeutet. Das genügt ebenso wie die verwirklichten Fassungen der Erwägungsgründe in den Präambeln, die von der Grundrechte-Charta über den Verfassungsvertrag bis nunmehr zum Lissaboner Vertragswerk wiederkehren.
Dennoch ist das Engagement für eine religiöse Referenz an und für sich ein Zeichen dafür, dass hier um ein öffentliches Signal gekämpft wird. Es fragt sich nur, wofür dieses Signal stehen kann. Dazu sind ganz unterschiedliche Deutungen möglich. Sie alle gehen das Risiko ein, Glauben, Religion und letztlich Gott zur Münze in ideologischen Auseinandersetzungen darüber werden zu lassen, was »Europa« oder »europäisch« ist. Damit geht die Gefahr des Missbrauchs in tagespolitischen Auseinandersetzungen einher. Sofern daraus rechtlich normative Konsequenzen gezogen werden, nehmen sie Europa nach außen und nach innen die Offenheit, die es als Teil einer weltweiten menschlichen Gesellschaft haben muss, will es Menschenrechte, den Schutz von Minderheiten und das Individuum als Teil einer demokratischen Ordnung auf seine Fahnen schreiben. Wie an anderer Stelle schon ausgeführt, sind es gerade die Gewissens- und die Glaubensfreiheit in ihrer Bedeutung für die demokratische Ordnung Europas, die eine Inanspruchnahme des Religiösen für das politische Tagesgeschäft und für die rechtlichen Grenzziehungen gegenüber dem Dissenter, dem Außenseiter und dem Abweichler verbieten sollten. Diese Auffassung gewinnt in den letzten Jahren mehr Überzeugungskraft als je zuvor. Unabhängig davon hat die Arbeit Verdienst. Naumann hat nämlich die Bedeutung von Präambeln im europäischen Recht, die verschiedenen Zusammenhänge, in denen Religionsbezüge an­zutreffen sind, und auch die Rolle des öffentlichen Dialogs mit Religionen und Weltanschauungen noch einmal und in allen Einzelheiten erschlossen.
Kritischere Töne zu einem Gottesbezug findet man in dem von S. Kadelbach und P. Parhisi herausgegebenen Band – u. a. etwa von Michael Stolleis –, unbeschadet der engagierten Positionen dagegen, die dort auch zu finden sind. Dieser Band, der auch eine Zu­sam­menfassung der Dissertation von Ungern-Sternberg aus ihrer Feder enthält, in der sie noch deutlicher die Vereinbarkeit von Staatskirche und Religionsfreiheit am Beispiel Großbritanniens hervorhebt, versucht insgesamt, knapp, aber umfassend die aktu­ellen Kontroversen darzustellen. Man findet in ihm deshalb Stellungnahmen z. B. zu Fragen von Religion und Frauenemanzipation, zu Islam und Toleranz, zum Karikaturenstreit und zur Religion als »vorpolitischer« Quelle der Menschenrechte. Daneben stößt man aber auch auf Übersichtsartikel, etwa zur Vereinbarkeit der Rechtsprechung zur EMRK mit deutschem Religionsrecht und zur aktuellen Problemlage der Freiheit des Glaubens und der ungestörten Religionsausübung in Deutschland. Darüber hinaus bietet der Band Beiträge aus engagierter katholischer und protestantischer Sicht zur europäischen Rechtsentwicklung, die aber doch in die Erkenntnis münden, dass die Europäische Union mit ihrer heute bestehenden Bereitschaft zum steten Dialog mit Religionen, Kirchen und Weltanschauungen, die nun auch im Vertrag über die Arbeitsweisen der Union als Teil des Vertrags von Lissabon festgehalten und verbindlich gemacht ist, sozusagen religionspolitisch àjour ist. Deshalb ist es nicht mehr zu beklagen, dass sie – scheinbar religionspolitisch blind – tatsächlich an einigen Stellen mit Religion in Konflikt gerät, ohne das wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Beklagt wird von einzelnen Autoren in dem Band allerdings immer noch, dass sich die Union des Menschenbilds nicht bewusst sei, das sie zu Grunde lege oder das ihr zu Grunde zu legen sei. Dem findet man aber entgegengehalten, dass die Union so geschlossen nicht sein kann, ja dass selbst nationale Verfassungen sich solchen Deutungsversuchen mit Rücksicht auf Freiheit und Pluralität entziehen müssen. Insofern ist dieser Sammelband nicht einäugig und deswegen recht informativ. Besonders hervorzuheben ist dabei auch, was Ernst G. Mahrenholz zur Toleranz ausführt. Sie ist zwar, wie Frank Rottmann in der Festschrift der Juristenfakultät der Universität Leipzig zum 600-jährigen Bestehen der dortigen hohen Schule zeigt, heute nicht mehr nur ein religionspolitisches oder moralisches Konzept, sondern eingegangen in die rechtliche Sicherung von Freiheit durch Rechte und Pflichten. Aber dennoch ist der diese Rechte tragende Respekt Voraussetzung für die Normativität von Recht und Gesetz in Ansehung von Religion, Weltanschauung, Gewissen und Bekenntnis. Im Übrigen findet man in dem Band auch einen umfassenden Bericht des zweiten Herausgebers zur Stellung der Frau im Iran sowie eine gute Übersicht über die Auslegung von Art. 9 EMRK.
