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Ausgabe:

September/2009

Spalte:

999–1001

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Kippenberg, Hans Georg, u. Gunnar Folke Schuppert [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die verrechtlichte Religion. Der Öffentlichkeitsstatus von Religionsgemeinschaften.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. VI, 350 S. gr.8°. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-148432-2.

Rezensent:

Christian Polke

Drehen wir einmal den Zusammenhang von Recht und Religion um und fragen: Wie viel Recht steckt in der Religion? Das mag moderne Protestanten irritieren, schließlich erhält die liberale Fangemeinde Rudolph Sohms heute massiv Verstärkung durch charismatische Gruppen. Von »links außen« bis »Mitte rechts« – kaum jemand vermag sich vorzustellen, der Heilige Geist schlage sich ausgerechnet mit Paragraphen und Verwaltungsvorschriften herum. Dennoch gebietet schon das geschichtliche Wahrheitsbewusstsein, dem Verhältnis von Institutionalität, Symbolizität und Legalität nachzuspüren. Eine Tagung am Max-Weber-Kolleg im Jahre 2005 hat dies getan und einen Sammelband vorgelegt, dessen Titel prägnant, aber keinesfalls abwertend zum Ausdruck bringt, worum es geht: Die verrechtlichte Religion.

Drei methodische Zugangsweisen, die des Historikers, die des Juristen sowie die des Religionswissenschaftlers werden darin auf drei große Themenbereiche angewendet: Es geht um das bundesdeutsche Modell von Religionsgemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts, um die Frage nach der Integration des Islams ins Recht und um den transatlantischen Blick auf den religiösen Markt in den USA. Da eine umfassende Würdigung aller Beiträge den Rahmen dieser Rezension sprengen würde, soll im Folgenden aus den genannten Bereichen je ein Beitrag genauer vorgestellt werden. Zuvor allerdings sei ein kurzer inhaltlicher Überblick ge­geben:

Nach der Einleitung der beiden Herausgeber H.-G. Kippenberg und G. F. Schuppert (1–9) sowie einer typologisch verfahrenden Einführung in mögliche Rechtsformen von Religionsgemeinschaften (11–35) des Letzteren widmen sich die beiden nächsten Beiträge den antiken Wurzeln religionsrechtlicher Bestimmungen. Kippenberg (37–63) und A. Bendlin (65–107) untersuchen verschiedene Modelle früher Rechtsformen von Religionsgemeinschaften, etwa als religiöse Vereine oder im Sinne des Genossenschaftstypus.
Den nächsten vier Beiträgen geht es dann mehr um eine Analyse der ge­genwärtigen Organisationsformen von Religionsgemeinschaften, wie sie vor allem in der BRD verankert sind. S. Korioth (109–139) erzählt uns den Wandel der Verrechtlichung von Kirchen und Religionsgemeinschaften vom Preußischen Landrecht bis hin zum Grundgesetz und seiner Vorgeschichte in den Weimarer Kirchenartikeln. W. Vögele (141–155) klagt als Theologe berechtigterweise eine umfassendere Ekklesiologie ein, die nicht bei CA VII stehen bleiben darf, sondern soziologische Konfessionsmilieus wie rechtliche Dimensionen des Kirchenbegriffs zu berücksichtigen hat. Vor dem Hintergrund der Theorie der religious economics widerlegt U. Willems (157–185) die Behauptung, wonach ein privilegierter Status von Religionsgemeinschaften unweigerlich Standortvorteile auf dem religiösen Markt nach sich ziehen würde. P. Kirchhof (187–205) schließlich sieht die Rolle des Christentums als »Humus« unserer Verfassung noch nicht genügend in ihrer Bedeutung für das Europarecht gewürdigt.
An diese Stellungnahmen zur deutschen Lage knüpfen die nächsten Aufsätze an, die sich mit verschiedenen Aspekten US-amerikanischer Rechtsstruktur und Religionspolitik beschäftigen. K. Mertin (207–225) beschreibt das oftmals konfrontative, dann wiederum angepasste Verhältnis des Religious Right zur Verfassungskultur, während sich F. Adloff (227–247) mit der Rolle des Katholizismus in der politischen Öffentlichkeit beschäftigt. Auf im engeren Sinne rechtliches Terrain führen uns dann die Beiträge von Chr. Walter (249–270) und W. F. Sullivan (270–286): Walter zeigt anhand verschiedener maßgeblicher Entscheidungen des Supreme Court, inwiefern zur nationalen Identität ein von der Verfassung garantiertes zivilreligiöses Element gehört; Sullivan dagegen weist nach, wie stark durch staatliche Subventionierungen von sog. Faith-Based Organisationen seitens der Regierungen Clinton und Bush jr. neoliberale Privatisierungspolitik mit religiösem Wertekonservativismus einhergeht.
Den Band beschließen zwei Abhandlungen, die sich der Integration des Islams in den europäischen Rechtsraum widmen (so G. Klinkhammer, 315–332) und nach historisch gewachsenen Öffentlichkeitskonzeptionen innerhalb der islamischen Rechts- und Religionskulturen fragen (so J.-P. Hartung, 287–314).