Für einen Blick über die eigenen Verhältnisse hinaus sind solche Berichte und Sammelbände von großem Nutzen, die den zwischenstaatlichen oder den innereuropäisch grenzüberschreitenden Dialog verschiedener Gesellschaften widerspiegeln. Das ist in dem deutsch-französischen Band der Fall, den M. Koenig und J.-P. Willaime herausgegeben haben. Neben vor allem religionssoziologischen Arbeiten enthält das Buch zahlreiche Klärungen und Fallstudien, die zeigen, wie unterschiedlich die Auseinandersetzungen verlaufen, die Argumente platziert sein und die Lösungen ausfallen können. Es geht um Begriffe wie »Säkularisierung« und »Laizität«, um Nation, Religion und den postmodernen Staat, um Kulturkämpfe als Ausgangspunkte einer Religionssoziologie, um Durkheim und die Laizität, um weitere klassische Religionssoziologen wie Simmel und Max Weber, um religiösen Wandel, Kreuz und Kopftuch, um die Beheimatung einer Moschee in einer Kleinstadt, um Religionsunterricht und kollektives Gedächtnis, um die Berliner Auseinandersetzungen um einen Werteunterricht sowie um Religionssemantiken in europäischen Institutionen.
Die Autoren sind im Wesentlichen deutsche oder französische Soziologen; in den Band ist eine ausführliche, für Juristen ebenso wie für Theologen gewiss sehr interessante Bibliographie aufgenommen. E.-W. Böckenförde hat diesen Band besprochen (vgl. FAZ Nr. 263 vom 10.11.2008, 37). Er hat auch in dieser Besprechung seine Perspektive zu Grunde gelegt, die immer den Staat voraussetzt und seine Rolle hoheitlich und nicht vom Menschenrecht her sieht. Dabei ließe sich aus einer dritten, vor allem auch aus der angelsächsisch-amerikanischen Perspektive manches anmerken: etwa, dass dem Staat in dieser Tradition eine nachrangige, dienende und nur pragmatische Funktion zukommt, aber auch, dass weder laizistische noch kooperative, gegenüber tradierten Kirchen »religionsfreundliche« Modelle alles bieten, was möglich und vielleicht künftighin erforderlich ist. In einer Gesellschaft nämlich, welche die Religionen und Weltanschauungen diskriminierungsfrei gleich behandeln muss, sind all diesen europäischen Modellen neue Elemente hinzuzufügen. Sie müssen der jeweils eigenen Religion oder Weltanschauung eine Selbstbescheidung abverlangen, die noch sehr un­gewohnt sein mag, aber sicherstellt, dass Diskriminierungen vermieden werden. Gerade dazu findet sich in diesem Sammelband ein wichtiger europarechtlich ausgerichteter Beitrag. Die Rigidität der Diskriminierungsverbote im weltanschaulich-religiösen Zu­sam­menhang hat sich die Europäische Union ebenso wie der Europarat auf ihre Fahne geschrieben. Dem entspricht im Übrigen der erforderliche Respekt vor unterschiedlichen Traditionen im Sinne eines Kulturpluralismus, wie jüngst P. Wiater in ihrer juristischen Dissertation (cotutelle de thèse, Leipzig/Strasbourg) gezeigt hat.
Die rechtliche Strenge dieser Anforderungen wird auch auf vielen Gebieten des Rechts Veränderungen nach sich ziehen. Die öffentliche Gewalt allein kann das weder auf europäischer noch auf mitgliedstaatlicher Ebene bewirken, sondern dies ist gleichermaßen Sache der ganzen Gesellschaft und ihrer Protagonisten, also insbesondere der religiösen Verbände, Meinungsführer und Gruppen.