Schon dieser Überblick kann einem die Besonderheit des bundes­republikanischen Kooperationsmodells von Staat und Kirche klarmachen. Sowohl im Rechtsvergleich als auch von seiner geschichtlichen Entstehung her stellen die in der Weimarer Verfassung ko­difizierten und ins Grundgesetz übernommenen Bestimmungen zum Körperschaftsstatus inklusive der damit verbundenen Rechte und Pflichten eine Einmaligkeit dar. Darin spiegeln sich deutsche Mentalitäten zwischen Liberalismus und Konservativismus des 19. Jh.s wider, die zudem bis in die jüngste Vergangenheit Teil einer fast ausschließlich bikonfessionell geprägten »Nation« waren. Die damit verbundene faktische Privilegierung der christlichen Großkirchen steht allerdings, wie Stefan Korioth zu Recht bemerkt, verstärkt auf dem Prüfstand – mit dem Ziel einer »Egalisierung des Rechtsstatus aller Religionsgemeinschaften« (134). Ob dieser Status unbedingt der des geschützten Vereins sein sollte, bleibt fraglich und aus rechtsethischer Perspektive diskussionsbedürftig.

Zwar kommt in der BRD den großen Kirchen und Religionsgemeinschaften ein öffentlicher Sonderstatus zu, dafür erscheint die bundesdeutsche Politik im Vergleich zu den USA geradezu religiös unterkühlt. Wie sehr Zivilreligion in den Staaten nicht nur Be­standteil präsidialer Reden ist, sondern als »Ceremonial Deism« öffentlich inszeniert und als Symbolik nationaler Identität rechtlich garantiert ist, zeigen entsprechende Urteile des Obersten Gerichtshofs. Für die Richter ergibt sich allerdings auch hier das Problem, wohlwollende Neutralität und strikte Trennung von Staat und Religion miteinander zu vereinbaren. Zwei erprobte Mittel sind der Lemon-Test und der No-endorsement-Test, die, wie Christian Walter in seinen Analysen verschiedener Urteile zeigt, von unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu durchaus konvergierenden Rechtsentscheidungen führen können. Wie dem auch sei: Im Zentrum des staatlichen Interesses steht stets die »Definition der eigenen Identität unter Heranziehung religiöser Bezüge« (267). Kulturelle Integration bildet den sozialen Hintergrund religiöser Valenzen amerikanischer Rechtsprechung.

Groß sind die Unterschiede zur Ausdifferenzierung von Öffentlichkeiten und Privatsphären in muslimisch geprägten Gesellschaften. Völlig zu Recht warnt Jan-Peter Hartung vor leichtfertigen Urteilen, dazu liegen schlicht (noch) zu wenige Forschungsergebnisse vor. Allerdings lässt sich – durch die Geschichte hindurch – eine Spannung zwischen dem normativen Anspruch des Islams auf Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären einerseits und der faktischen Durchsetzung politischer Machtinteressen auf Grund der Nichtnotwendigkeit religiöser Institutionenbildung andererseits beobachten. Früh bildete sich dabei eine Zwischeninstanz zu familiärer Privatsphäre und unmittelbarem Herrscherbereich aus: Mit der Einrichtung der waqf (frommen Stiftungen) verband sich ein eigentümlicher »Zusammenhang von jenseitsorientiertem Eigennutz und diesseitsorientiertem Gemeinwohl« (299), gleichsam auf dem Schnittfeld von Religion und Politik. Ob dieses Modell mit Blick auf die religionsrechtlichen Fragen der Integration des Islams hierzulande fruchtbar gemacht werden kann, bleibt abzuwarten. Dagegen sprechen nicht zuletzt die Politiken islamischer Staaten, die gegenwärtig erneut auf strikte staatliche Kontrolle religiöser wie privater Einrichtungen drängen.

Alle Abhandlungen thematisieren je auf ihre Weise Probleme, die sich mit der rechtlichen Repräsentation von Religionen in der Öffentlichkeit ergeben. Der Öffentlichkeitsstatus von Religionsgemeinschaften kann schon seit den Tagen der Antike sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. nochmals die Beiträge von Kippenberg und Bendlin). Eine radikale Privatisierung von Religion jedoch – so zeigt sich – erscheint für funktional ausdifferenzierte, moderne Gesellschaften kaum mehr vorstellbar. Vielleicht waren entsprechende Forderungen seit jeher eher »fromme« Wünsche als realpolitische Optionen. Das entledigt die Religionsgemeinschaften und ihre Diskursinstanzen jedoch nicht, ihr Verhältnis zum Recht offensiver zu klären. Wenn Rechtsordnungen die Aufgabe zu­kommt, soziale Beziehungen zivilisiert zu regeln, dann sind Religionsgemeinschaften allemal davon betroffen – Zeit also, aus dem »dogmatischen« Schlummer aufzuwachen und zu erkennen: Die Frage nach der öffentlichen Organisation und politischen Repräsentation von Kirche stellt längst kein Adiaphoron mehr dar.